Grundlagen psychologischer Diagnostik PDF
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Dieses Dokument behandelt die Grundlagen psychologischer Diagnostik, insbesondere Datenquellen und Klassifizierungen. Es erläutert verschiedene Methoden wie Biographische und Aktuardaten, Verhaltensspuren, Verhaltensbeobachtungen und Projektive Tests. Zusätzlich werden weitere Klassifizierungen und die Renaissance der objektiven Persönlichkeitsdiagnostik thematisiert.
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# Grundlagen psychologischer Diagnostik ## 5. Diagnostische Verfahren und Tests ### 5.1 Datenquellen der Psychologie Nach Pawlik (2006) können folgende 10 Datenquellen und Erhebungstechniken skizziert werden: 1. Biographische und Aktuardaten 2. Verhaltensspuren 3. Verhaltensbeobachtung 4. Verhal...
# Grundlagen psychologischer Diagnostik ## 5. Diagnostische Verfahren und Tests ### 5.1 Datenquellen der Psychologie Nach Pawlik (2006) können folgende 10 Datenquellen und Erhebungstechniken skizziert werden: 1. Biographische und Aktuardaten 2. Verhaltensspuren 3. Verhaltensbeobachtung 4. Verhaltensbeurteilung 5. Ausdrucksverhalten 6. Interview 7. Projektive Tests/Verfahren 8. Objektive Tests 9. Fragebogen 10. Psychophysiologische Diagnostik #### Kurzbeschreibungen der Datenquellen und Erhebungstechniken: - **Biographische und Aktuardaten:** umfassen sozio-demographische Daten wie Alter, Geschlecht, Familienstand und Beruf. Auch objektive Daten zur Lebensgeschichte, der Schul- und Berufsbildung oder die Krankengeschichte zählen zu dieser Datenquelle. Pawlik ordnet biographische und Aktuardaten der Modalität ‚Verhalten‘ zu. Verhalten ist hier in einem weitern Sinn zu verstehen, da mit diesen Informationen bestimmte Verhaltensweisen einhergehen (z.B. Familienstand und die Schul - und Berufsbildung). - **Verhaltensspuren:** sind direkt beobachtbare Nachwirkungen (Produkte) menschlichen Verhaltens; z.B. die Kleidung einer Person, oder intentionale Verhaltensprodukte wie Zeichnungen. - **Verhaltensbeobachtung:** ist im Gegensatz zur Alltagsbeobachtung methodisch kontrolliert und systematisiert, muss sich an bestimmten Gütekriterien messen lassen und ist zumeist mit einer weiteren quantitativ-statistischen Analyse der protokollierten Verhaltensdaten verbunden. - **Verhaltensbeurteilung:** betrifft mehr oder weniger subjektive Einschätzungen und Bewertungen der Häufigkeit, Intensität und Ausprägungsform des Verhaltens. - **Ausdrucksverhalten:** umfasst Variationen der Mimik, der Stimme und Sprechweise sowie der Ganzkörpermotorik, in denen sich Gefühle, Stimmungen und Affekte äußern. Auch die Handschrift zählt zum Ausdrucksverhalten. - **Interview:** ist ein traditionelles Instrument der Diagnostik. Ein Interview ist eine zielgerichtete mündliche Kommunikation zwischen einem oder mehreren Befragern und einem oder mehreren Befragten, wobei eine Informationssammlung über das Verhalten und Erleben der zu befragenden Person im Vordergrund steht. - **Projektive Tests:** geben mehrdeutiges Reizmaterial vor (z.B. abstrakte Klecksbilder, mehrdeutige Bilder von Personen, frei gestaltbares Spielmaterial), die von Probanden bearbeitet, interpretiert, ergänzt oder gestaltet warden sollen. - **Objektive Tests:** sind Tests, die an Testgütekriterien überprüfte Stichproben (z.B. Leistungsaufgaben) darstellen. So wäre ein Intelligenztest ein objektiver Test. - **Fragebogen:** sind Erhebungsinstrumente, bei denen festgelegte Antwortmöglichkeiten auf klar vorgegebene Fragen oder Feststellungen angekreuzt werden. - **Psychophysiologische Diagnostik:** erfasst Veränderungen des Erlebens und Verhaltens, die mit organismischen Variablen kovariieren wie der Herzfrequenz, der Ausschüttung bestimmter Hormone und der Aktivität in bestimmten Hirnarealen. ## 5.2 Weitere Klassifizierungen für Daten Pawlik (2006) klassifiziert die 10 Datenquellen nach den folgenden drei Kriterien: **(a) Datenmodalität:** - Mentale Repräsentationen: es handelt sich bei den Daten lediglich um mentale Repräsentationen des Erlebens und Verhaltens einer Person. - Direkt beobachtbares Verhalten: es handelt sich bei den Daten um direkt beobachtbares Verhalten. - Psychophysiologisch erfassbare Variablen: es handelt sich bei den Daten um psychophysiologisch erfassbare Variablen **(b) Erfassbare Varianz:** - Labor: die Datenquelle kann im Labor erhoben werden. - Feld: die Datenquelle kann im Feld erhoben werden. **(c) Reaktionsobjektivität:** - Ausmaß der Einflüsse: die Datenquelle kann durch Ziele, Werte und Einstellungen eines Probanden beeinflusst oder sogar verfälscht werden. ### L-, Q- und T-Daten Eine frühere Klassifikation von Datenquellen, die Sie in vielen Lehrbüchern finden werden, stammt von Raymond B. Cattell (1958), der zwischen L-, Q- und T-Daten unterscheidet: #### L-Daten (Life Record Data) - Objektive Lebensdaten (z.B. Geschwisterzahl, Lebensereignisse) - Verhaltensbeobachtung - Fremdbeurteilung - Ausdrucksanalyse - Morphologische Methoden #### Q-Daten (Questionnaire Data): - Fragebogen - Interview #### T-Daten (Test-Data): - Papier-Bleistift-Tests (z.B. Intelligenz) - Apparative Anordnungen - Physiologische Messungen - Objektive Tests in der speziellen Bedeutung von Cattell! - Projektive Verfahren ## 5.3 Renaissance der objektiven Persönlichkeitsdiagnostik Es hat in den letzten Jahren eine Renaissance in der Entwicklung und des Einsatzes von objektiven Tests wie oben beschrieben gegeben. **Ortner et al. (2007; Ortner & van de Vijver, 2015)** stellen objektive Persönlichkeits-tests unter anderem zu folgenden Konstrukten vor: - Feldabhängigkeit - Emotionale Belastbarkeit - Reflexivität/Impulsivität (Arbeitshaltungen) - Berufliche Interessen - Spontanflexibilität - Risikoverhalten - Leistungsmotivation - Realitätsangemessenheit der Selbsteinschätzung - Hyperkinetisches Syndrom Zudem werden in diesem Band auch **Implizite Assoziationstests (IAT)** zur Erfassung von Ängstlichkeit und Selbstwertschätzung vorgestellt. Den IAT haben Sie vermutlich bereits im Sozialpsychologie-Modul kennen gelernt. ## 5.4 Erläuterungen zum Begriff des Tests Der Begriff „Test", der bei den Klassifikationen von Datenquellen und Verfahren immer wieder auftaucht, wird in der Psychologie mehrdeutig verwendet. Einigkeit besteht lediglich darin, dass es sich bei einem Test um ein Verfahren zur Gewinnung diagnostisch relevanter Daten handelt. In einem engen Sinn ist ein Test ein Verfahren, mit dem Daten unabhängig von den subjektiven Urteilen und Einschätzungen der Probanden erhoben werden können. Lediglich Fähigkeits- und Leistungstests sowie objektive Tests im Sinne von Cattell (vgl. Cattell & Warburton, 1967), deren Messintention für einen Probanden nicht per Augenschein erschließbar ist, genügen diesem Kriterium. ## 5.5 Überblick: Klassen psychologischer Tests ### Tabelle 1: 3 Klassen psychologischer Tests nach Brickenkamp - **Leistungstests** - Entwicklungstests - Intelligenztests - Allgemeine Leistungstests - Schultests - Einschulungstests - Spezielle Schuleignungstests - Mehrfächertests - Lesetests - Rechtschreibtests - Mathematik- und Rechentests - Sonstige Schultests - Spezielle Funktionsprüfungs- und Eignungstests - **Psychometrische Persönlichkeitstests** - Persönlichkeits-Struktur-Tests - Einstellungs- und Interessentests - Klinische Tests - Fragebogen - Interviews - Sonstige klinische Verfahren - **Persönlichkeitsentfaltungs-Verfahren (Projektive Tests)** - Formdeuteverfahren - Verbal-thematische Verfahren - Zeichnerische und Gestaltungsverfahren ## 6. Testtheoretische Grundlagen der Diagnostik Die Grundlagen der klassischen Testtheorie und einige Grundzüge von probabilistischen Testtheorien haben Sie bereits im Kurs 36612 (Modul 6a: Testkonstruktion) kennen gelernt bzw. studieren Sie gerade, wenn Sie Modul 6a parallel zu Modul 7 belegt haben. In diesem Kurs wurden auch Gütekriterien zur Beurteilung von diagnostischen Verfahren ausführlich vorgestellt. Nichtsdestotrotz werden Sie zu diesem Abschnitt ein Pflichtliteratur-Kapitel lesen und erarbeiten, in dem die wichtigsten Testgütekriterien vorgestellt werden. Für viele von Ihnen wird die Lektüre sicherlich eine Wiederholung sein, die aber bei diesem so zentralen und grundlegenden Thema auf keinen Fall schadet. #### Übersicht zu Testgütekriterien: - **Objektivität** - Durchführungsobjektivität und Standardisierung - Auswertungsobjektivität und Skalierung - Interpretationsobjektivität - **Reliabilität** - Retest-Reliabilität - Paralleltest-Reliabilität - Split-Half-Reliabilität - Cronbachs Alpha (Interne Konsistenz) - **Validität** - Inhalts- - Kriteriums- (konkurrente und prädiktive) und - Konstruktvalidität - **Normierung** - **Skalierung** - **Zumutbarkeit** - **Akzeptanz** - **Unverfälschbarkeit** - **Fairness** - **Testökonomie** - **Nützlichkeit** Ferner lernen Sie im Rahmen der Lektüre der Pflichtliteratur das sogenannte Test-beurteilungssystem des Diagnostik- und Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen, kurz: TBS-DTK, kennen. Dabei handelt es sich um ein Rahmenwerk zur standardisierten Bewertung psychologischer Testverfahren im Lichte der oben genannten Gütekriterien. Schließlich umfasst die Pflichtliteratur zu diesem Abschnitt exemplarisch zwei Testrezensionen gemäß den Vorgaben der TBS-DTK, damit Sie auch die konkrete Anwendung kennenlernen. ## Pflichtliteratur - **Krumm, S., Schmidt-Atzert, L., & Amelang, M. (2021). Grundlagen diagnostischer Verfahren. In L. Schmidt-Atzert, S. Krumm & M. Amelang (Hrsg.), Psychologische Diagnostik (6. Aufl.) Springer. Kapitel 2.6: Testgütekriterien (S. 132 - 197) ausgenommen Kapitel 2.6.2.2 (S. 147 – 157).** - **NEO-Persönlichkeitsinventar nach Costa und McCrae, revidierte Fassung (NEO-PI-R). Ostendorf, F. & Angleitner, A. (2004). Göttingen: Hogrefe. Rezensent/innen: B. Andresen & A. Beauducel (2008). Verfügbar unter: Andresen, B., & Beauducel, A. (2008). NEO-Persönlichkeitsinventar nach Costa und McCrae, Revidierte Fassung (NEO-PI-R). Report Psychologie, 33(10), 543-544.** - **PRECIRE JobFit. Precire Technologies GmbH (2016). Rezensent/innen: L. Schmidt-Atzert, J. Künecke & J. Zimmermann (2019). Verfügbar unter: Schmidt-Atzert, L., Künecke, J. & Zimmermann, J. (2019). TBS-DTK-Rezension: PRECIRE JobFit. Psychologische Rundschau, 70, 299-301.**