Einführung in die Internationale Politik (Wintersemester 2024/25) PDF
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Leibniz Universität Hannover
2024
Dr. Christian Scheper
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Summary
These lecture notes cover the topic of social constructivism in international politics from the introductory lecture given on 19.11.2024 at the Leibniz University Hannover. The slides explain the key ideas and concepts behind social constructivism and their application to the study of international relations.
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EINFÜHRUNG IN DIE I N T E R N AT I O N A L E P O L I T I K Wintersemester 2024/25 Dr. Christian Scheper 19.11.2024 Institut für Politikwissenschaft, Leibniz Universität Hannover Der Sozialkonstruktivismus li...
EINFÜHRUNG IN DIE I N T E R N AT I O N A L E P O L I T I K Wintersemester 2024/25 Dr. Christian Scheper 19.11.2024 Institut für Politikwissenschaft, Leibniz Universität Hannover Der Sozialkonstruktivismus liefert nicht unmittelbar inhaltliche Aussagen über internationale Politik. Er liefert vielmehr metatheoretische Aussagen über das Wesen von Gesellschaft, des gesellschaftlichen Lebens und des sozialen Wandels, so auch über das internationale Leben. Drei Kernelemente (nach Finnemore/ Sikkink 2001): 1. Die internationalen Beziehungen sind geprägt von ideellen Faktoren, nicht nur materiellen. Sozialkonstruktivismus 2. Die wichtigsten ideellen Faktoren sind intersubjektiv geteilte Überzeugungen, die sich nicht auf Einzelpersonen reduzieren lassen. 3. Diese geteilten Überzeugungen konstruieren die Interessen und Identitäten der zielgerichtet handelnden Akteure in den IB. Der Konstruktivismus konzentriert sich daher in seinen Aussagen auf die soziale Welt: Normen, Ideen, Wertvorstellungen, Kultur, Intersubjektivität, Gruppenidentitäten Besondere Relevanz in der Analyse erhalten damit intersubjektive Phänomene, insbesondere Sprache (linguistic turn in IR) und Praktiken (practice turn in IR) Grundlagen In der internationalen Politik zunächst im Fokus: Identitäten und Präferenzen von Staaten Sozialkonstruktivismus (=Kernthemen neorealistischer und institutionalistischer Theorien) als Ergebnisse sozialer Konstruktion Akteure (primär Staaten) und materielle Bedingungen werden hingegen vorausgesetzt und nicht selbst als Gegenstand von sozialer Konstruktion thematisiert (‚thin constructivism‘) Zentrale Konzepte Normen: Geteilte Erwartungen und Regeln, die das Verhalten leiten. Zentral für das Verständnis der internationalen Politik, da sie Identitäten, Interessen und damit das Verhalten von Akteuren erzeugen (konstitutiv für Akteursverhalten: Logik der Angemessenheit) Stabile Normen bilden die Grundlage für Institutionen (→ Nähe zum soziologischen Institutionalismus) Normen wandeln sich, z.B. durch ‚Norm-Entrepreneurs‘ (→ Machtfrage) Zentrale Konzepte Epistemische Gemeinschaften: Gruppen von Expert*innen, Gemeinschaft basierende auf geteiltem Wissen und Überzeugungen. Wesentlicher Einfluss auf politische Prozesse, insbesondere in technisch komplexen Kontexten. (Ursprünglich Peter Haas) Beispiele: Internationale Organisationen und ihre spezifische Expertise (z.B. Internationale Atomenergiebehörde IAEA, Internationale Arbeitsorganisation IAO) Zentrale Konzepte Sprache: Der „linguistic turn“ in den IB ist eine theoretische Wende (1980er Jahre), die betont, dass soziale und politische Phänomene nicht objektiv existieren, sondern durch Sprache konstruiert werden. Begriffe wie „Sicherheit“, „Souveränität“ oder „Entwicklung“ erhalten ihre Bedeutung erst durch ihre sprachliche Verwendung Weitere Beispiele: „Terrorismus“ → nicht neutral, wird durch spezifische Diskurse geprägt, die definieren, wer als Terrorist gilt und welche Maßnahmen legitim sind, um Terrorismus zu bekämpfen Heute: „Korruption“ als „neuer Terrorismus“? Zentrale Konzepte Praktiken sozial anerkannte, routinisierte Handlungen, die auf einem gemeinsamen Hintergrund von Wissen basieren Grundlage (u.a.): Wittgenstein (1953) → Sprachspiel: Sprache ist immer eingebettet in Handlungsmuster, Regeln und materielle Kontexte Das praxistheoretische Programm hat den Sozialkonstruktivismus in den IB deutlich weiterentwickelt (z.B. Adler/ Pouliot; in Deutschland: Büger/ Gadinger) Von der Analyse von Diskursen und Ideen (Sprache) zur Analyse von Handlungen (z.B. diplomatische Praxis) Öffnung zu neuen methodischen Ansätzen, insbesondere ethnographische Forschung (z.B. Iver Neumann: To Be a Diplomat, 2005) Zentrale Konzepte Performativität: Sprechakte, Theorien und Modelle beschreiben nicht nur die gegebene Realität, sondern sie erzeugen sie erst oder tragen zu ihrer Herstellung bei. (Ursprünglich Idee der ‚Sprechakte‘ von John L. Austin; später Judith Butler 1990: Genderkonstruktion → ‚it‘s a boy/girl‘) Beispiele für die Dynamik von Normen Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen führte zum Vertrag von Ottawa und einer Verringerung weltweiter Landminen-Opfer Bilder: Oben: Verleihung des Friedensnobelpreises an die Koordinatorin der Kampagne, Jody Williams (unten), 1997. Beispiele für die Dynamik von Normen UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (2011) Finanzökonomie: Performativität Beispiele für die Dynamik von Normen des Black-Scholes Modells zur Berechnung von Optionspreisen Fragen?