BMG Stellungnahme 9 Rettungsdienst PDF
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This document is a report from the German government on the reform of emergency medical services. It details the current state of emergency services in Germany and outlines recommendations for improvement, including aspects of quality, funding, and efficiency. The report acknowledges the role of primary care physicians and proposes a structure for the integration of emergency services within the existing healthcare system.
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Neunte Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und b edarfsgerechte Krankenhausversorgung Reform der Notfall- und Akutversorgung: Rettungsdienst und Finanzierung I. Präambel Bereits in der 4. Stellungnahme der Regierungskommission, die sich mit der Reform der N...
Neunte Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und b edarfsgerechte Krankenhausversorgung Reform der Notfall- und Akutversorgung: Rettungsdienst und Finanzierung I. Präambel Bereits in der 4. Stellungnahme der Regierungskommission, die sich mit der Reform der Notfall- und Akutversorgung befasst, wurde auf die Notwendig- keit der Betrachtung des Gesamtsystems hingewiesen. Eine entsprechende Reform darf nicht nur den ambulanten Bereich oder die Versorgung in den Notaufnahmen oder im Krankenhaus in den Blick nehmen; vielmehr geht es ausgehend vom häuslichen Umfeld und unter Berücksichtigung der weiteren Versorgung nach Entlassung aus der Notfallversorgung gerade auch um die gezielte Steuerung der Versorgung zwischen dem ambulanten und dem stati- onären Bereich. Vor diesem Hintergrund hat die Regierungskommission Empfehlungen zu den sogenannten Integrierten Leitstellen1 (ILS/GNLS) – die bereits mittelbar auch den unter der Telefonnummer 112 erreichbaren Ret- tungsdienst adressieren – sowie den gemeinsam von Krankenhäusern und den KVen betriebenen Integrierten Notfallzentren (INZ, KINZ) abgegeben. Der Schwerpunkt der vorliegenden Stellungnahme liegt nunmehr auf dem Rettungsdienst selbst. Es geht mit Blick auf die Qualität der Versorgung und Fragen der Finanzierung und der Transparenz um die schon im Koalitions- vertrag angekündigte2 Implementierung des Anspruchs auf rettungsdienstli- che Leistungen als eigenes Leistungssegment im SGB V. Es gilt aber auch, komplementäre Strukturen aufzubauen und weitere organisatorische Punkte zu adressieren, die zu einer qualitätsgesicherten und effizienten Tätigkeit des Rettungsdienstes beitragen sollen. Unbenommen von diesen Empfehlungen weist die Regierungskommission aber auch in diesem Kontext noch einmal darauf hin, dass die Primärarzt- strukturen die erste Anlaufstelle für alle Hilfesuchenden mit akuten Gesund- heitsbeschwerden bleiben. Die Empfehlungen der Regierungskommission zum Rettungsdienst basieren auch in dieser Stellungnahme u. a. auf einer Sichtung und Analyse der zahlrei- chen schon vorliegenden Gutachten und Stellungnahmen – etwa der des Sach- verständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2018 oder der Arbeit von Krafft et. al. im Auftrag der Bertels- mann Stiftung und in Zusammenarbeit mit der Björn Steiger Stiftung 20223. Mit dieser Stellungnahme zielt die Regierungskommission auf die Sicherung und die weitere Verbesserung der medizinischen Versorgung durch den Ret- tungsdienst im Kontext des gesellschaftlichen, demographischen und tech- nischen Wandels. 1 In der Vierten Stellungnahme sind „Integrierte Leitstellen“ als gemeinsame Einrichtungen der unter den Telefonnummern 112 und 116117 erreichbaren Stellen genannt. Dieser Begriff ist allerdings bereits teilwei- se durch gemeinsame Leitstellen von Feuerwehr und Rettungsdienst belegt, so dass die Kommission nun alternativ den Begriff „Gemeinsame Notfallleitstelle“ (GNLS) vorschlägt. 2 S. 85. 3 Krafft, T., Neuerer, M., Böbel, S., Reuter-Oppermann, M. (2022). Notfallversorgung & Rettungsdienst in Deutschland. Partikularismus vs. Systemdenken. Gütersloh/Winnenden, 2022. ISBN 978-3-9824744-0-3. 2 II. Ausgangs- und Problemlage 1. Der Begriff „Rettungsdienst“ umfasst in der Regel die Notfallrettung insbesondere bei Lebensgefahr oder zur Vermeidung schwerer gesund- heitlicher Schäden sowie den qualifizierten Krankentransport, d. h. den Transport in das Krankenhaus mit qualifiziertem Personal. Der Rettungs- dienst adressiert damit den Begriff des Notfalls, den die höchstrichterli- che Rechtsprechung zugrunde legt (vgl. etwa BSG v. 23.6.2015 – B 1 KR 20/14 R, Rn. 13) und der sich typischerweise auch in den Landesrettungs- gesetzen (vgl. nur § 2 Nr. 2 Hamburgisches Rettungsdienstgesetz) findet. Neben dem bodengebundenen Rettungsdienst kommt in der Regel auch die Luftrettung mittels Hubschraubern flächendeckend zum Einsatz; in manchen Gegenden gibt es zusätzlich den Bedarf für eine Berg-, See- und Wasserrettung (SVR-Gutachten, 2018). Neben den Rettungsfahrten des Rettungsdienstes regelt § 60 SGB V auch den Fahrkostenersatz für Kran- kenfahrten mit ÖPNV, Taxi, Privatfahrzeugen oder Mietwagen. Die Leit stelle bzw. zukünftig die in der 4. Stellungnahme der Regierungskommis- sion vorgeschlagene ILS bzw. GNLS disponiert den Rettungsdienst. 2. Primäre Aufgabe der Notfallrettung ist die präklinische medizinische Versorgung von Notfallpatientinnen und -patienten am Notfallort und deren qualifizierter Transport in eine weiterversorgende Gesundheitsein- richtung (SVR-Gutachten 2018). Auch „die medizinisch keinen Aufschub duldende Beförderung von Notfallpatientinnen und Notfallpatienten aus einer Gesundheitseinrichtung in eine andere Gesundheitseinrichtung, die über die Möglichkeit einer besseren medizinischen Versorgung verfügt“, (Bsp. Berliner Rettungsdienstgesetz4), gehört zu den Aufgaben des Ret- tungsdienstes. 3. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Rettungsdienstes, die Einzel- heiten seiner Organisation, Durchführung und Finanzierung sind auf Länderebene in den 16 Rettungsdienstgesetzen oft unterschiedlich ge- regelt. So wird zum Beispiel der Notarztdienst zum Teil durch Landes- KVen organisiert, und auch die Delegation ärztlicher Tätigkeiten an Not- fallsanitäter ist unterschiedlich normiert. 4. Träger des Rettungsdienstes sind in aller Regel Landkreise und kreisfreie Städte. Aktuell bestehen knapp 300 eigenständige Rettungsdienst bereiche5 mit ca. 240 Leitstellen mit 13 unterschiedlichen Organisati onsformen (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Rettungswissenschaften, 2022).6 4 https://www.gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-RettDGBErahmen; abgerufen 8.6.2023. 5 SVR-Gutachten 2018. 6 https://www.dgre.org/download/2067/; 2022; abgerufen 21.5.2023. 3 5. Der Rettungsdienst wird durch Kommunen selbst (ca. 15 %) oder durch Vergabe an gemeinnützige Hilfsorganisationen (ca. 80 %) oder privat wirtschaftliche Unternehmen (ca. 5 %) durchgeführt bzw. delegiert und ist damit ebenfalls heterogen organisiert. Hierdurch resultiert einerseits eine erschwerte Bedarfsplanung über kommunale Grenzen hinweg und andererseits bestehen große Unterschiede bzgl. der Größe, der techni- schen Ausstattung (z. B. bzgl. Digitalisierung), der Abläufe, der Leis tungsfähigkeit und damit auch der Qualität der Rettungsdienste sowie der Qualifikation des eingesetzten Personals. Dies schließt auch die Leit stellen ein (Krafft et al., 2022, und Schippmann, 20167, 8). 6. Die Zahl der Beschäftigten im Rettungsdienst (RD) ist von 2011 bis 2021 um ca. 71 % auf ca. 85 Tsd. Beschäftigte angestiegen – der Personalzu- wachs im Gesundheitswesen im gleichen Zeitraum betrug dagegen nur ca. 21 %9. Auch im Rettungsdienst stellt sich ein zunehmender Personalman gel10 nicht nur in Flächenländern ein. Insbesondere die fortschreitende Arbeitsbelastung von Rettungskräften bei steigenden Einsatzzahlen, die fehlende Rechtssicherheit im Einsatz (z. T. auch bei der höchsten Qualifi- kation „Notfallsanitäter“) und die Abwanderung von Mitarbeitenden werden insoweit vor allem bei nichtärztlichem Rettungsdienstpersonal als Gründe für diese Entwicklung angeführt. Hinzu kommt, dass ein Teil des nichtärztlichen Personals, insbesondere im Krankentransport, nur angelernt ist. Auch Fahrer in der Notfallrettung müssen als Mindest voraussetzung nur über eine gesetzlich nicht oder nur teilweise geregelte dreimonatige Qualifizierung als „Rettungssanitäter“ verfügen.11 Die Regierung plant hier ein bundeseinheitliches Berufsgesetz für Rettungs- sanitäter (neben einer Pflege- und Hebammenassistenz; Koalitionsvertrag Seite 64, dritter Absatz). Im notärztlichen Bereich ist die Weiter- und Fortbildung auch auf Län derebene und damit zum Teil unterschiedlich geregelt. Zwar haben alle Ärztekammern mittlerweile die Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ (früher auch „Rettungsmedizin“) als Qualifikation geschaffen, diese kann aber ohne eine abgeschlossene Facharztweiterbildung erworben wer- den12 und wird nicht in allen Bundesländern als Voraussetzung für den Notarztdienst gefordert. Auch ist nicht einheitlich definiert, was als 7 Krafft, T., Neuerer, M., Böbel, S., Reuter-Oppermann, M. (2022). Notfallversorgung & Rettungsdienst in Deutschland. Partikularismus vs. Systemdenken. Gütersloh/Winnenden, 2022. ISBN 978-3-9824744-0-3. 8 Schippmann, S. Fakten zum Rettungsdienst; 2016. https://initiative-gesundheitswirtschaft.org/fakten- zum-rettungsdienst, abgerufen 1.5.2023. 9 https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_06_p002.html, abgerufen 29.5.2023. 10 Rettungsdienst: Großer Personalmangel, Dtsch Arztebl 2022; 119: A-2279. 11 Wiss. Dienst, Deutscher Bundestag, 2022. https://www.bundestag.de/resource/blob/912896/e896cc1c5c- 4599645ff6b1cbb4fd3deb/WD-9-049-22-pdf-data.pdf. 12 Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer 2018. https://www.bundesaerztekammer.de/file- admin/user_upload/BAEK/Themen/Aus-Fort-Weiterbildung/Weiterbildung/20230629_MWBO-2018.pdf. 4 Facharztstandard im Bereich des Rettungsdienstes angesehen wird.13 Das notärztliche Personal arbeitet dabei oft in Nebentätigkeit zu einer ande- ren klinischen Beschäftigung oder als Honorarkraft, was einen einheitli- chen Qualitäts- und Qualifikationsstandard zusätzlich erschwert. 7. Aufgrund der landesgesetzlichen Vorgaben bestehen regional weiterhin unterschiedliche Vergütungsmodelle, die eine Transparenz von Kosten und Leistungen des Rettungsdienstes (inkl. der Leitstellen) und damit der Vergleichbarkeit erheblich erschweren. Das SGB V regelt gegenwär- tig, dass die Länder selbst über die Vergütungsmodelle entscheiden können. Nach § 133 Abs. 1 S. 1 SGB V schließen die Krankenkassen oder ihre Landesverbände entweder Verträge über die Vergütung für die In- anspruchnahme des Rettungsdienstes. Oder aber, wenn und soweit die Entgelte „nicht durch landesrechtliche oder kommunale Bestimmungen festgelegt werden“, besteht die Möglichkeit zur Abrechnung über einsei- tig von den Kommunen festgelegte kommunale Gebührenordnungen. Letzteres ist nur schwer mit den Grundsätzen der gesetzlichen Kran kenversicherung und insbesondere dem Prinzip der Beitragssatzstabili tät und der Wirtschaftlichkeit zu vereinbaren. Dies wurde bereits vom Bundesrechnungshof 2018 beanstandet, z. B. mit der Feststellung „Kran- kenkassen nahmen keinen Einfluss auf Gebühren bzw. Entgelte“14, 15. Es existiert somit ein Nebeneinander von Vergütungsmodellen (Ver- handlungen mit den Kostenträgern) und kommunalen Gebührenmodel len. Letztere folgen einem Vollkostendeckungsprinzip zulasten der Kos- tenträger ohne Anreiz für einen wirtschaftlich effizienten Betrieb. Auch ist aufgrund fehlender Transparenz unklar, in welchem Umfang Länder und Kommunen die Investitionskosten für den Rettungsdienst übernehmen oder inwieweit sie diese Kosten in die von den Krankenkas- sen zu tragenden Entgelte bzw. Gebühren einfließen lassen. Schließlich ist auch die Leitstellenfinanzierung ungeregelt und regional stark variierend. Teilweise werden die Leitstellen direkt von den Krankenkassen finan ziert (zum Beispiel in Form einer Leitstellengebühr pro E insatz, was einen Anreiz für häufigen Einsatz des Rettungsdienstes darstellt), teilweise wer- den die Leitstellen zumindest partiell von den Bundesländern getragen. Weitgehend bundesweit gilt, dass die Kostenträger kaum Informationen über das Leistungsgeschehen haben, da medizinische Falldaten in der Regel nicht übermittelt werden (es fehlt eine analoge Regelung wie etwa für Krankenhausbehandlungen nach § 21 KHEntgG). 13 Regional existieren zum Teil strukturierte notärztliche Curricula und differenzierte notärztliche Qualifi- kationsstufen (Quelle: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s10049-022-01020-0.pdf?pdf=but- ton%20sticky). 14 Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO über die Finanzierung der Versorgung mit Rettungsfahrten und Flugrettungstransporten, 2018. 15 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/91731/Bundesrechnungshof-kritisiert-teuren-Rettungsdienst. 5 8. Obwohl – dem medizinischen Fortschritt folgend – auch die medizi nisch erbrachten Leistungen des Rettungsdienstes zugenommen ha ben, stellt dieser Bereich nach wie vor kein eigenständiges medizini sches Leistungssegment im SGB V dar. Ein Anspruch Versicherter besteht allenfalls nach Maßgabe von § 60 SGB V als „Fahrkosten“. Diese werden allerdings nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V nur gewährt, wenn die ent- sprechenden Fahrten „im Zusammenhang mit einer Leistung der Kran- kenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind“. In einigen Bundesländern werden als Annexleistungen Aufwände über den Transport hinaus erstattet. Somit besteht nach aktueller Rechtsprechung kein Anspruch auf Kostenersatz für abschließende Versorgung vor Ort durch den Rettungsdienst. Dieses Fehlanreizsystem sorgt für unnötige Transporte und zieht eine ebenfalls kosten- und personalintensive Be- handlung im Krankenhaus nach sich, auch dann, wenn eine Vor-Ort-Be- handlung möglicherweise ausreichend gewesen wäre. 9. Die („Transport“-)Ausgaben der GKV für den Rettungsdienst sind inner halb der Gesundheitsausgaben weit überproportional gestiegen und betrugen 2022 mit ca. 8,4 Milliarden Euro16 fast 10 % der GKV-Ausgaben für Krankenhausbehandlung (88 Milliarden17). Innerhalb der Gesund- heitsausgaben verzeichnet der Rettungsdienst den höchsten relativen Anstieg der Kosten (Abb. 1). Abbildung 1 Anstieg der Ausgaben der GKV für „Fahrkosten“ im Vergleich zum A nstieg für Krankenhausbehandlung, Arzneimittel und ärztliche Behandlung18 16 Offizielle GKV-Statistik (KJ 1) von Referat 225 des BMG (29.6.2023) und Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO über die Finanzierung der Versorgung mit Rettungsfahrten und Flugrettungstrans- porten 2018 (Gz.: IX 1 - 2017 - 0798). https://www.gbe-bund.de/gbe/!pkg_olap_tables.prc_set_page?p_uid=gast&p_ aid=78861049&p_sprache=D&p_help=2&p_indnr=322&p_ansnr=26059306&p_version=5&D.732=4498. 17 für ambulante ärztliche Versorgung: 46 Milliarden Euro. 18 Nach https://www.gkv-spitzenverband.de/service/zahlen_und_grafiken/gkv_kennzahlen/gkv_kennzahlen.jsp, bearbeitet. 6 10. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern findet eine strukturierte Einbeziehung der Bevölkerung in die Notfallversorgung, z. B. durch verpflichtende Basis-Reanimations-Trainings in Schulen oder am A rbeitsplatz, die Verbreitung von öffentlich zugänglichen Defibrillato ren oder organisierte Ersthelfersysteme aktuell nur in geringem Umfang statt.19 Gleichzeitig gewinnt bei einer älter werdenden Bevölke- rung auch die Notfallvorsorge, insbesondere für vulnerable Gruppen, an Bedeutung (advanced care planning). III. Ziele 1. Der Rettungsdienst soll als eigenes Leistungssegment in das SGB V überführt werden, um – etwa analog zur Krankenhausbehandlung – den Leistungsanspruch der Versicherten, die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern sowie Fragen der Qualitäts- sicherung zu regeln. Die bundesgesetzliche Regelungskompetenz folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 Grundgesetz („Sozialversicherung“); die alleinige Zuständigkeit der Länder für die Ausgestaltung ihres Rettungswesens bleibt davon unberührt. 2. Erreicht werden soll eine transparente, qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte patientenzentrierte präklinische Notfallversorgung nach bundesweit vergleichbaren Vorgaben; das dient zugleich dem Ziel der Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit. 3. Neben den klassischen Diensten des Rettungsdienstes und des KV-Not- dienstes müssen neue und komplementäre Strukturen mit entsprechen- den Kompetenzen und Zuständigkeiten (ambulante pflegerische Notfall- versorgung, Palliativdienste, Gemeindenotfallsanitäter/community health nurses, geschulte Laien, telemedizinische Beratung) aufgebaut werden (vgl. hierzu auch bereits 4. Stellungnahme der Regierungskom- mission). 4. Angestrebt werden einheitliche oder jedenfalls vergleichbare Qualifizie rung, Qualifikationsanforderungen und Qualitätsmanagement sowie die Einführung einheitlicher Struktur- und Prozessqualitätsparameter für die jeweiligen Bereiche. 5. Eine einheitlich strukturierte digitale Echtzeit-Vernetzung des Ret tungsdienstes mit anderen Leistungserbringern in der präklinischen und klinischen Notfallversorgung einschließlich der KV-Notfallleistun- gen soll implementiert werden. 19 https://www.aerzteblatt.de/archiv/225338/Oeffentlich-zugaengliche-Defibrillatoren-und-soziooekonomi- sche-Faktoren-auf-kleinraeumiger-Ebene-in-Berlin. 7 6. Angeregt wird eine Neuregelung der Finanzierung unter Beachtung der Verantwortung der Bundesländer und Kommunen für die Gefahrenab- wehr sowie der Grundsätze der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies beinhaltet (i) die Zuständigkeit von Ländern und Kommunen für die In- vestitionskosten, (ii) die auf bundeseinheitlicher Grundlage zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern auszuhandelnden Entgelte für die Vergütung von Leistungen der Leitstelle, medizinischen Leistungen des Rettungsdienstes und Fahrkosten für medizinische Notfälle sowie (iii) Maßnahmen der Qualitätssicherung. 7. Vor- und Nachteile einer mittel- oder langfristig anzustrebenden Finan zierung der medizinischen Notfallversorgung nur aus einem Topf sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen. 8. Empfohlen wird eine bundeseinheitliche Standardisierung der Pla nungsgrundlagen für Länder und Kommunen, um eine abgestimmte sektoren- und landkreis-, idealerweise auch länderübergreifende Pla nung und Finanzierung von Rettungsdienst (inkl. Leitstellen), Notfall krankenhäusern und KV-Notdienst mit Bezug auf eine vergleichbare Populationsgröße im Versorgungsgebiet zu erreichen. 9. Zu berücksichtigen ist der möglicherweise steigende Bedarf für den Transfer von Patientinnen und Patienten zwischen verschiedenen Kran- kenhäusern oder anderen Gesundheitseinrichtungen aufgrund der sich ändernden Krankenhausstrukturen. 10. Ziel ist auch die strukturierte Einbeziehung der Bevölkerung in die Notfallversorgung und die Verbesserung der Notfallvorsorge („advan- ced care planning“) bei einer sich verändernden Demographie. 8 IV. Empfehlungen 1. Der Rettungsdienst wird als eigenständiges Leistungssegment (Notfall behandlung) in § 27 Abs. 1 SGB V aufgenommen. Der konkrete Leis- tungsanspruch der Versicherten wird in einer eigenständigen Norm ge- regelt – etwa einem neuen § 60 SGB V. Dessen bislang auf die schlichten Transportkosten bezogener Regelungsinhalt könnte dann in einem § 60a SGB V normiert werden. Die Kommission schlägt vor, hier folgende zu unterscheidende Leistungen vorzusehen: a. Leistung der Leitstelle (Notfallmanagement, vergleichbar dem Ent- lassmanagement nach § 39 Abs. 1a SGB V als Steuerungs- und Koor- dinierungsleistung). Dabei ersetzt der Einsatzauftrag der Leitstelle die Verordnung einer Krankenbeförderung. b. Notfallversorgung als Versorgung vor Ort, insbesondere durch Not- fallsanitäterinnen und -sanitäter und – wenn erforderlich – auch Notärztinnen und Notärzte c. Notfalltransport als Transportleistung, die getrennt von der Versor- gung zu betrachten ist. Ein Transport muss dabei nicht nur in ein Krankenhaus, sondern in die für den individuellen Notfall am besten geeignete Gesundheitseinrichtung möglich sein, zum Beispiel auch in die Hausarztpraxis oder eine KV-Notdienstpraxis. d. pflegerische Notfallversorgung, notfallmäßige Palliativversorgung und psychiatrisch-psychosoziale Krisenintervention für komplexe Fälle, zusammengefasst als spezielle ambulante Notfallversorgung (SANV) in Anlehnung an die SAPV. 2. § 133 SGB V bedarf einer grundlegenden Neufassung mit Blick auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern (gesetzlich geregeltes Vertragsmodell mit den Krankenkassen als Ver tragspartner), vor allem hinsichtlich der Finanzierung (s. unten). Hierbei ist auch ein Mechanismus zur Konfliktlösung im SGB V zu etablieren. Zudem sollte im Kontext der §§ 135 ff. SGB V die bislang nicht adressierte Frage der Qualitätssicherung normiert werden (s. unten). 3. Zur Förderung der Qualität des Rettungsdienstes sind Maßnahmen zur Herstellung von Transparenz und Qualitätssicherung erforderlich. Struktur- und Prozessqualitätsparameter sollten eingeführt werden. Hierbei ist zum Beispiel zu denken an Vorgaben für Mindestpersonalaus- stattung, Qualifikation und Weiterqualifizierungsmaßnahmen im Sinne von festen Aus-, Fort- und Weiterbildungen von Rettungsdienst- und Leitstellenpersonal, Art und Anzahl sowie standardisierte Ausstattung von Rettungsmitteln, die Implementierung einheitlicher medizinischer und damit auch bundeseinheitlich vergleichbarer Vorgaben sowie die 9 Teilnahme an Registern oder den Einsatz von Spezialrettungsmitteln wie Intensivtransportwagen. Für die Implementierung von Maßnahmen, die die Qualität durch Struktur- und Prozessmaßnahmen sichern, schlägt die Kommission vor- übergehende Pauschalen oder Zusatzentgelte vor. Welche Maßnahmen bzw. Leistungen über diese Pauschalen oder Zusatzentgelte finanziert werden, sollte mit dem Ziel einer raschen Umsetzung durch den Gesetz- geber festgelegt werden. 4. Die Anforderungen an Struktur-, Prozess- und soweit möglich Er gebnisqualität sowie die Qualifikation des eingesetzten Personals in Leitstellen und der Notfallrettung sollten länderübergreifend verein heitlicht werden. Anzustreben ist die Etablierung eines Notfallversor gungsregisters, in dem ein Kerndatensatz (unter Beachtung der Daten- sparsamkeit automatisierte Übermittlung ohnehin digital vorliegender Daten) von KV-Notdienst, Rettungsdienst und Notaufnahmen sowie perspektivisch Integrierten Notfallzentren zusammengeführt werden, um die regionale Versorgungsqualität und daneben die Kosten bun- deseinheitlich transparent darzustellen und evidenzgeleitet weiterzu- entwickeln. Die Vereinheitlichung der Dokumentation und die flächen- deckende Einführung der elektronischen Patientenakte bieten hierfür exzellente Grundlagen. Der fallbezogene Datensatz sollte in Analogie zu § 21 KHEntgG entwickelt werden. Das Register sollte Ausgangspunkt für den Abbau regionaler Unterschie- de sein – soweit diese nicht regionalspezifisch begründbar sind. Ein A nknüpfungspunkt kann das bislang von Notaufnahmen auf freiwilli- ger Basis genutzte AKTIN-Register20 sein, das derzeit vorrangig der Ver- sorgungsforschung dient. Das Register sollte dem Bundesministerium für Gesundheit zugeordnet sein, das es an eine geeignete Institution übertragen kann. Für ein sektorenübergreifendes Qualitätsmanagement müssen die datenschutzrechtlichen Regelungen verankert werden. Die Ergebnisse sollten öffentlich zugänglich gemacht werden (Quartals- und Jahresberichte). 20 https://aktin.org/. 10 Der Rettungsdienst muss technisch einheitlich digital und umfassend mit den anderen Säulen der Notfallversorgung sowie der elektronischen Patientenakte vernetzt werden, einschließlich telemedizinischer Ver- knüpfung rund um die Uhr (Abb. 2). Abbildung 2: Netzwerk und telemedizinische Verknüpfungen im Rettungswesen (eigene Darstellung) 5. Ferner ist für die bessere Patientensteuerung und Prozessoptimierung ein digitales Echtzeit-Register zur Erfassung und Abfrage der verfügba ren Ressourcen und deren Auslastung zu verwenden, z. B. IVENA (inter- disziplinärer Versorgungsnachweis) oder eine Weiterentwicklung hier- von.21 Das Register sollte sinnvollerweise mit dem DIVI-Intensivregister22 verbunden werden. Durch eine einheitliche automatisierte und konti nuierliche Datenerfassung aus Präklinik und Klinik durch Kombination mit KI-gestützten Algorithmen sollte eine prospektive Bedarfsermitt lung und damit bessere Steuerung angestrebt werden (Bsp. Projekt „Not- aufnahmeampel23“). 6. Regionale Gremien der Gesundheitspolitik, Kostenträger und Leis tungserbringer sind in die einheitliche Bedarfsplanung unter Leitung der Länder einzubeziehen. 21 Auch dieses Register kann sinnvollerweise an dem laut Koalitionsvertrag zu gründenden Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit angesiedelt werden. 22 https://www.intensivregister.de/#/index. 23 https://www.dgina.de/corona-notaufnahme-ampel. 11 7. Sinnvoll ist eine Konzentration und Zentralisierung der Leitstellen un- ter der Ägide und Koordination des jeweiligen Bundeslandes anstelle der bisherigen Zersplitterung auf knapp 300 Rettungsdienstbereiche mit ca. 240 Leitstellen. Ein erster sinnvoller Schritt ist daher die Verknüpfung von Leitstellen. Mit Blick auf die medizinische Notfallversorgung kann perspektivisch als Orientierung eine Leitstelle (einschließlich einer 24/7-telenotärztlichen Besetzung) pro circa 1 Million Einwohner in Be- tracht gezogen werden.24, 25 In dünner besiedelten Gegenden können auch kleinere Leitstellen angezeigt sein. Allerdings werden vielerorts gemein- same Leitstellen mit der Polizei, der Feuerwehr und weiteren Stellen für die Gefahrenabwehr betrieben, sodass hier andere Orientierungswerte gelten. 8. Mit dem Ziel der Konzentration sollte die Planung daher in der Regel landkreisübergreifend erfolgen. Hierzu kann es zielführend sein, dass sich mehrere Kommunen zu Verbünden zusammenschließen. Grundsätzlich sollten benachbarte Leitstellen so kooperieren, dass sie auch auf die Rettungsmittel der Nachbarleitstellen zurückgreifen kön- nen, auch über Bundeslandgrenzen hinweg. Hierfür sind gemeinsame EDV-Schnittstellen erforderlich, sodass unter anderem die verfügbaren Rettungsmittel und deren aktuelle Position in Echtzeit ersichtlich sind. Eine derartige Konzentration der Leitstellen sollte sinnvoll durch Anreiz- systeme, zum Beispiel im Rahmen der Vorhaltefinanzierung (siehe un- ten), gefördert werden. Alternativ kann überlegt werden, die Zuständig- keit von den Kommunen vollständig an die Bundesländer zu geben. 9. Auch im ärztlichen Bereich besteht Personalmangel, verstärkt in Flä- chenländern. Nicht nur aus diesem Grund sollten die Befugnisse von Notfallsanitäterinnen und -sanitätern ausgeweitet werden (bei ent- sprechender Qualifizierung). Dies kann durch Generaldelegation erfol gen, die durch die flächendeckend einzuführenden ärztlichen Leitun gen Rettungsdienst erteilt werden können. Der Tabelle 1 kann ein Vorschlag für verschiedene Ausbildungs- und Qualifikationsstufen und damit verbundene Kompetenzen entnommen werden. Die Befugnisse sollten insbesondere die Gabe von Arzneimitteln inklusive Betäubungs- mitteln und geeignete sog. invasive Maßnahmen umfassen. Entspre- chend sollten perspektivisch speziell qualifizierte Notärztinnen und Notärzte nach einheitlichem Standard präklinisch nur in besonders komplexen Fällen und überwiegend per Rettungs-(Transport-)Hub- schrauber/Luftrettung oder telemedizinisch unterstützend eingesetzt 24 Eine Kalkulation des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen ergab die Notwendigkeit eines Telenotarztes für ca. 1 bis 1,5 Millionen Einwohner (s. auch Römer F: The upscaling of a tele-EMS physician system in North-Rhine Westphalia. B.Sc. Thesis, Maastricht University, Faculty of Health, Medicine and Life Sciences, 2019). 25 Die Zahl der Standorte von Krankentransportwagen und anderen Rettungsmitteln ist unabhängig von der Zahl der Leitstellen mit der Maßgabe kurzer Anfahrtwege festzulegen. 12 werden. Besonders qualifizierte Notfallsanitäterinnen und -sanitäter sollten mit eigener fachgebundener Heilkundebefugnis nach Vorbild anderer Staaten26 („advanced paramedic practitioner“, Bachelor/Mas- ter-Niveau) den jetzigen Notarztdienst substituieren und die ärztlichen Spezialressourcen nur bei Bedarf anfordern müssen. Einer engen perso- nellen und organisatorischen Zusammenarbeit von Notaufnahmen der Krankenhäuser und präklinischer Notfallrettung kommt eine zuneh- mende Bedeutung zu. Führt auch komplexe medizinische Maßnahmen eigenständig NEU: Master Advanced Care Paramedic durch. Übernimmt Führungs-, Ausbildungs- und Qualitäts (Aufbau-Studium auf BA Paramedic) sicherungsaufgaben. NEU: Bachelor Paramedic Fachgebundene Heilkundebefugnis. Führt in Substitution auch (grundständiges Studium bzw. komplexe notfallmedizinische Aufgaben/Tätigkeiten eigenständig Aufbaustudium für Notfallsanitäter) und bei Bedarf mit ärztlicher (telemedizinischer) Beratung durch. Führt in Vorab- bzw. Generaldelegation komplexe notfallmedizini- Notfallsanitäter mit 3-jähriger Ausbildung sche Aufgaben/Tätigkeiten durch, bei Bedarf mit ärztlicher (tele medizinischer) Beratung sowie enger ärztlicher Supervision. Rettungssanitäter mit 3-monatiger Ausbildung Führt notfallmedizinische Standard-Aufgaben aus. Komplexe Neu: 1-jährige Ausbildung Tätigkeiten nur im Ausnahmefall (ärztliche Einzelfalldelegation). Tabelle 1 Vorschlag für verschiedene Ausbildungs- und Qualifikationsstufen und damit verbundene Kompetenzen im nichtärztlichen Rettungsdienst 10. Um auch in ländlichen Regionen eine hochwertige Notfallversorgung zeitnah zu ermöglichen, empfiehlt die Regierungskommission, abhängig von der Krankenhausplanung des Bundeslandes, einen Ausbau des Luft rettungsdienstes, insbesondere durch Ausbau von Landemöglichkeiten und Nachtbetrieb.27 Der Transfer zwischen Kliniken und weiteren Ge- sundheitseinrichtungen muss ausgebaut, einheitlich geregelt und mit der Notfallrettung verknüpft werden. Es darf nicht der (in der Regel kleine- ren) Klinik überlassen bleiben, eine adäquate Ressource zum Transport eines kritisch Kranken in ein Zentrum zu organisieren. 11. Die allgemeine Gesundheitskompetenz (health literacy) muss gesteigert werden; das gilt insbesondere auch für die Kompetenz zur Eigenbehand- lung von akuten Gesundheitsbeschwerden bis zur Erreichbarkeit eines Arztes. 26 Dies ist beispielsweise in Australien, dem Vereinigten Königreich, den USA, Kanada, Norwegen und Finnland der Fall. 27 Dahmen et al., Deutsches Ärzteblatt 2023. https://www.aerzteblatt.de/archiv/230932/Flaechendeckende- Notfallreform-Luftrettung-massgeblicher-Faktor. 13 12. Empfohlen wird eine strukturierte Einbeziehung der Bevölkerung in die Notfallversorgung durch a. verpflichtende Ausbildung zur „Ersten Hilfe“, insbesondere zum Thema „Reanimation“, in den Grund- und weiterführenden Schulen und am Arbeitsplatz. Hierfür sind interministerielle Initia- tiven, u. a. unter Einbezug der Kultusministerkonferenz, erforderlich. Ein Schulfach „Gesundheitskompetenz“ erscheint erstrebenswert. b. Einführung flächendeckender und vernetzter Ersthelfer-Apps (z. B. „Katretter28“), die mit verpflichtenden AED29-Registern der Leitstel- len vernetzt sind. c. flächendeckendes Aufstellen von öffentlich zugänglichen Defibrilla- toren (Public-Access-AED, PA-AED) (mindestens in Sportstätten, an- deren Veranstaltungsorten, öffentlichen Gebäuden und öffentlichen Verkehrsmitteln) sowie deren Erfassung in einheitlichen Registern, die die Leitstellen pflegen. Die Leitstellen müssen im Verdachtsfall Ersthelfer mit PA-AED digital per App alarmieren.30 d. Förderung des Ehrenamtes und Community First Responder- Strukturen, insbesondere in strukturschwachen Gebieten. 13. Vulnerable Gruppen sollten gesondert über die individuelle Notfallvor sorge (advanced care planning) aufgeklärt und hierzu ermutigt werden. 14. Für sog. „frequent-user“ der Notfallversorgungsstrukturen muss ein Case-Management zur Prüfung einer adäquaten Versorgung der Hilfe- suchenden eingerichtet werden, um Fehlnutzungen zu verringern. 15. Finanzierung des Rettungsdienstes inkl. der Leitstellen: Die Betriebs- und Vorhaltekosten des Rettungsdienstes sind von den Krankenkassen zu tragen. a. Mit Umsetzung der Empfehlung 1 (siehe oben) werden die Leistun gen der Leitstelle, die Notfallversorgung vor Ort, der Notfalltrans port und die zusätzlichen Dienste wie pflegerische Notfallversor- gung durch die Krankenkassen vergütet. b. Hierfür werden auf bundeseinheitlicher Grundlage durchgängig die Krankenkassen und Leistungserbringer verpflichtet, Entgelte zu verhandeln (Änderung von § 133 SGB V). Für den Fall der Nichteini- gung ist eine Konfliktlösungsstrategie festzulegen. 28 https://katretter.de/. 29 Automatisierter externer Defibrillator. 30 Die lebensrettende Wirksamkeit von PA-AED wurde u. a. in dieser Studie gezeigt: Karlsson, L. et al. Automa- ted external defibrillator accessibility is crucial for bystander defibrillation and survival: A registry-based study. Resuscitation 2019; 136: 30–37. 14 c. Die Vergütung des Rettungsdienstes (inkl. der Leitstellenleistungen) sollte sich aus einem Basis- (= Vorhalte-) und einem variablen (= Leistungs-)Anteil zusammensetzen und ist, wie oben dargelegt, von den Krankenkassen zu tragen. Aufgrund des wenig planbaren Charakters der Notfallversorgung ist es in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Regierungskommission zur Reform der Krankenhausfinanzierung hier besonders angezeigt, die Vorhalte kosten über nicht-leistungsgebundene Pauschalen zu vergüten. d. Zum Ausgleich regionaler Kostenunterschiede können regional spezifische Anpassungsfaktoren auf die bundesweit geltenden Ent- gelte vereinbart werden. Eine geringe Häufigkeit von Einsätzen, etwa in dünn besiedelten Regionen, sollte über den o. g. Vorhalteanteil be- rücksichtigt werden. e. Entsprechend der Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr sind die notwendigen Investitionen für den Rettungsdienst (inkl. der Leit- stellen) durch die Länder und die Kommunen zu tragen. Um eine ausreichende Investitionsfinanzierung in allen Teilen Deutschlands sicherzustellen, sind die oben genannten Qualitätsvorgaben und bundesweiten Notfallversorgungsregister und die damit verbunde- ne Transparenz auch über die Investitionen eine wesentliche Maß- nahme.31 Weitere Anreiz-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanis men hinsichtlich einer angemessenen Investitionsfinanzierung sollten politisch beraten werden. f. Gesetzlich sollte die Querfinanzierung von nichtmedizinischen Leistungen, z. B. für den Brandschutz, durch die Krankenkassen ausgeschlossen werden. g. Als mittel- oder langfristiges Ziel könnte einerseits eine monistische Finanzierung des Rettungsdienstes (inkl. der Leitstellen) durch die Krankenkassen – einschließlich Investitionen und Vorhaltung – Vorteile bedeuten. Dies würde eine bessere Abstimmung von Inves- titionen, Bedarf und Inanspruchnahme ermöglichen. Hierzu wäre eine aus drei Säulen bestehende Finanzierung denkbar. Vorhaltefi- nanzierung und leistungsabhängige Finanzierung wären die erste und die zweite Säule und könnten im Verhältnis 3 : 2 stehen. Als drit- te Säule wäre eine Investitionskostenfinanzierung in Höhe von min- destens 8 % der Summe der ersten beiden Säulen zu ergänzen. Für die Übernahme der Investitionskosten durch die Krankenkassen wäre dann zum einen ein angemessener Ausgleich durch die Kommunen und Ländern festzulegen und zum anderen wäre den Krankenkassen ein Entscheidungsrecht über Ausstattung und Leistungen des Ret- 31 Ein Beispiel für bundesweit einheitliche Planungsvorgaben für die Infrastruktur wären bundeseinheitliche Hilfsfristen (Zeit bis zum Eintreffen adäquater Hilfe am Einsatzort) als Grundlage für die Verteilung von Rettungswachen. 15 tungsdienstes inkl. der Leitstellen sowie eine größere Transparenz über das Leistungsgeschehen zu gewähren. Den Kommunen wäre dann ein Mitspracherecht bezüglich der Investitionen einzuräumen. Andererseits sind die Leitstellen in vielen Regionen Deutschlands nicht nur für medizinische Notfälle zuständig, sondern für einen weiten Bereich der Gefahrenabwehr, zum Beispiel durch Polizei oder Feuerwehr (Brandbekämpfung). Dies ist ein Argument für die Beibe- haltung der Investitionsfinanzierung durch Länder und Kommunen, die für die Gefahrenabwehr zuständig sind. Eine Finanzierung nicht- medizinischer Gefahrenabwehr durch die Krankenkassen ist abzu- lehnen. 16 Diese Stellungnahme und Empfehlung ist im Internet abrufbar unter: www.bundesgesundheitsministerium.de/krankenhauskommission-stellungnahme-rettungsdienst.pdf Diese Stellungnahme und Empfehlung wurde von der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung ohne Gegen- stimme bei einer Enthaltung verabschiedet. Mitglieder der Regierungskommission sind (in alphabetischer Reihenfolge): Prof. Dr. Boris Augurzky Prof. Dr. Tom Bschor Prof. Dr. Reinhard Busse Prof. Dr. Jörg Dötsch Michaela Evans Prof. Dr. Dagmar Felix Irmtraud Gürkan Dr. Heidemarie Haeske-Seeberg Prof. Dr. Martina Hasseler Prof. Dr. Stefan Huster Prof. Dr. Christian Karagiannidis Prof. Dr. Thorsten Kingreen Prof. Dr. Heyo Kroemer Prof. Dr. Laura Münkler Prof. Dr. Jochen Schmitt Prof. Dr. Rajan Somasundaram Prof. Dr. Leonie Sundmacher 17 Impressum Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung Leiter und Koordinator: Prof. Dr. med. Tom Bschor c/o Bundesministerium für Gesundheit Mauerstraße 29, 10117 Berlin Postanschrift: 11055 Berlin [email protected] Veröffentlichung: 7. September 2023 18