Wissenschaftstheorie, Malthus und industrielle Revolution

VL 2 Überblick

• Die Vorlesung befasst sich mit Wissenschaftstheorie, Malthus und der Industriellen Revolution.

Einführung

• Der enorme Anstieg des materiellen Lebensstandards kann auf technologischen Fortschritt, demografischen und institutionellen Wandel zurückgeführt werden.
• Es werden Fragen aufgeworfen wie: Wie kam es zur technologischen Revolution? Warum begann sie um 1800 und ausgerechnet in Großbritannien?
• Es werden erste theoretische Modelle entwickelt und ihre Erklärungskraft geprüft. Es wird auch die Frage aufgeworfen, was ein Modell ist und wie Forschung funktioniert.

Wissenschaftstheorie

• VWL als Sozialwissenschaft sucht nach Gesetzmäßigkeiten im Umgang mit Knappheit unter sich ständig ändernden Rahmenbedingungen.
• Die Wissenschaftstheorie befasst sich mit den Voraussetzungen, Methoden, Zielen und Erkenntnisformen der Wissenschaft.

Ontologie der VWL

• Ontologie bedeutet die Lehre vom Seienden und fragt nach den Dingen, die es gibt wie z.B. den Menschen.
• Kernfragen für die VWL sind: Welches Problem treibt die (ökonomische) Welt an ?Was hilft, die Wirtschaft zu verstehen? Welches Menschenbild beinhaltet dieser Blick?
• Denkansätze: Umgang mit Knappheit, Verteilung des Wohlstands, individuelle Entscheidungen, Interaktion, Institutionen und das Rationalitätsprinzip.

Epistemologie der VWL

• Epistemologie untersucht Wissen und begründete Auffassungen und fragt, was wir wissen können und wie wir zu diesem Wissen gelangen.
• Es wird berücksichtigt, ob wir die reale Welt erkennen oder sie konstruieren und ob sich Wissenschaft über ein Thema oder eine Methode definiert.
• Der kritische Rationalismus geht davon aus, dass die Welt unabhängig vom Betrachter existiert. Tendenziell definiert sich eine Wissenschaft eher über die Methode.

Methodologie der VWL

• Die Methodologie untersucht, was als begründetes Wissen gelten kann und welche Methoden es gibt.
• Es werden quantitative, formale Modelle und statistische Tests verwendet.
• Hypothesen werden deduktiv aus Modellen abgeleitet und durch Falsifikation überprüft.

Wertfrage in der Wissenschaftstheorie

• Positive Wissenschaft beschreibt, was ist.
• Normative Wissenschaft beschreibt, was sein soll (Werturteile), wobei die VWL das Pareto-Kriterium nutzt.
• Es gibt keine rein positive Beschreibung ohne vorher getroffene Annahmen. Subjektive Überzeugungen spielen immer eine Rolle.

Kritischer Rationalismus (KR)

• Die vorherrschende Epistemologie der VWL ist der Kritische Rationalismus (Karl Popper, Hans Albert).
• Grundannahmen sind, dass die Welt unabhängig vom Erkenntnisvermögen existiert, die menschliche Erkenntnisfähigkeit begrenzt und fehlbar ist.
• Menschen gehen immer mit einer „Brille“ an die Forschung, was sicheres Wissen unmöglich macht.
• Die Methode des KR ist die planmäßige, rationale Suche nach Erkenntnis und permanente Kritik.
• Ziel des KR ist die Falsifizierung.

Kritischer Rationalismus und Wissenschaftliche Erklärung

• Die wissenschaftliche Erklärung folgt dem "covering-law"-Modell, bei dem ein Explanandum aus einem Explanans abgeleitet wird, das aus spezifischen Bedingungen und einem allgemeinen Gesetz besteht.
• Das allgemeine Gesetz muss wissenschaftlich sein.
• Wissenschaftlichkeit bedingt Falsifizierbarkeit.

Prinzip der Falsifikation

• Jede Theorie kann falsch sein.Nur prinzipiell falsifizierbare Theorien sind wissenschaftlich.
• Der Kritische Rationalismus ist ein Gegenentwurf zum Induktionsprinzip, bei dem aus Theorien deduktiv eine Hypothese über eine Gesetzmäßigkeit abgeleitet wird.
• Eine Gesetzmäßigkeit gilt, solange die Hypothesen nicht widerlegt (falsifiziert) wurden, wie beispielsweise Newtons Gravitationsgesetz, das später durch Einsteins Erkenntnisse über hohe Geschwindigkeiten und Massen relativiert wurde.

Ablehnung von Immunisierung

• Kriterium der Falsifizierbarkeit: Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können (Popper).
• Ökonomische Theorien und Modelle müssen falsifizierbar sein (Bsp. Malthusianisches Modell). Definitionen und mathematische Axiome sind nicht falsifizierbar.
• Eine Ablehnung von Systemen mit eingebauter Immunisierung wie dem dialektischen Materialismus nach Hegel bzw. Marx erfolgt.
• Hans Albert betont die Gefahr der Immunisierung in VWL-Modellen durch Erweiterungen und vage Aussagen.

Aufbau eines Ökonomischen Modells

• Ein Modell dient als Stellvertretersystem eines Sachverhalts.
• Das Prinzip ist Ockham's Razor.
• Von mehreren möglichen Erklärungen für denselben Sachverhalt ist die einfachste Erklärung allen anderen vorzuziehen.
• Die Theorie sollte einfach sein, wenige Variablen und Hypothesen enthalten, die in klaren Beziehungen stehen.
• Ein Modell beinhaltet die zentralen Elemente für einen bestimmten Kontext.
• Je nach Kontext können unterschiedliche Modelle nötig sein.
• Ziel ist es, einen klaren Mechanismus innerhalb des Modells zu beschreiben und falsifizierbare Hypothesen abzuleiten.
• Die Sprache ist abstrakt mit mathematischen Symbolen.

Hydraulisches Modell

• Irving Fishers entwickelte 1891 das hydraulische Modell des allgemeinen Gleichgewichts.
• Es werden untereinander verbundene Wassertanks als Illustration für das Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage zur Bestimmung von Preisen verwendet.
• Es ist eine Ergänzung zu seiner mathematisch formulierten Theorie eines allgemeinen Gleichgewichts Mathematische Untersuchungen zur Theorie der Werte und Preise.
• Außerdem findet eine Übertragung der Ideen der Mechanik auf soziale Phänomene statt, wobei die Promotionsbetreuer ein Physiker und ein Soziologe waren.

Erklärung in der VWL: Situational Analysis

• Popper entwickelte für Analysen 1957 die "situational analysis", die dem Covering-Law-Ansatz folgt.
• Die Schritte sind: Beschreibung der Situation, Analyse mit komparativer Statik unter Annahme rationalem Verhaltens und Test unter Annahme von Rationalität.
• Rationalität als Annahme ermöglicht die Falsifizierung.
• Sie lenkt Aufmerksamkeit der Forscher auf das Endogenitätsproblem.

C. Stagnation erklären: Die malthusianische Falle

• Die malthusianische Falle versucht Stagnation zu erklären.

Das Malthusianische Modell

• Es versucht Antworten zu geben auf die Frage was um 1800 passiert ist, warum erst um 1800 und warum ausgerechnet England.
• Außerdem soll es zum Verstehen der Ökonomie bis 1800 und der industriellen Revolution beitragen.

Annahmen im Malthusianischen Modell

• Es können Frauen ohne Begrenzung der Fertilität bis zu 12 Kinder haben. (Annahme Total Fertility Rate (TFR) ≈ 12)
• Die Annahme der Generationenfolge beträgt 25 Jahre,
• Das ergibt eine jährliche Bevölkerungswachstumsrate von 7.4%.
• Thomas Robert Malthus (1766-1834) war ein anglikanischer Geistlicher und klassischer Nationalökonom.

Essay on the Principle of Population

• Thomas Robert Malthus veröffentlichte 1798 An Essay on the Principle of Population, in dem er seine Theorien formulierte.
• Malthus geht davon aus, dass Bevölkerung tendentiell in geometrischer Progression wächst,Während die Lebensgrundlagen hingegen in arithmetischer Progression steigen.
• Dies basiere auf einer „unchanging attraction between the sexes“ und abnehmenden Grenzerträge der Arbeit.
• Das Modell resultiere in "misery and vice".

Zwei Grundannahmen im Modell

• Bevölkerung wächst mit Lebensstandard (w), einfachste Version. Geburtenrate (B) ist exogen und Sterberate (D) sinkt mit besserem Lebensstandard (w).
• Aufgrund abnehmender Grenzerträge der Arbeit führt höhere Bevölkerung (N) zu sinkendem Lebensstandard (w), „ceteris paribus“.
• B=D und konstant, N und w konstant
• Gleichgewicht:Daten zu Bevölkerung, Geburten, Sterbefälle vorhanden.
• Messung des Lebensstandards im Mittelalter z. B. durch Ertrag landwirtschaftlicher Arbeit, gemessen in Getreideeinheiten.

Produktionsfunktion im Malthusianischen Modell

• Die Produktionsfunktion (siehe auch VL3, 5) gibt den maximalen Output für gegebene Produktionsfaktoren an.
• Y = A * F(L,S), z.B. Y = ALαS1-α mit (0 < α < 1) wobei Y Output ist L Arbeit ist S Land ist A Technologie darstellt
• F für eine mathematische Funktion steht.Malthus: abnehmender Grenzertrag der Arbeit, also.

Hypothesen des Malthusianischen Modells

• Eine dauerhafte Verschiebung von Geburten- bzw. Sterberate verschiebt das Gleichgewicht von Bevölkerung und Lebensstandard.
• Eine dauerhafte Verbesserung der Technologie (bzw Ausstattung mit Land, Kapital) erhöht die Bevölkerung im Gleichgewicht, nicht aber den Lebensstandard.
• Das Modell sagt eine selbstkorrigierende Reaktion auf Technologie voraus.

War Malthus Rechts?

• Langfristiges Wachstum im Lebensstandard gering vor 1800 und langsames Bevölkerungswachstum.
• Es gab einen Anstieg der Reallöhne nach der Pestwelle ca. 1350 in England.
• Evidenz besteht für eine Anpassung in England an Schocks in Sterberate, Geburtenrate, Technologie wie vorhergesagt, ca 1550-1850 (Nicolini, EREH 2007).
• Es zeigt sich ein negativer Zusammenhang zwischen Bevölkerungszahl und Lebensstandard in England, ca 1280 – 1600 (Allen, EEH 2001).

D. Wachstum verstehen: Industrielle Revolution und demographischer Übergang

• Die industrielle Revolution und der demographische Übergang sollen betrachtet werden.

Industrielle Revolution

• "A revolution in men's access to the means of life (...) it opened the road for men to complete mastery of their physical environment, without the inescapable need to exploit each other" (Harold Perkin 1969)

Traditionelle Sicht und Institutionen

• Ab ca. 1760 kam es in England zu einem „revolutionären“ Anstieg in Einkommen und Lebensstandard.
• North und Thomas (1973) vermuteten, dass der Wandel auf Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen wie Verfügungsrechte basierte.
• Hier wurden insbesondere Patentrechte, Transparenz und Sicherheit(seit Elisabeth I), Glorious Revolution und Patentrecht unter Parlamentskontrolle genannt.
• Es erfolgten Erfindungen und erhöhte Anreize Geld und Zeit in Erfindungen zu investieren, führt zu technischem Wandel (,,about 1760 a wave of gadgets swept over England").

Erfindungen im 17. Jhd

• Es lassen sich einige Erfindungen aus dem 17 Jhd nennen. (Torricelli Luftdruck 1644, Pascal 1647, von Guericke 1654).
• Thomas Newcomen entwickelte 1712 eine atmosphärische Dampfmaschine auf Maschinen von Denis Papin (1690) und Thomas Savery (1698) basierend.
• Die Maschine pumpte Dampf in Zylinder mit Kolben, Zylinder mit Wasser gekühlt, Dampf kondensiert, resultierendes Vakuum erzeugt atmosphärischen Druck der den Kolben bewegt.
• Durch James Watt erhöhte sich die Effizienz der Newcomen Maschine durch separater Kondensator reduziert Energieverluste und doppelte Nutzung des Drucks.

Watt´s Dampfmaschine

• Watt's Dampfmaschine patentiert 1769.
• 1775 entstand ein Unternehmen mit Matthew Boulton (Birmingham, Lunar Society, Soho Mint, Soho House), Kooperation mit John Wilkinson 1776.
• Energietransformation: chemische Energie → thermische Energie → kinetische/mechanische Energie.
• Es wurden zahlreiche Schritte unternommen, um die Effizienz dieser Transformationen zu erhöhen.
• Bei Boulton & Watt war der Einsatz in Bergbau, Eisenverarbeitung und der Textilindustrie erfolgreich.

Weitere Textil Erfindungen

• Zahlreiche Maschinen erhöhten die Arbeitsproduktivität in der Textilproduktion.
• Spinning Jenny" (Hargreaves 1764, gescheitertes Patent 1770): verspinnt Wolle zu Garn, ein Spinnrad bewegt bis 100 Spindeln.
• Water Frame“ (Arkwright 1768, patent 1769): nutzt Wasserkraft zum (fast) vollautomatisierten Spinnprozess, ungelernte Arbeiter können Maschine bedienen.
• „Spinning mule" (Crompton 1775): kombiniert Jenny mit Water FrameAllerdings wurden nur wenige reiche Erfinder durch ihre Patente (Watt als Ausnahme).

Gründe für England

• Die Industrielle Revolution fand in England den Boden für einen Wandel.
• Mokyr (2009) sagte über England: "Britain became the leader of the Industrial Revolution because, more than any other European economy, it was able to take advantage of its endowment of human and physical resources thanks to the great synergy of the Enlightment: the combination of the Baconian program in useful knowledge and the recognition that better institutions created better incentives".
• Allen (2009): Die entscheidenden Faktoren waren die ungewöhnlichen Faktorpreise in England. Das bedeutete hohe (nominale) Löhne im Verhältnis zu niedrigen Kapitalkosten und sehr niedrige Energiekosten.

Faktoren für die Industrielle Revolution

• Es lassen sich ein paar Faktoren extrahieren, die diese Revolution ausmachten.
• Es gab eine ungewöhnliche Faktorpreise in
• Hohe (nominale) Löhne
• Niedrige Kapitalkosten, vor allem niedrige Energiekosten.
• Außerdem war vorher Technologie hauptsächlich arbeitsintensiv. Technologien, die Arbeiter durch Kapital und Energie ersetzten boten einen Anreiz zur Verbesserung.

Verlauf

• Danach Diffusion die Technologien sich ausbreiteten und immer besser wurden.
• Das führte zu eine Ausbreitung und Konvergenz der Industrialisierung.

Familiengrößen

• Es werden Frage gestellt zur Anzahl der eigenen Geschwister und der der eigenen Eltern.

Demographischer Übergang

• Es ist wichtig den strategischen Raum eines Bevölkerungsregimes, der Abhängigkeit des Bevölkerungswachstums vom TFR (Zusammengefasste Geburtenziffer: Summe aller altersspezifischen Geburtenziffern über Altersgruppen 15-45) und der Lebenserwartung bei Geburt zu beleuchten.
• Es gibt den Zusammenhang zwischen dem Zusammenhang zwischen Lebensstandard (w) und Bevölkerungswachstum. Denn es erfolgte der demographische Übergang. Malthus´Zusammenhang löste sich auch auf.

Modell zum Demographischen Übergang nach Livi-Bacci (2001)

• Der Übergang passiert in mehreren Phasen.
• Zunächst sinkt die Sterberate. So steigt die Rate des Bevölkerungswachstums.
• Später sinkt die Geburtenrate. Schließlich normalisiert sich die Wachstumsrate bei einem sehr viel niedrigerem Niveau.

Gründe für den Demographischen Übergang

• Gründe für den Anstieg ist die Lebenserwartung (und die Sterblichkeit sank) Bessere Hygiene (Kanalisation etc.), medizinischer Fortschritt, bessere Ernährung (steigende Einkommen, sinkende Preise für Nahrungsmittel).
• Gründe für den Rückgang der Geburtenrate waren eine zeitliche Verzögerung, ein geringeren Bedarfs von Arbeitskräften, steigende Opportunitätskosten für Kindererziehung, ein steigender Ertrag von Bildung und neue Verhütungsmethoden.

Revision des malthusianischen Modells

• Es erfolgte eine Umkehrung der Grundaussagen des Malthusianischen Modells.
• Es gab technologische Veränderungen/Innovation (im Wesentlichen: Produktivitätssteigerung!) wirkten dem Effekt abnehmender Grenz- und Durchschnittserträge entgegen. Sie hoben diesen Effekt auf.
• Der Zusammenhang zwischen Lebensstandard und Bevölkerungswachstum wurde aufgelöst.
• Ökonomische Modelle sind notwendigerweise unvollständig.