39 Depression - Verhaltenstherapie in der Praxis PDF
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Sigmund Freud Privatuniversität
Nikola M. Stenzel, Simon Bollmann, Eva-Lotta Brakemeier
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This document provides an in-depth analysis of depression, covering diagnosis, comorbidities, and treatment strategies using cognitive behavioral therapy. It explains diagnostic criteria, symptoms, and potential contributing factors, along with various treatment approaches and recommendations.
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39 Depression Nikola M. Stenzel Simon Bollmann Eva-Lotta Brakemeier 39.1 Diagnostik, Komorbidität und Differenzialdiagnostik Die Depression zählt gemeinsam mit den Bipolaren Störungen (Kap. 38) zu den...
39 Depression Nikola M. Stenzel Simon Bollmann Eva-Lotta Brakemeier 39.1 Diagnostik, Komorbidität und Differenzialdiagnostik Die Depression zählt gemeinsam mit den Bipolaren Störungen (Kap. 38) zu den affektiven Störungen. Nach ICD-10 werden folgende Diagnosen unter den affektiven Störungen (F3) subsumiert: manische Episode (F30), bipolare affektive Störung (F31), depressive Episode (F32), rezidivierende depressive Störung (F33) sowie anhaltende affektive Störungen (F34). In den meisten Fällen verläuft die Depression episodisch (d. h. mit benennbarem Anfang und Ende), in bis zu 30 Prozent der Fälle nimmt sie jedoch einen chronischen Verlauf (Dauer länger als 2 Jahre; vgl. Kap. 56). Nach den gängigen Diagnosesystemen wird eine depressive Episode (ICD-10) bzw. eine Major Depression diagnostiziert, wenn über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen mindestens zwei Kernsymptome sowie zwei Zusatzsymptome vorliegen (nach DSM-IV bzw. DSM-5: 3 Zusatzsymptome). Tabelle 39.1 beschreibt die Diagnosekri- terien einer depressiven Episode nach ICD-10 im Detail (Dilling & Freyberger, 2013). Teil V Tabelle 39.1 Kern- und Zusatzsymptome der depressiven Episode nach ICD-10 (F32 & F33) Kern- und Zusatzsymptome der depressiven Episode nach ICD-10 (F32 & F33) Müssen über mindestens 2 Wochen bestehen: (I) Kernsymptome (mind. 2) " gedrückte oder traurige Stimmung, z. T. auch als vermehrte Reizbarkeit " Interessenverlust oder Freudlosigkeit " verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit (II) Zusatzsymptome (2 = leicht, 3–4 = mittel, alle von I & mind. 4 von II = schwer) " verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit " vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen " Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit " negative und pessimistische Zukunftsperspektiven " Suizidgedanken / erfolgte Selbstverletzungen oder Suizidhandlungen " Schlafstörungen " verminderter Appetit Komorbidität. Depressive Störungen treten selten isoliert auf. In Studien an repräsen- tativen Bevölkerungsstichproben findet sich in ca. drei Viertel der Fälle zumindest eine weitere Diagnose. Zu den häufigsten Komorbiditäten zählen Angststörungen, Zwänge, Süchte, Essstörungen, Somatoforme Störungen und Persönlichkeitsstörungen. Selte- ner wird die Depression von schizophrenieformen Störungen, Demenzerkrankungen und chronischen (körperlichen) Krankheiten begleitet (vgl. Pieper et al., 2008). 500 39 Depression Epidemiologie. In den letzten Jahren wurden in den westlichen Industrienationen mehrere repräsentative epidemiologische Untersuchungen durchgeführt. Insgesamt sind Frauen ca. doppelt so häufig von affektiven Störungen betroffen wie Männer (vgl. Tab. 39.2). Das Ersterkrankungsalter liegt Studien zufolge zwischen 25 und 35 Jahren (de Graaf et al., 2003). Generell nehmen die Erkrankungsraten tendenziell in jüngeren Altersgruppen zu. Tabelle 39.2 12-Monats-Prävalenz affektiver Störungen in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung (vgl. Jacobi et al., 2014b) Affektive Störungen Unipolare Depres- Major Depression Dysthyme Störung insgesamt sion Frauen 13,1 % 11,3 % 9,5 % 2,1 % Männer 6,4 % 5,2 % 4,0 % 1,2 % Gesamt 9,8 % 8,2 % 6,8 % 1,7 % 39.2 Verhaltenstherapeutische Ziele und Strategien Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist – neben der Psychoanalyse – die älteste und von allen Psychotherapieformen die am häufigsten evaluierte Behandlungsform für dieses Störungsbild (z. B. Cuijpers et al., 2008). Teil V Bezüglich ätiologischer KVT-Theorien sei zunächst die Verstärkerverlust-Theorie (z. B. Lewinsohn et al., 1979) genannt, nach der ein Mangel an verhaltenskontingenter positiver Verstärkung (»Belohnung«) als entscheidende Variable für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Depression angesehen wird. Kognitionspsychologische Sichtweisen gehen davon aus, dass negativ-verzerrte Sichtweisen des Selbst, der Welt und der Zukunft (»kognitive Triade«) sowie eine mangelnde Informationsverarbei- tung sich infolge dysfunktionaler kognitiver Grundannahmen bei depressiven Erkran- kungen manifestieren (Beck, 1976; Clark et al., 1999). Weitere kognitive Theorien (z. B. der erlernten Hilflosigkeit; Seligman, 1975) besagen, dass das Erleben einer nicht- kontrollierbaren aversiven Situation bei Vorliegen bestimmter Attributionsprozesse (Weiner, 1986) zu einer gelernten Hilflosigkeit bzw. Hoffnungslosigkeit führt. In modernen kognitiv-behavioralen Theorien wird angenommen, dass die Genese einer Depression anhand eines komplexeren Vulnerabilitäts-Stress-Modells beschrieben werden kann (vgl. Hautzinger, 2013). ! Unipolare Depressionen entstehen, wenn bei einem Individuum situative Auslöser auf eine Konstellation von realitätsfremden, verzerrten, negativen Kognitionen gepaart mit gelernter Hilflosigkeit und Verhaltensdefiziten sowie einem Mangel an positiv verstärkenden Aktivitäten stoßen (vgl. Brakemeier & Hautzinger, 2008). 39.2 Verhaltenstherapeutische Ziele und Strategien 501 Lizenziert für Benjamin Klammer 153162 Ziele der KVT bei Depression Im Rahmen einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung werden folgende Ziele verfolgt: (1) Entwicklung eines individuellen Entstehungsmodells der Depression (2) Formulieren von Behandlungszielen (3) Steigerung positiv erlebter Erfahrungen und Erreichen einer Balance von ange- nehmen, verstärkenden Aktivitäten und Pflichten bzw. aversiven Aktivitäten (4) Überwindung der sozialen Defizite durch Verbesserung der interaktionellen Kompetenzen sowie eine Korrektur überzogener Ansprüche und Einstellungen (5) Aufbau eines differenzierenden, relativierenden, auf das konkrete Verhalten bzw. die konkrete Erfahrung und Situation bezogenen Denkens (6) Umgang mit suizidalen Krisen, Notfallplanung, Stabilisierung (7) Rückfallprophylaxe Um diese Ziele zu erreichen, bietet die KVT eine Fülle von Strategien (vgl. Teil III), beispielsweise " Psychoedukation, " behaviorale Strategien zur Verhaltensaktivierung und Verhaltensänderung, " kognitive Techniken und Strategien zur Veränderung dysfunktionaler Kognitionen und Grundüberzeugungen (einschl. Gesprächsführung basierend auf sokratischem Dialog), Teil V " Rollenspiele, Modelllernen und Shapingprozesse zur Vermittlung sozialer Fertig- keiten. 39.3 Praktische Durchführung 39.3.1 Übersicht über die praktische Durchführung Ein strukturiertes, problemzentriertes, lösungsorientiertes Vorgehen ist eine wichtige Basis für die KVT (Hautzinger, 2013). In Tabelle 39.3 sind wichtige allgemeine Voraussetzungen und Grundelemente einer KVT bei Depression dargestellt. Tabelle 39.3 Voraussetzungen und Grundelemente einer KVT der Depression (vgl. Brakemeier & Hautzinger, 2008; Grawe, 1992; Sachse, 2005; Speierer, 2015; Zimmer, 2011) Therapie " psychoedukativ, direktiv, strukturiert " problemorientiert, zielorientiert, lösungsorientiert " fertigkeitsorientiert, Ziel: Erwerb von Kontrolle und Kompetenzen " wichtiger Bestandteil: Übungen zum Neulernen " Hausaufgaben als Bestandteil der Therapie " zeitlich begrenzt Therapeut " Stil: interessiert, aktiv, direktiv, transparent, freundlich, positiv, unterstüt- zend, bei Bedarf konfrontativ " Variablen: Warmherzigkeit, Empathie, unkonditionale Akzeptanz 502 39 Depression Tabelle 39.3 (Fortsetzung) " Erklärungen, Rückmeldungen, Zusammenfassungen gebend " professionell, sicher " beachtet, was Patient während Interaktion bei ihm auslöst Patient " aktiver Problemlöser Therapeutische " kooperatives, aktives Arbeitsbündnis Beziehung " symmetrische, komplementäre Beziehung Evaluation " regelmäßiges objektives Erfassen der depressiven Symptomatik Vereinfacht dargestellt basiert das zugrunde liegende psychologische Therapiemodell der KVT auf dem sogenannten Dreiecksmodell der Depression, welches die wechsel- seitige positive wie auch negative Beeinflussung von Verhalten, Gedanken (Kognitio- nen) und Gefühlen (Emotionen) postuliert (s. Abb. 39.1). Dabei setzen die klassischen KVT-orientierten Techniken (Aktivitätsaufbau Kap. 17, Kognitive Techniken Kap. 19) meist an den Eckpunkten »Verhalten« bzw. »Kognitionen« des Dreiecks an, da sich Emotionen nur begrenzt direkt beeinflussen lassen. Gedanken (Kognitionen) Teil V Verhalten Gefühle (Emotionen) Abbildung 39.1 Dreiecksmodell der Depression Tabelle 39.4 beinhaltet eine Übersicht über verschiedene Module der KVT bei Depression. Tabelle 39.4 Module oder Phasen der KVT einer Depression (vgl. Hautzinger, 2013) Module Inhalt Modul 1 Therapeutisches Basisverhalten im Umgang mit depressiven Patienten, Vermittlung des therapeutischen Rationals Modul 2 Verhaltensaktivierung, Tagesstrukturierung, Aufbau positiver Aktivitäten, Abbau von Belastungen Modul 3 Veränderung von Kognitionen, kognitive Umstrukturierung, Werte, Ziele, metakognitive Vorgehensweisen Modul 4 Kompetenzsteigerung, Erlernen neuer Fertigkeiten, Verbesserung sozialer Fertigkeiten, Achtsamkeit, Problemlösen Modul 5 Erkennen von depressiven Einbrüchen und Beginn neuer Episoden, Notfall- planung, Beibehaltung des Therapieerfolgs 39.3 Praktische Durchführung 503 Lizenziert für Benjamin Klammer 153162 Hautzinger versteht die Module als Vorschläge zum Vorgehen bei der Behandlung. Er betont, dass es sich dabei um eine Strategiesammlung handelt, vor deren Hintergrund der Therapeut patientenzentriert vorgehen und sich nach den individuellen Be- dürfnissen des Betroffenen richten sollte (vgl. personalisierte Psychotherapie, Einfüh- rung sowie Abschn. 12.4). 39.3.2 Darstellung der praktischen Durchführung an einem Fallbeispiel Fallbeispiel Herr T. (28 J.) berichtet, dass er seit Jahren an wiederkehrenden Phasen nieder- geschlagener Stimmung leide, in denen er sich hoffnungslos fühle und »keinen Antrieb mehr« verspüre. Aktuell fehle es ihm wieder an Lebensfreude, er fühle sich traurig, könne sich zu nichts aufraffen und leide unter Schlafstörungen. Sein Befinden habe auch Auswirkungen auf sein Studium (Physik). Irgendwann im letzten Semester sei er einfach nicht mehr an die Uni gegangen, obwohl eigentlich nur noch die Abschlussprüfungen und eine Hausarbeit zu bewältigen gewesen wären. Den Kontakt zu seinen Kommilitonen habe er daraufhin (bis auf einen guten Freund) komplett abgebrochen. Auch zum Basketball (Unisport) sei er nicht mehr gegangen, obwohl ihm das immer viel bedeutet habe. Dass seine Eltern sein Studium finanzieren würden, mache die Sache nicht besser, sondern verstärke seine Teil V Versagens- und Schuldgefühle noch, zudem sie ihm häufig Vorwürfe machten. (1) Sie fühlen sich nieder- (1) Ihre Stimmung wird besser, geschlagen und haben keine Sie planen weitere Dinge, Lust, etwas zu tun. die Ihnen Spaß machen. (2) Sie haben im Alltag keine (2) Heute tun Sie außer Ihren positiven Erlebnisse. Pflichten etwas, das Ihnen (3) Ihre Stimmung wird Spaß macht. schlechter und Sie tun nur (3) Sie freuen sich über Ihren noch das Nötigste. Erfolg, die Laune wird besser. (4) Sie haben nichts mehr, (4) Sie raffen sich auf und an dem Sie sich freuen können. machen etwas, das Sie (5) Ihre Stimmung ist auf dem schon lange tun wollten. Nullpunkt, alles ist zu viel. Abbildung 39.2 Depressions- und Aktivierungsspirale (vgl. Hautzinger, 2013, S. 96 ff.) Interventionen zum Aufbau positiver Aktivitäten und zum Abbau von Belastungen Eine wichtige Rolle in der Behandlung depressiver Erkrankungen spielt die Verhaltens- aktivierung (Kap. 17). Dabei sollen durch einen Aufbau positiver Aktivitäten allmäh- lich angenehme Gefühle erreicht und gleichzeitig negative, belastende Erfahrungen 504 39 Depression reduziert werden. Um den Patienten die Relevanz von Verhaltensaktivierung zu verdeutlichen, wird ihnen das Konzept der Depressionsspirale bzw. der Aktivierungs- spirale vermittelt (vgl. Abb. 39.2). Im weiteren Verlauf werden die Patienten zur Selbstbeobachtung angeleitet. Ein wichtiges Instrument dafür ist der Wochenplan. Darin sollen die Patienten Stunde für Stunde notieren, was am jeweiligen Tag passiert ist bzw. welche Aktivitäten sie ausgeführt haben. Gleichzeitig sollen die Patienten ihr Befinden (z. B. auf einer Skala von – – bis + +) einschätzen (Beispiel s. Tab. 39.5). Tabelle 39.5 Wochenplan von Herrn T. (Auszug) Zeit Montag Dienstag 8–9 wach, im Bett gelegen, gegrübelt (– –) aufgestanden, Bad (–) 9–10 spät aufgestanden, Bad (– ) Frühstück, Kaffee, Zeitung lesen (+ / –) 10–11 Kaffee, Serie geguckt (– – ) Computer, Übungsaufgaben bearbeitet (+ / –) 11–12 Computer angemacht, nichts geschafft (–) Computer, Übungsaufgaben bearbeitet (+ / –) 12–13 Kaffee, Essen, Serie geguckt (–) Kaffee, Essen, Zeitung (+ / –) 13–14 Telefonat mit Freund (+ / –) Couch, Serie geguckt (+ / –) 14–15 Computer, Übungsaufgaben bearbeitet (+ / –) Couch, Serie geguckt (–) Kaffee, Zeitung lesen (+ / –) Couch, eingeschlafen Teil V 15–16 16–17 Serie geguckt (+ / –) Serie geguckt (– –) 17–18 Serie geguckt (–) Anruf von Freund (+ / –) 18–19 Serie geguckt (– –) Einkauf (+ / –) 19–20 Telefonat mit Mutter, Verwürfe (– –) Essen, Zeitung lesen (+ / –) 20–24 Fernsehen, Essen, auf Couch eingeschlafen Couch, Buch gelesen (+ / –), ins Bett (23.00) (–) In der Anfangsphase der Behandlung dient der Wochenplan vor allem der Selbstbeob- achtung. Die Patienten sollen Zusammenhänge zwischen ihrem Verhalten / bestimm- ten Gegebenheiten und ihrer Stimmung erkennen (z. B. scheinen sich Aktivitäten wie »Serie gucken«, »grübelnd im Bett liegen« oder »Vorwürfe der Mutter« negativ auf die Stimmung von Herrn T. auszuwirken). Dazu wertet der Therapeut gemeinsam mit dem Patienten den jeweiligen Wochenplan aus und erarbeitet konkrete Zusammen- hänge zwischen dem Verhalten des Patienten (bzw. bestimmten Ereignissen) und dessen Befinden. Im späteren Verlauf dient der Wochenplan auch dazu, aktiv eine Tagesstruktur zu erarbeiten und Aktivitäten konkret zu planen. Hautzinger (2013) unterscheidet in diesem Kontext sogenannte »Typ-A«- und »Typ-B«-Aktivitäten. Mit Typ-A sind Aktivitäten gemeint, die eine Person als neutral / unangenehm erlebt, die jedoch aus- 39.3 Praktische Durchführung 505 Lizenziert für Benjamin Klammer 153162 geführt oder erledigt werden müssen. Als Typ-B bezeichnet er dagegen Aktivitäten, die eine Person als angenehm erlebt, die aber nicht unbedingt ausgeführt werden müssen. ! Ziel der Interventionen zur Verhaltensaktivierung ist es, dass die Patienten langfristig ein angemessenes Aktivitätsniveau im Alltag bzw. ein ausgeglichenes Maß zwischen Typ-A- und Typ-B-Aktivitäten erreichen. Über mehrere Sitzungen hinweg wird gemeinsam mit den Patienten erarbeitet, wie sie depressionsfördernde Aktivitäten (im Beispiel von Herrn T.: Fernsehen, morgens lange im Bett liegen und grübeln, sozialer Rückzug) reduzieren und durch angemes- sene Aktivitäten ersetzen können. Vielen Patienten mit einer depressiven Erkrankung fällt es in akut depressiven Phasen schwer, sich daran zu erinnern, welche Aktivitäten ihnen überhaupt angenehm sind bzw. Freude bereiten. In diesem Zusammenhang kann die Liste angenehmer Aktivitäten (vgl. Hautzinger, 2013) helfen, Anregungen für entsprechende Aktivitäten zu sammeln. Insgesamt ist es wichtig, dass der Therapeut bei der gesamten Verhaltensaktivierung behutsam (= im Tempo des Patienten) vorgeht und das Aktivitätsniveau allmählich ausweitet, damit eine langfristige Stabilisierung erreicht werden kann. Kognitive Techniken Die typischen Denkstile depressiver Personen werden von Beck (1976) als »einseitig« Teil V oder »unreif« beschrieben, nicht-depressives Denken bezeichnet er dagegen als »re- flexiv« oder »reif«. Kognitive Techniken haben zum Ziel, dass der Patient lernt, dysfunktionale Gedanken und ihre Auswirkungen selbstständig zu erkennen, zu hinterfragen und durch funktionale Gedanken zu ersetzen (vgl. Kap. 19). Im ersten Schritt geht es darum, dass der Patient lernt, automatische Gedanken überhaupt zu erkennen und den Unterschied zwischen auslösenden Ereignissen, Gedanken und Gefühlen versteht. Hierzu kann der Therapeut das 3-Spalten-Protokoll (vgl. Tab. 39.6) nutzen. Im weiteren Verlauf werden gemeinsam mit dem Patienten Regelhaftigkeiten erarbeitet (Welche automatischen Gedanken und kognitiven Fehler treten wiederholt Tabelle 39.6 Ausgefülltes 3-Spalten-Protokoll von Herrn T. Auslöser Automatische Gedanken Gefühle, Beschwerden, (internales / externales Ereignis) Stimmung Ich sitze vor meinem Computer und »Ich bin einfach zu blöd für das Traurigkeit, Scham, Verzweiflung habe Probleme, die Übungsaufgabe zu Studium.«, »Ich schaff das lösen. nicht.«, »Am besten sollte ich mich gleich exmatrikulieren.« Ich sitze am Nachmittag vor meiner »Mist, schon wieder nichts Niedergeschlagenheit, Enttäuschung Serie und plötzlich fällt mir auf, dass geschafft.«, »Jetzt lohnt es eh über sich selbst wieder drei Stunden vorbei sind. nicht mehr anzufangen.« 506 39 Depression im Kontext welcher Auslöser auf? Welche wiederkehrenden Themen?). Die Selbst- beobachtung wird über mehrere Sitzungen hinweg durchgeführt, der Patient soll sie zunehmend selbstständig (z. B. als Hausaufgabe) weiterführen. Sind dem Patienten diese Zusammenhänge klar und geläufig, wird daran gearbeitet, automatische Gedanken und kognitive Muster zu beeinflussen. Ein wichtiges Mittel hierfür ist der sokratische Dialog (vgl. Kap. 19). ! Mithilfe des sokratischen Dialoges sollen die Patienten durch gelenktes Fragen in die Lage versetzt werden, selbst zu entdecken, dass ihre gewohnte Art zu denken nur eine mögliche Form ist und dass es für die Erklärung eines bestimmten Ereignisses auch andere Interpretationen gibt, die ebenso berechtigt bzw. sogar realitätsgerechter sind (vgl. Hautzinger, 2013, S. 156). Es geht also nicht darum, den Patienten »argumentativ an die Wand zu spielen« bzw. zu belehren, sondern darum, ihm zu helfen, eine andere (faire) Perspektive in Bezug auf seine eigenen Gedanken und Konzepte einzunehmen. Dazu werden zunächst einmal die automatischen Gedanken in einer bestimmten Situation zusammengetragen. Im weiteren Verlauf werden diese dann einzeln bear- beitet und systematisch hinterfragt. Dazu können verschiedene Techniken angewendet werden: Beispielsweise das Sammeln von Pro- und Contra-Argumenten für eine bestimmte Sichtweise, die Realitätstestung, das Entkatastrophisieren, der Rollen- Teil V tausch, aber auch das Durchführen von Verhaltensexperimenten (s. Therapiedialoge Kap. 19). Am Ende des Prozesses soll der Patient alternative, rationalere Gedanken zu seinen automatischen Gedanken entwickeln. Für diesen Prozess kann das 3-Spalten- Protokoll um zwei Spalten erweitert werden (vgl. Tab. 39.7). Während der kognitiven Interventionen sollte sich der Therapeut immer bewusst sein, dass die tatsächliche und nachhaltige Veränderung von Konzepten sehr lang- wierig sein kann und viel Übung erfordert. Aus diesem Grund sollte er nicht zu rasch vorgehen und dem Patienten Zeit lassen, selbst auf Lösungen der Probleme zu kommen. Zur Generalisierung und Stabilisierung der Effekte sollten die Übungen zudem als Hausaufgabe vorgegeben werden. Tabelle 39.7 Ausgefülltes 5-Spalten-Protokoll von Herrn T. Situations- Gefühle Automatische Ge- Rationalere Gedanken Ergebnis beschreibung danken Ich sitze vor meinem Traurigkeit, »Ich bin einfach Ich habe Schwierigkeiten, diese etwas zuversicht- Computer und habe Scham, Ver- zu blöd für das spezielle Aufgabe zu verstehen. licher, Probleme, die zweiflung Studium.« Das heißt aber nicht, dass ich noch etwas ver- Übungsaufgabe zu 85 »Ich schaff das generell für das Studium nicht zweifelt lösen. nicht.« intelligent genug bin. 40 Vor meiner Depression bin ich auch ganz gut mitgekommen. 39.3 Praktische Durchführung 507 Lizenziert für Benjamin Klammer 153162 Identifikation bzw. Modifikation dysfunktionaler Grundannahmen. Im weiteren Thera- pieverlauf wird der Schwerpunkt der kognitiven Interventionen zunehmend auf die Identifikation und Modifikation dysfunktionaler Grundannahmen gelegt. Hierzu können auch Techniken wie Rollentausch, Stuhldialoge oder Rollenspiele eingesetzt werden. Ideen und Anregungen für entsprechende Interventionen finden sich im Kapitel 19 in diesem Buch, sowie bei Leahy (2007), Beck (2013), Hautzinger (2015) und Wilken (2015). Weitere häufige kognitiv-behaviorale Interventionen Sehr häufig werden bei Depressionen weitere Fertigkeitstrainings (Problemlösetrai- ning, vgl. Kap. 21; Training sozialer Kompetenzen, vgl. Kap. 20) sowie ein Training der Genussfähigkeit (vgl. Kap. 16) durchgeführt. Je nach der spezifischen Indikations- stellung können diese Interventionen relativ früh (parallel zur Verhaltensaktivierung) eingeleitet werden oder erst im späteren Verlauf (nach der Bearbeitung dysfunk- tionaler Kognitionen und der Veränderung von Grundüberzeugungen). Verbesserung sozialer und interaktiver Kompetenzen. Depressive Patienten haben häufig wenig oder stark belastete soziale Kontakte. Eine Besserung der depressiven Symptomatik allein ist oft nicht ausreichend, um das zu verändern, da viele Betroffene Defizite in sozialen Fertigkeiten aufweisen. Dadurch wird auch die Verhaltensaktivie- rung erschwert. Es bedarf also oft spezifischer Interventionen zur Verbesserung der sozialen Fertigkeiten. Um die sozialen Kompetenzen des Patienten zu stärken, kann der Therapeut auf Teil V verschiedene Techniken zurückgreifen (Kap. 20). Die Basis entsprechender Interven- tionen ist meist das praktische Einüben sozial kompetenter Verhaltensweisen im Rollenspiel, ggf. mit Videofeedback (z. B. eigene Bedürfnisse ausdrücken, sich abgren- zen, soziale Kontakte initiieren). Im Fall von Herrn T. wurden in der Therapie folgende Übungen immer wieder durchgeführt: anderen freundlich zu widersprechen und ihnen Grenzen aufzuzeigen (z. B. gegenüber den vorwurfsvollen Eltern) oder frühere soziale Kontakte (z. B. ehemalige Kommilitonen, Sportkameraden vom Unisport) wieder zu vertiefen. Gerade bei depressiven Patienten ist es wichtig, im Rahmen der Übungen kleinschrittig vorzugehen und die Betroffenen nicht zu überfordern. Auch der Kiesler-Kreis aus dem Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) bietet sehr gute Möglichkeiten, soziale Fertigkeiten gezielt und speziell angepasst an die Besonderheiten des Störungsbilds zu fördern (vgl. Kap. 56). Einbezug von Angehörigen. Bei chronischen Beziehungskonflikten bietet es sich an, den Partner im Sinne eines Kommunikationstrainings in die Behandlung mit einzubezie- hen (vgl. Kap. 22). In diesem Zusammenhang können beispielsweise Fertigkeiten zur effektiven Konfliktlösung eingeübt oder das dyadische Coping verbessert werden (vgl. Schindler et al., 1998; Bodenmann, 2012). Aber auch wenn keine chronischen Be- ziehungsprobleme vorliegen, ist es sinnvoll, den Partner bzw. wichtige Bezugspersonen mindestens einmal in die Behandlung einzubeziehen. So kann der Therapeut wertvolle Informationen über die Kommunikation des Patienten mit engen Bezugspersonen erhalten und sich ein objektiveres Bild vom Angehörigen machen, da Depressive auch 508 39 Depression ihre Angehörigen kognitiv verzerrt beschreiben können. Zudem sollte der Partner gemeinsam mit dem Patienten über die Erkrankung aufgeklärt werden und es können Absprachen für den Fall akuter depressiver Krisen getroffen werden. Rückfallprophylaxe Ein weiterer wichtiger Aspekt der Behandlung sollte eine umfassende Rückfallpro- phylaxe sein (vgl. Kap. 28). Dadurch sollte der Patient in die Lage versetzt werden, ein Wiederauftreten bzw. eine Verschlechterung der Symptomatik frühzeitig zu erkennen und geeignete Methoden erlernen, um dem entgegenzusteuern. Es sollte zudem ein individueller Notfallplan für emotionale Krisen erstellt werden. Dafür bespricht der Therapeut mit dem Patienten im Vorfeld potenzielle Auslöser und erprobt mit ihm individuelle Strategien. Fallbeispiel In der Endphase der Behandlung regt der Therapeut Herrn T. dazu an, potenzielle kritische Situationen zu antizipieren und Strategien zu entwickeln, wie er damit umgehen kann. T: Gibt es in den nächsten Wochen und Monaten Situationen, bei denen Sie sich vorstellen könnten, wieder in die alten Verhaltensmuster zurückzufallen? P: Ja – ich denke, wenn die Blockprüfungen zum Ende des Studiums anstehen, dann könnte es wieder schwieriger werden. Teil V T: Was könnte dann passieren? P: Da muss ich wieder viel lernen und ich habe dann keine Zeit mehr rauszugehen oder etwas zu unternehmen und meine Eltern würden mich ständig auf die Prüfungen hinweisen. T: Würden Sie dann wirklich die ganze Zeit lernen? P: Na ja, wahrscheinlich würde ich auch wieder vor dem PC sitzen und mir Gedanken machen und eigentlich nicht lernen – oder zumindest nicht effektiv. Ich würde mir wieder nicht erlauben, auch mal Pause zu machen und ein paar Stunden etwas Schönes zu machen. T: Genau das wäre die Gefahr dabei. Was, meinen Sie, könnte Ihnen helfen, in dieser Zeit mehr auf sich zu achten und auch Pausen einzuhalten? P: Vielleicht so etwas wie ein Lernplan, in dem auch Pausen und Zeit für Basketball eingeplant sind? Den könnte ich ja dann auch meinen Eltern zeigen … Und ich sollte meinen Freund einbeziehen, er könnte zum Basketball mitkommen. Das würde mich dann motivieren tatsächlich auch hinzugehen. T: Genau, sehr gut! Möchten Sie einen solchen Lernplan zur nächsten Sitzung vielleicht schon einmal vorbereiten? 39.4 Weitere Therapievarianten Psychotherapeutische Ansätze. Abgesehen von der »klassischen« KVT-Behandlung werden zahlreiche andere Psychotherapieverfahren wie insbesondere natürlich auch psychodynamische Psychotherapien, systemische Therapien, Gesprächspsychothera- 39.4 Weitere Therapievarianten 509 Lizenziert für Benjamin Klammer 153162 pie und Problemlösetherapie zur Behandlung der Depression eingesetzt. Bedeutsame Neuentwicklungen wie die Mindfulness Based Cognitive Therapy zur Rückfallpräven- tion (MBCT, vgl. Kap. 60) oder CBASP zur Behandlung der chronischen Depression (vgl. Kap. 56) haben Wurzeln in der KVT. Mit der Interpersonellen Psychotherapie (IPT, Kap. 59) liegt zudem ein wirksames schulenübergreifendes Verfahren zur Depressionsbehandlung vor. Viele dieser genannten Verfahren haben auch spezifische Gruppentherapien zur Behandlung der Depression entwickelt (vgl. Kap. 73). Pharmakotherapeutische Ansätze. Neben psychotherapeutischen Ansätzen spielt auch die pharmakologische Behandlung bzw. die Kombination beider Verfahren eine wichtige Rolle. In Tabelle 39.8 findet sich eine Übersicht über wichtige antidepressiv wirksame Substanzen (vgl. DGPPN et al., 2015). Häufige Nebenwirkungen sind bei Grüner und Bschor (2006) einzusehen. Tabelle 39.8 Übersicht über Substanzen, die zur Depressionsbehandlung eingesetzt werden Substanz(-klassen) Substanzen (Beispiele) Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA) Amitriptylin, Imipramin, Maprotilin Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) Fluoxetin, Paroxetin, Citalopram Monoaminoxidase(MAO)-Inhibitoren Phenelzin, Moclomebid, Tranylcypromin Weitere Antidepressiva Venlafaxin, Mirtazapin, Trazodon Lithium (als Phasenprophylaktikum) Lithium Teil V Weitere Therapiemöglichkeiten. Abgesehen von Antidepressiva hat sich insbesondere die Elektrokonvulsionstherapie in der Akut-Behandlung von schweren und therapie- resistenten Depressionen als wirksam erwiesen, birgt allerdings das Risiko hoher Rückfallraten und kognitiver Nebenwirkungen (vgl. Brakemeier et al., 2014). Auch andere Stimulationsverfahren (wie repetitive transkranielle Magnetstimulation, Va- gusnerv- oder Tiefenhirnstimulation), Schlafentzug bzw. Wachtherapie, Lichtthera- pie, körperliches Training, Ergotherapie sowie Soziotherapie werden in der Behand- lung der Depression eingesetzt und beforscht. Zudem können auch Selbsthilfegruppen und technologiegestützte Interventionen hilfreich sein (für einen Überblick siehe z. B. Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression [S3-Leitlinien], DGPPN et al., 2015). 39.5 Typische Schwierigkeiten und Fehler Abklären von und Umgang mit Suizidalität Bei vielen depressiven Erkrankungen spielt das Thema »Suizidalität« eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund sollte der Therapeut darauf achten, sich direkt zu Beginn der Therapie ein Bild von der möglichen Suizidalität seines Patienten zu machen (Ein- schätzung unter Berücksichtigung typischer Risikofaktoren, vgl. Kap. 25). 510 39 Depression Auch im Verlauf der Behandlung sollte der Therapeut bezüglich einer möglichen Suizidalität immer wachsam bleiben. Stellt er bei seinem Patienten akute Suizidalität fest, muss er angemessene Maßnahmen (stationäre Einweisung, Medikation, Notfall- pläne) ergreifen. Patienten bei der kognitiven Umstrukturierung »an die Wand diskutieren« Die Disputation dysfunktionaler Kognitionen sollte immer auf dem sokratischen Dialog basieren. Ziel der kognitiven Umstrukturierung sollte es sein, dass der Patient selbst zu einer neuen Problemwahrnehmung und -bewertung kommt. Manche Therapeuten machen den Fehler, mit dem Patienten streng zu debattieren oder gar zu streiten, und versuchen, ihn auf diese Weise von ihrer Sichtweise zu überzeugen. Unter Umständen kann sich das zu einem regelrechten »Kreuzverhör« steigern, in dem der Therapeut durch kurze, schnell aufeinanderfolgende Fragen Druck aufbaut, sodass der Patient – argumentativ in die Ecke gedrängt – irgendwann aufgibt, jedoch ohne tatsächlich überzeugt zu sein. Ein anderer Fehler kann darin bestehen, dass die Therapeuten selbst Antworten auf ihre Fragen formulieren anstatt den Patienten die Antworten entwickeln zu lassen oder aber dass sie übersehen, dass der Patient im Moment nicht in der emotionalen Verfassung für eine kognitive Umstrukturierung ist. Diese fehlerhaften Fragetechniken können sich langfristig negativ auf die therapeu- tische Beziehung auswirken, zudem erreicht der Therapeut damit unter Umständen das Gegenteil von dem, was er eigentlich erreichen möchte. Statt den Selbstwert des Teil V Patienten durch seine Interventionen zu stärken, überhöht er sich selbst in der Rolle als »allwissender Therapeut«, was sich langfristig negativ auf den Erfolg der Behandlung auswirken kann. 39.6 Kritische Einordnung Hinsichtlich der Wirksamkeit von KVT-Interventionen zur Depressionsbehandlung in verschiedenen Settings und Altersgruppen liegt eine Vielzahl kontrollierter Studien (inkl. Metaanalysen) vor (z. B. Cuijpers et al., 2008, 2014a; DeRubeis et al., 2005). In den meisten Fällen ergibt sich für die KVT eine zumindest ebenbürtige Wirksamkeit im Vergleich zur Pharmakotherapie und eine höhere Effektivität im Vergleich zu Placebo-Bedingungen (z. B. stützende Gespräche, Wartelisten). Aber auch für andere psychotherapeutische Verfahren gibt es gute Wirksamkeitsbelege: Bei psychodynami- schen Verfahren gelten insb. psychodynamische Kurzzeittherapien als wirksam, wobei es auch vermehrt Hinweise zur Wirksamkeit von analytischen Langzeittherapien gibt (vgl. S3-Leitlinie; DGPPN et al., 2015). Aufgrund der nachgewiesenen Wirksamkeit wird auch die IPT zur Behandlung von Depressionen in Metaanalysen und Leitlinien eindeutig empfohlen (vgl. Cuijpers et al., 2011). Mehrere Studien zeigen, dass pharmakologische Interventionen kurzfristig ähnlich effektiv sind wie psychologische Interventionen, die Effekte der Psychotherapie jedoch möglicherweise langfristiger anhalten: Beispielsweise berichten Hollon und Mitarbei- 39.6 Kritische Einordnung 511 Lizenziert für Benjamin Klammer 153162 ter (2005) von geringeren Rückfallraten bei Patienten, die von einer KVT profitiert haben (30,8 %) als bei Patienten, die von einer medikamentösen Behandlung (SSRI) profitierten (76,2 %). In den letzten Jahren wurden zudem mehrere Studien zur Kombination von Psychotherapie und medikamentöser Therapie durchgeführt: In einer entsprechenden Metaanalyse konnte nachgewiesen werden, dass eine Kombination von Psycho- und Pharmakotherapie zu einer stärkeren Reduktion der Symptomatik führt als eine Kombination von Psychotherapie und Placebo. Der Effekt war größer, je stärker die depressive Symptomatik ausgeprägt war (Cuijpers et al., 2010a). Dementsprechend empfehlen die Nationalen Versorgungsleitlinien (DGPPN, 2015) bei einer akuten schweren Depression eine Kombinationsbehandlung von medika- mentöser Therapie und Psychotherapie. Ist die Behandlung dagegen auch ambulant durchführbar und wird ein alleiniges Behandlungsverfahren in Betracht gezogen, soll Patienten, die an einer mittelschweren bis schweren depressiven Erkrankung leiden, eine alleinige Pharmakotherapie gleichwertig zu einer alleinigen Psychotherapie angeboten werden. Trotz der hohen Effektivitätsraten psychotherapeutischer und pharmakologischer Interventionen berichten Studien, dass bis zu 30 Prozent aller Depressionen chronisch verlaufen (Gilmer et al., 2005; Keller et al., 1995). Aus diesem Grund wurden in den letzten Jahren Therapieverfahren entwickelt, die auf die spezifischen Besonderheiten in der Behandlung der Betroffenen eingehen (z. B. CBASP, vgl. Kap. 56). Teil V FAQ Gibt es auch Anpassungen der KVT für ältere depressive Patienten? Auch im fortgeschrittenen Alter können depressive Erkrankungen erfolgreich behandelt werden, die Behandlung erfordert jedoch einige Anpassungen an die spezifischen Bedürfnisse der Zielgruppe (vgl. Kap. 66). Hautzinger (2016) hat dafür ein Interventionsprogramm entwickelt, welches als Einzel- und Gruppen- therapie umsetzbar ist und sich speziell an den gerontopsychologischen Rahmen- bedingungen orientiert. Das Programm kann sowohl im ambulanten als auch im stationären Setting durchgeführt werden. Weitere Interventionen und Modifika- tionen werden im Kapitel 66 beschrieben. Weiterführende Literatur Beck, J. (2013). Praxis der Kognitiven Verhaltenstherapie (2. Aufl.). Weinheim: Beltz. Brakemeier, E.-L., Schramm, E. & Hautzinger, M. (2012). Chronische Depression. Göttingen: Hogrefe. Hautzinger, M. (2013). Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen. Behandlungsanleitung und Materialien (7. Aufl.). Weinheim: Beltz. Hautzinger, M. (2016). Depression im Alter. Psychotherapeutische Behandlung für das Einzel- und Gruppensetting (2. Aufl.). Weinheim: Beltz. 512 39 Depression