Einführung Kriminologie I PDF

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Diese PDF-Datei enthält eine Einführung in die Kriminologie, mit einem detaillierten Ablaufplan, einer Liste von Lehrbüchern, zum Begriff der Kriminologie und Definitionen der Kriminologie. Es gibt auch Informationen über Datenbanken, Wikis und Podcasts.

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Kriminologie I: Grundlagen der Kriminologie Was ist eigentlich Kriminologie? Kernkonzepte und Verbrechensbegriffe Dr. Jens Struck [email protected] Institut für Kriminalwissenschaften - Abt. IV...

Kriminologie I: Grundlagen der Kriminologie Was ist eigentlich Kriminologie? Kernkonzepte und Verbrechensbegriffe Dr. Jens Struck [email protected] Institut für Kriminalwissenschaften - Abt. IV Professur für Kriminologie Ablaufplan Sitzung Thema 1 - 07.10.2024 Was ist eigentlich Kriminologie? Kernkonzepte und Verbrechensbegriffe 2 - 14.10.2024 Immer schon Wissenschaft? Kriminologie im Wandel der Zeit 3 - 21.10.2024 Messung von Kriminalität?! Hell- und Dunkelfeld 4 - 28.10.2024 Zeitlose Weisheiten? „Klassische“ Theorien 5 - 04.11.2024 Der Einfluss der Gesellschaft: „Sozialstrukturelle“ Kriminalitätstheorien 6 - 11.11.2024 Moderne Ansätze? „Neuere“ Kriminalitätstheorien 7 - 18.11.2024 Kriminalität und Alter: Life-Course Criminology 8 - 25.11.2024 „Gender and Crime“ 9 - 02.12.2024 Kriminalität und Kriminalitätsdiskurse im Kontext von Migration 10 - 09.12.2024 Subtile Steuerung? Soziale Kontrolle 11 - 16.12.2024 Straftheorien, Strafzwecke, Sanktionswirkung und Kriminalprävention 12 - 13.01.2025 Viktimologie, Kriminalitätswahrnehmung und Strafbedürfnisse 13 - 20.01.2025 Evaluation, Wiederholung, Rückfragen, Klausur 2 Lehrbücher Bock, M. (2019). Kriminologie. Für Studium und Praxis. 5. Aufl. München. Dölling, Hermann, Laue (2022). Kriminologie. Springer. Eisenberg, U. & Kölbel, R. (2024). Kriminologie. 8. Aufl. München. Kemme, S. & Groß, E. (Hrsg.)(2023). Basislehrbuch Kriminologie. Hilden. Kaiser, G. (1997). Kriminologie. 10. Aufl. Heidelberg. Göppinger, H. (2008): Kriminologie. 6. Aufl. München. Meier, B.D. (2021). Kriminologie. 6. Aufl. München. Neubacher, F. (2023). Kriminologie. 5. Aufl. Baden-Baden. Kunz, K.-L. & Singelnstein, T. (2021). Kriminologie. 8. Aufl. Bern. 3 Datenbanken, Wikis und Podcasts KrimDok: Größtes deutsches Nachweissystem für kriminologische Literatur, betrieben vom Tübinger Institut für Kriminologie und der Universitätsbibliothek Tübingen. KrimLit: Kriminologische Literaturdatenbank der Kriminologischen Zentralstelle e.V., basierend auf Beständen der KrimZ-Bibliothek und Zeitschriftenaufsätzen. Krimpedia: Freie Enzyklopädie nach Wikipedia-Vorbild, 2007 gegründet am Institut für Kriminologische Sozialforschung (IKS) der Universität Hamburg. Beinhaltet tausende Beiträge zu kriminologischen Themen. Criminologia: Blog zu kriminologischen und kriminalpolitischen Themen, betrieben von (ehemaligen) IKS- Lehrenden und der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW. Elements of Crime: Interviewreihe mit Experten zu kriminologischen Themen; Videoprojekt an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen True Criminology: Podcast-Projekt von Nicole Bögelein (Universität zu Köln) und Gina Wollinger (Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW) 4 Gliederung 1. Zur Kriminologie als Wissenschaft 2. Gegenstand der Kriminologie/ Verbrechensbegriffe 5 Zur Kriminologie als Wissenschaft 6 Zum Begriff der Kriminologie Kriminologie crimen (lat.) logos (griech.) Verbrechen Wissenschaft 7 Definitionen Kriminologie Kaiser (1997, S. 1): „Kriminologie ist die geordnete Gesamtheit des Erfahrungswissens über das Verbrechen, den Rechtsbrecher, die negativ soziale Auffälligkeit und über die Kontrolle dieses Verhaltens. Ihr Wissenschaftsgebiet lässt sich mit den drei Grundbegriffen Verbrechen, Verbrecher und Verbrechenskontrolle treffend kennzeichnen. Ihnen sind auch Opferbelange und Verbrechensverhütung zugeordnet.“ Kerner (1991): „Wissenschaft von den Entstehungszusammenhängen, Erscheinungsformen, Vorbeugungs- und Bekämpfungsmöglichkeiten, geeigneten Sanktions- und Behandlungsformen des Verbrechens im Leben von Individuen und Gruppen sowie der Kriminalität im Gefüge von Staat und Gesellschaft unter Beachtung der Reaktionen auf Seiten der Verbrechenskontrolle.“ Sutherland & Cressey (1978, S. 21): Study of the „processes of making laws, breaking laws, and reactions to the breaking of laws“ 8 Kurzformel – Definition Kriminologie Die empirische Analyse von der Normabweichung, dem Normabweichenden, der Kontrolle der Abweichung einschl. der Berücksichtigung von Opferbelangen und Kriminalprävention. 9 Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Recht die Geltung und Auslegung des Rechts → Normativität des Rechts → juristische Dogmatik: Sollens-Wissenschaft die Gerechtigkeit des Rechts → Idealität des Rechts → Rechtsphilosophie: Wert-Wissenschaft die Realität des Rechts → Rechtsleben → Faktizität des Rechts → Rechtssoziologie und Kriminologie: Seins-Wissenschaft 10 Begriff und Erkenntnisinteressen der Kriminologie 1. Die Kriminologie ist eine empirische Wissenschaft (Erfahrungswissenschaft). Sie trifft Aussagen über Kriminalität, abweichendes Verhalten und dessen Regulierung (formelle und informelle Kontrolle); Rechtsetzung, Rechtsbruch, Reaktionen auf Rechtsbruch. Zentral sind die „Pfeiler“ Phänomenologie (Beschreibung) Ätiologie (Ursachen von Kriminalität/abweichendem Verhalten) vs. Konstruktion (Zuschreibung) Kontrolle (Formen und Wirkungen gesellschaftlicher formeller und informeller Kontrolle) 2. Die Kriminologie ist als ein Bestandteil der Kriminalwissenschaften eine interdisziplinäre empirische Sozialwissenschaft mit starker internationaler Orientierung 3. Die Kriminologie ist keine Hilfswissenschaft des Strafrechts, gleichwohl aber eng mit dem Strafrecht verbunden. Sie ist eine eigenständige Wissenschaft. 4. Sie ist von der Kriminalistik abzugrenzen. 11 Begriff und Erkenntnisinteressen der Kriminologie 1. Die Kriminologie ist eine empirische Wissenschaft (Erfahrungswissenschaft). Sie trifft Aussagen über Kriminalität, abweichendes Verhalten und dessen Regulierung (formelle und informelle Kontrolle); Rechtsetzung, Rechtsbruch, Reaktionen auf Rechtsbruch. Zentral sind die „Pfeiler“ Phänomenologie (Beschreibung) Ätiologie (Ursachen von Kriminalität/abweichendem Verhalten) vs. Konstruktion (Zuschreibung) Kontrolle (Formen und Wirkungen gesellschaftlicher formeller und informeller Kontrolle) 2. Die Kriminologie ist als ein Bestandteil der Kriminalwissenschaften eine interdisziplinäre empirische Sozialwissenschaft mit starker internationaler Orientierung 3. Die Kriminologie ist keine Hilfswissenschaft des Strafrechts, gleichwohl aber eng mit dem Strafrecht verbunden. Sie ist eine eigenständige Wissenschaft. 4. Sie ist von der Kriminalistik abzugrenzen. 12 Interdisziplinarität: Bezugswissenschaften der Kriminologie Psychologie Kriminalpsychologie Sozial- Kriminal- soziologie/ Pädagogik pädagogik/ Straffälligen- Soziologie Soziologie abweichenden pädagogik Verhaltens Kriminologie Forensische Biologie Kriminal- Psychiatrie Medizin/ biologie Psychiatrie 13 Internationalität Analyse von grenzüberschreitender Kriminalität, bspw. o Menschenhandel o Cyberkriminalität o Terrorismus Kulturvergleichende Forschung, bspw. o Religion und Kriminalität o Werteorientierung o Zuschreibungen abweichenden Verhaltens Rechtsvergleichende Analysen, bspw. o Wirkungsforschung o Rechtstatsachenforschung International kooperierende Forschungsverbünde, bspw. o ICVS; ISRD; European Sourcebook… 14 Begriff und Erkenntnisinteressen der Kriminologie 1. Die Kriminologie ist eine empirische Wissenschaft (Erfahrungswissenschaft). Sie trifft Aussagen über Kriminalität, abweichendes Verhalten und dessen Regulierung (formelle und informelle Kontrolle); Rechtsetzung, Rechtsbruch, Reaktionen auf Rechtsbruch. Zentral sind die „Pfeiler“ Phänomenologie (Beschreibung) Ätiologie (Ursachen von Kriminalität/abweichendem Verhalten) vs. Konstruktion (Zuschreibung) Kontrolle (Formen und Wirkungen gesellschaftlicher formeller und informeller Kontrolle) 2. Die Kriminologie ist als ein Bestandteil der Kriminalwissenschaften eine interdisziplinäre empirische Sozialwissenschaft mit starker internationaler Orientierung 3. Die Kriminologie ist keine Hilfswissenschaft des Strafrechts, gleichwohl aber eng mit dem Strafrecht verbunden. Sie ist eine eigenständige Wissenschaft. 4. Sie ist von der Kriminalistik abzugrenzen. 15 Kriminologie als eigenständige Wissenschaft? verfolgt eigene Erkenntnisinteressen, hat spezifische Methoden und Theorien, hat eigene wissenschaftliche Gesellschaften und Publikationsorgane, ist über spezielle Forschungseinrichtungen institutionalisiert. 16 Kriminologie als eigenständige Wissenschaft? In Deutschland: Kriminologie an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten Masterstudiengänge für Kriminologie gibt es in Deutschland nur wenige, lediglich in (noch) Hamburg, Bochum und Regensburg Kriminologische Gesellschaft (KrimG) für Deutschland/Österreich/Schweiz In den USA und England: Criminology oder Criminal Justice Studies an den psychologischen/soziologischen Fakultäten International: o European Society of Criminology (ESC) o American Society of Criminology (ASC) 17 Forschungsstellen beim BKA und LKÄ Forschungs- und Beratungsstellen im BKA (Ausmaß, Entstehungsgründen und Tatbegehungsformen) Bayern: „Kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei“ seit 1979 Hamburg: „Kriminologische Forschungsstelle“ seit 1989 Hessen: „Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle“ (KKFoSt) seit 2004 Niedersachsen: „Kriminologische Forschungsstelle“ (KFST) seit 2006 Nordrhein-Westfalen: „Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle“ (KKF) seit 2002 Schleswig-Holstein: „Kriminologische Forschungsstelle“ seit 2017 Thüringen: „Forschungsstelle der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung – FB Polizei“ seit 2017 In Rheinland-Pfalz soll an der Hochschule der Polizei eine Zentralstelle Forschung entstehen, um die Forschung weiter voranzutreiben. 18 Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) (früher: Christian Pfeiffer; jetzt Thomas Bliesener), gegründet 1979 Kriminologische Zentralstelle Wiesbaden (KrimZ) (früher: Rudolf Egg; jetzt Martin Rettenberger), gegründet 1985 Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht (ehemals Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht (MPICC)), Abteilung Kriminologie (MPI) (früher: Hans- Jörg Albrecht; jetzt Jean-Louis van Gelder), gegründet 1969 Christian Pfeiffer Hans-Jörg Albrecht Rudolf Egg Thomas Bliesener Martin Rettenberger Jean-Louis van Gelder 19 Wichtige Fachzeitschriften Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe (ZJJ) KriPoZ (Online) Kriminologisches Journal Neue Kriminalpolitik Bewährungshilfe Kriminalistik Rechtspsychologie Zeitschrift für Rechtssoziologie European Journal of Criminology (ESC) British Journal of Criminology Criminology (ASC) Crime and Delinquency International Journal of Offender Therapy Journal of Research in Crime and Delinqency Journal of Quantitative Criminology Journal of Interpersonal Violence 20 Kriminologie als Wissenschaft? „(…) die Kriminologie ist keine Wissenschaft wie jede andere“ (…) „chaotische Instabilität des Systems Kriminologie (…) “ (Scheerer, 2005) „Mehr als bei anderen Disziplinen (z.B. Astrophysik) herrscht bezüglich der Kriminologie Unklarheit, wenn nicht offener Dissens bezüglich der fundamentalen Fragen. Dies gilt für den Ursprung der Kriminologie (3 Mythen), ihrer disziplinären Eigenständigkeit, ihrem Wissenschaftscharakter, ihrem Gegenstand (!) und ihren Grenzen, ihren Aufgaben und Methoden und schließlich auch ihrer Existenzberechtigung. Insofern ist die Geschichte der Kriminologie eine Geschichte ihrer Identitäts- Krisen, ihrer Häutungen, Neugründungen und Überwindungsversuche. […]. Deutlicher als anderswo werden die widersprüchlichen Einflüsse und Dilemmata, mit denen sich Wissenschaften (und ihre einzelnen Wissenschaftler:innen) im Kraftfeld von Erkenntnis und Interesse herumzuschlagen haben.“ (Garland, 1997) 21 Begriff und Erkenntnisinteressen der Kriminologie 1. Die Kriminologie ist eine empirische Wissenschaft (Erfahrungswissenschaft). Sie trifft Aussagen über Kriminalität, abweichendes Verhalten und dessen Regulierung (formelle und informelle Kontrolle); Rechtsetzung, Rechtsbruch, Reaktionen auf Rechtsbruch. Zentral sind die „Pfeiler“ Phänomenologie (Beschreibung) Ätiologie (Ursachen von Kriminalität/abweichendem Verhalten) vs. Konstruktion (Zuschreibung) Kontrolle (Formen und Wirkungen gesellschaftlicher formeller und informeller Kontrolle) 2. Die Kriminologie ist als ein Bestandteil der Kriminalwissenschaften eine interdisziplinäre empirische Sozialwissenschaft mit starker internationaler Orientierung 3. Die Kriminologie ist keine Hilfswissenschaft des Strafrechts, gleichwohl aber eng mit dem Strafrecht verbunden. Sie ist eine eigenständige Wissenschaft. 4. Sie ist von der Kriminalistik abzugrenzen. 22 Was ist Kriminologie? Kriminalwissenschaften Normative (juristische) Empirische (nichtjuristische) Kriminalwissenschaften Kriminalwissenschaften Kriminologie Kriminalistik Phänomenologie Sanktions- Andere Ätiologie/Konstruktion Kriminaltaktik Materielles Verfahrens- recht rechtswiss. Viktimologie Kriminaltechnik Strafrecht recht Strafen und Disziplinen Pönologie/Sanktionsf. Kriminalstrategie Recht der Maßregeln mit kriminal- + ihre Bezugswissenschaften Zurechnung bspw. wissenschaft Feststellung Psychologie Reaktion -lichem des Soziologie auf den Bezug: bspw. Normbruch Normbruchs Psychiatrie Normbruch Polizeirecht Pädagogik Geografie 23 Abgrenzung Kriminologie – Kriminalistik Kriminologie als Teilbereich der Strafrechts-/Kriminalwissenschaften, gemeinsam mit der Kriminalistik (Kriminologie ≠ Kriminalistik!) Kriminalistik: (polizeiliche) Verbrechensbekämpfung in organisatorisch-strategischer, taktischer und technischer Hinsicht (Verhinderung, Aufklärung von Straftaten, Verfolgung von Tatverdächtigen und verurteilten Straftätern) Kriminaltaktik: Lehre vom taktisch richtigen Vorgehen Kriminaltechnik: Einsatz naturwissenschaftlicher Methoden zur Ermittlung von Tatverdächtigen, z. B. durch Spurenanalyse (Fingerabdruck), „genetischen Fingerabdruck“ (DNA-Analyse), Täter-Profilerstellung (offender profiling, Rasterfahndung) Kriminalstrategie: Planung und Durchführung der Gesamtheit polizeilicher Maßnahmen 24 Unterschiede: Kriminologie und Kriminalistik Kriminologie Kriminalistik Wissenschaft vom abweichenden Wissenschaft von den Mitteln und Verhalten und den gesellschaftlichen Methoden der Reaktionen Verbrechensbekämpfung Auffinden von Gesetzmäßigkeiten Aufklärung von Straftaten Soziologischer Verbrechensbegriff Strafrechtlicher Verbrechensbegriff (Delinquenz/Abweichung) (Kriminalität) Neubacher, 2016 25 Gegenstandsbereiche der Kriminologie Gegenstand der Kriminologie ist die theoretische und empirische Erforschung folgender Prozesse und Systeme: Kriminalisierungs- und Entkriminalisierungsprozesse sowie Wechselwirkungen von Konformität, Abweichung und Kriminalität Verbrechen und Kriminalität als Einzel- und Massenphänomen, einschließlich Umfang, Struktur, Ursachen und Entwicklung Delinquenz und Sozialabweichung (Umfang, Ursachen, Erscheinungsformen, Dunkelfeld) Rechtsbrechende und Opfer (psychische, soziale Dynamik, Karriere, Behandlung) Reaktionen auf Kriminalität und Abweichung Informeller und formeller Sozialkontrolle (Gesetzgebung und Anwendung) Sekundäre Devianz, Kriminalität und Delinquenz Schneider, 1987, S. 88 26 Vorstellung – Jens Struck BA-/MA-Studium und Promotion in Soziologie Mitarbeit in verschiedenen Drittmittel-Forschungsprojekten, u.a. TARGET: Tat- und Fallanalysen hochexpressiver zielgerichteter Gewalt Entwicklungspsychologie, Sozialpsychologie, Forensische Psychologie, Rechtswissenschaften, Soziologie Aktenanalyen (School Shootings, Erwachsenenamok, Terrorismus, JMFT) RadigZ: Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Risiken, Verläufe und Strategien der Prävention Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaften Biografie-/Netzwerkanalyse, Analyse von (Internet-)Propaganda, Prävention KONTEST: Kriminalität großfamiliär begründeter Strukturen Rechtswissenschaften, Soziologie, Politikwissenschaften, Sicherheitsbehörden KONTEST: Kriminalität im Kontext Konzeptanalyse, Sicherheitsbehördlicher Umgang, Milieuforschung großfamiliärer Strukturen Scheithauer & Leuschner 2014; Kudlacek et al. 2017; Görgen & Pelzer 2024 27 Gegenstand der Kriminologie / Verbrechensbegriffe 28 Werte, Normen und soziales Handeln Werte sind (eher abstrakte) „Vorstellungen dazu, was anstrebenswert und achtenswert ist“ (Scherr, 2016, S. 217) → Bsp. Gewaltfreiheit Normen sind (eher konkrete) „Festlegungen des jeweils zulässigen und erwünschten Verhaltens“(Scherr, 2016, S. 217) → Körperverletzungen sind unter Strafe gestellt Normen definieren sich durch Regelhaftigkeit und durch das Sollen o als Verhaltensanforderung von wiederkehrenden Situationen o sie sind normativ-evaluativ und nicht deskriptiv-statistisch Soziales Handeln orientiert sich (oft) an Normen und wird extern entsprechend beurteilt: o konform zu bestimmten Normen o abweichend von bestimmten Normen Einfluss auf Normen haben o Normsender (ext. soz. Kontrolle) und Normadressaten (intern. soz. Kontrolle) o Geltungsgrad, Wirkungsgrad, Sanktionsbereitschaft Scherr, 2016; Lamnek, 2001 29 Wie und was strafen wir? Die Existenz sozialer Normen ist untrennbar verbunden mit Formen der sozialen Kontrolle, der Regulierung bzw. Sanktionierung des Normverstoßes (Steuerungsmittel) Soziale Normen: o Verhaltenserwartungen, Ge- und Verbote, die das Zusammenleben der Menschen ermöglichen. o informelle soziale Normen (Sitten, Gebräuche, Moral) o formelle soziale Normen (geschriebene Gesetze) Das Strafrecht ist nur eine Form der Regulierung bzw. Sanktionierung Informelle Normen („Kann“ und „Soll“) Formelle Normen/Verbote („Muss“ bspw. OWis etc.) Strafrecht („Muss“ = Vergehen und Verbrechen i.S.d. § 12 StGB) 30 Selbstkontrolle Fremdkontrolle (internale soziale Kontrolle) (externale soziale Kontrolle) Grad der Internalisiertheit, der Akzeptanz bzw. der Grad der Institutionalisiertheit von intrinsischen Wirksamkeit von Sanktionen bzw. der extrinsischen Normen: Wirksamkeit von Normen: Ausmaß, in dem konformes Verhalten Ausmaß, in dem andere auf abweichendes bzw. voraussichtlich oder tatsächlich intrinsisch konformes Verhalten voraussichtlich oder belohnend (nützlich) und abweichendes tatsächlich reagieren (Wahrscheinlichkeit und Nettonutzen Verhalten intrinsisch bestrafend (kostspielig) ist sozialer Reaktionen) gutes Gewissen positive Sanktion (innere Ruhe, Stolz): (Lob, Belohnung): positives Selbstwertgefühl, das aus der voraussichtlicher oder tatsächlicher Nutzen, der Befolgung internalisierter Normen resultiert Aus der sozialen Reaktion auf konformes (moralischer Nutzen) Verhalten entsteht schlechtes Gewissen negative Sanktion (Scham, Schuld): (Tadel, Bestrafung): negatives Selbstwertgefühl, das aus der voraussichtliche oder tatsächliche Kosten, die Nichtbefolgung internalisierter Normen aus der sozialen Reaktion auf abweichendes resultiert (moralische Kosten) Verhalten entstehen Lamnek & Ottermann, 2004; aus Menzel & Wehrheim, 2010, S. 510 31 Verbrechensbegriffe Soziale Normen – und damit auch die Sanktionierung von Verstößen – sind abhängig vom gesellschaftlichen Konsens über Moral und die Schädlichkeit eines Verhaltens. Mala per se Natürlicher Verbrechensbegriff 32 Natürlicher Verbrechensbegriff Orientierung an Moral/Ethik: Was ist gut, was ist böse? Die „Großen Fünf mala per se“ (Garofalo, 1885; Kerner, 2013) o Intentionale Tötung (Mord und Totschlag) o Vergewaltigung o Raub o Schwere Körperverletzung o Einbruch in Privaträume mit der Absicht, zu stehlen. 33 Verbrechensbegriffe Soziale Normen – und damit auch die Sanktionierung von Verstößen – sind abhängig vom gesellschaftlichen Konsens über Moral und die Schädlichkeit eines Verhaltens. Mere Prohibita Strafrechtlicher Verbrechensbegriff (Formell) Mala per se Natürlicher Verbrechensbegriff 34 Strafrechtlicher Verbrechensbegriff Orientierung am StGB (auch formaler Verbrechensbegriff) § 12 Verbrechen und Vergehen (1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. (2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind. (3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht. → Aber wann wird der Unrechtsgehalt eines Verhaltens als so groß bewertet, dass es strafrechtlich sanktioniert werden soll? 35 Verbrechensbegriffe Soziale Normen – und damit auch die Sanktionierung von Verstößen – sind abhängig vom gesellschaftlichen Konsens über Moral und die Schädlichkeit eines Verhaltens. Soziologischer Verbrechensbegriff Abweichendes Verhalten (Materiell) Mere Prohibita Strafrechtlicher Verbrechensbegriff (Formell) Mala per se Natürlicher Verbrechensbegriff 36 Soziologischer Verbrechensbegriff Orientierung an sozialabweichendem Verhalten (Devianz) „Sozial abweichend“ ist ein Verhalten, das gesellschaftlichen Regeln, (informellen) Normen und Erwartungen, die in der Gesellschaft oder in einem Teilbereich der Gesellschaft gelten, widerspricht. Sessar (1998, S. 435) beschreibt den soziologischen/ kriminologischen Verbrechensbegriff als einen Prozess – ein Prozess des Beobachtens. o „Die Kriminologie etwa untersucht, wie Kriminalität durch aufwendige Prozesse von Zuschreibung und Nichtzuschreibung zustande kommt. Sie kann dabei nichts als rechtlich vorgegeben hinnehmen, sondern wird das Strafrecht als Schablone oder Rahmen begreifen, um zu beobachten, was hineingepasst wird und was nicht bzw. wie solche Rahmen verändert werden, damit Verhaltensweisen hineinpassen oder nicht.“ 37 Verbrechensbegriffe Soziale Normen – und damit auch die Sanktionierung von Verstößen – sind abhängig vom gesellschaftlichen Konsens über Moral und die Schädlichkeit eines Verhaltens. Soziologischer Verbrechensbegriff von Strafverfolgungsbehörden (Materiell) definierte Straftaten Abweichendes Verhalten Mere Prohibita Strafrechtlicher Verbrechensbegriff (Formell) Mala per se Interaktionistischer Verbrechensbegriff Natürlicher Verbrechensbegriff 38 Interaktionistischer Verbrechensbegriff Interaktionistischer Verbrechensbegriff o „Kriminelles“ Verhalten beruht auf sozialer Definition durch: Normsetzung/ Normanwendung o Perspektivenwechsel: „Kriminalität“ → Kriminalisierung durch Instanzen sozialer Kontrolle o Erkenntnisinteresse/Gegenstandsbereich: Verstehen des Prozesses und der Funktion von Kriminalisierung „Nicht weil eine Tat ein Verbrechen ist, verurteilen wir sie, sondern weil wir sie verurteilen, ist sie ein Verbrechen“ (Durkheim 1893/1977, S. 123) 39 Grenze zwischen abweichend und kriminell? Devianz: Gesamtheit aller Verhaltensweisen, die von jeweils bestehenden sozialen Normen (im weitesten Sinne) abweichen. bspw. neben Straftaten auch Selbstmord, Alkoholsucht, Prostitution, Schulschwänzen Delinquenz: Strafrechtlich bewehrte Devianz bspw. Verstöße von Kindern bis 14 Jahre, und Straffälligkeit von Jugendlichen (bis 18 J.) und Heranwachsenden (bis 21 J.) Delinquenz = Hellfeld + Dunkelfeld Kriminalität: Offiziell registrierte und sanktionierte Delinquenz Kriminalität = Hellfeld 40 Take Home Messages Kriminologie: Sozialwissenschaftliche Untersuchung von Gesetzmäßigkeiten im Verhalten von Menschen (bspw. Opfer, Täter:innen, Polizist:innen oder Justizangehörige) oder Organisationen, die mit Straftaten zu tun haben, zu suchen. Kriminologie ist eine eigenständige, interdisziplinäre (Soziologie, Psychologie, Medizin/Psychiatrie, Biologie/Ethologie/Neurobiologie), internationale, empirische, praxisorientierte Disziplin mit normativen Anteilen. Werte und Normen als Basis sozialer Kontrolle: Werte sind abstrakte Leitideen, Normen konkrete Verhaltensregeln. Normen definieren erwünschtes Verhalten, dienen als Maßstab für Konformität und wirken durch externe und interne Kontrollmechanismen. Es lässt sich zwischen verschiedenen Verbrechensbegriffen differenzieren: Natürlicher, strafrechtlicher, soziologischer, interaktionistischer Verbrechensbegriff 41 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 42

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