Versaille

Versailles: Höfisches Zeremoniell und barockes Schloss

• Gian Lorenzo Berninis Cappella Cornaro dient als Paradigma barocker Kunst und Architektur.
• Das Gesamtkunstwerk soll den Betrachter emotional affizieren und an der Vision der Heiligen Teresa teilhaben lassen.
• Luigi Scaramuccia würdigte Berninis Kunstfertigkeit.
• Gilles Deleuzes Zitat zur barocken Falte betont die Eigenständigkeit der Falten, die sich von körperlicher Begründung gelöst haben.
• Die aufgewühlten Falten der Heiligen Teresa drücken ihre Ekstase und Transzendenzerfahrung aus und dienen als künstlerisches Mittel der Affektübertragung.
• Was für den Mikrokosmos der Falten gilt, gilt auch für den Makrokosmos einer Kapelle oder eines ganzen Kirchenraumes.
• Ein Brief der Madame de Sévigné aus Versailles an ihre Tochter schildert eine Madame de Brissac, die ihre schmerzhaften Krämpfe als Aufführung inszeniert.
• Madame de Sévigné brachte als Reaktion darauf "tiefe Emotion" zum Ausdruck.
• Die Darstellung der Heiligen Teresa und die Aufführung der Madame Brissac gehorchen denselben Darstellungsgesetzen.

Ludwig XIV. und der Sonnenkönig

• Ludwig XIII. folgte 1610 mit 9 Jahren seinem ermordeten Vater Heinrich IV. auf den Thron.
• Maria de' Medici übernahm die tatsächliche Macht als Regentin.
• Kardinal Richelieu wurde 1624 von Ludwig XIII. zum ersten Minister ernannt.
• Ludwig XIV. wurde 1643 mit 5 Jahren König und stand zunächst unter der Vormundschaft seiner Mutter Anna von Österreich.
• Kardinal Jules Mazarin führte die Regierung.
• Kardinal Richelieu regierte seit 1624 für Ludwig XIII. und Kardinal Mazarin seit 1643 für Ludwig XIV.
• Kardinal Mazarin verstarb 1661.
• Ludwig XIV. rief am 9. März 1661 mit 22 Jahren den Staatsrat zusammen und erklärte, selbst zu regieren.
• Ludwig bezog sich auf Richelieus Testament: Die Monarchie ahmt am meisten die Regierung Gottes nach, daher sollte Gott dieses Amt einer einzigen Persönlichkeit geben.
• Er wählte die Sonne als Symbol seiner Macht und erklärte sich zum Sonnenkönig.
• Seine Devise lautete: "Nec pluribus impar", was bedeutet: "Auch nicht mehreren unterlegen".
• Versailles wurde das Haus der Sonne.
• Das Sonnenemblem Ludwigs ist an vielen Stellen in Versailles zu sehen, wie am schmiedeeisernen Tor zum Mormorhof oder in der Dekoration der Spiegelgalerie.

Nicolas Fouquet und Vaux-le-Vicomte

• Ludwig wünschte 1661, dass Nicolas Fouquet ihm zu Ehren in seinem Schloss Vaux-le-Vicomte ein Fest geben sollte.
• Drei Künstler standen seit 1657 in Fouquets Diensten und machten das Schloss zu einer einzigartigen Anlage: André Le Notre, Louis Le Vau und Charles Le Brun.
• André Le Notre war der große Landschaftsarchitekt und Schöpfer der französischen Gartenbaukunst des Barock.
• Louis Le Vau war der Baumeister des Schlosses und Charles Le Brun sorgte für die Innenausstattung.
• Jean-Baptiste Lully war zuständig für die Musik und Molière für die Theateraufführungen; Jean de La Fontaine war Hofdichter.
• Fouquet hatte die besten Dichter, Schauspieler und Musiker um sich geschart.
• Ludwig ließ Fouquet unter der Anklage der Veruntreuung von Staatsgeldern verhaften.
• Fouquet verbrachte die restlichen 19 Jahre seines Lebens in Festungshaft im Piemont.
• Fouquets Schloss, sein Hof und seine Gärten inspirierten Ludwig XIV. zum Ausbau seines Hofes in Versailles.
• Ludwig übernahm alle Künstler von Fouquet.
• Jean Baptiste Colbert drängte Ludwig den Louvre auszubauen.
• Ludwig machte Versailles, 20 km südwestlich von Paris, zu seiner Hauptresidenz.

Baugestalt und Innere Gliederung

• Die Entstehung des Barockschlosses verdankt sich zwei Faktoren: die Entwicklung der Feuerwaffen und die Festigung der staatlichen Souveränität.
• Die Wehrhaftigkeit eines einzelnen Gebäudes wurde durch immer größere Kaliber sinnlos.
• Die innere Befriedung der Länder erfolgte durch das absolutistische System.
• Die Aufgabe der Verteidigung übernahmen Festungen und die Repräsentation wurde in das Schloss verlegt.
• Das repräsentative Bedürfnis verlangt eine ausgedehnte Schauseite und einen weiten Ehrenhof.
• Die Breite wächst auf Kosten der Höhe und der Tiefe.

Schloss und Land

• Barock-Schlösser sind offen und greifen in das umgebende Land aus.
• Sie stehen im Mittelpunkt eines Systems von Alleen, Parkwegen, Wasserläufen und Kanälen.
• Sie sind an einer Längsachse orientiert und wachsen entlang dieser Achse in die Natur hinaus.
• Die Natur wird wie das Schloss selbst zum Kunstprodukt.
• Der Gartenarchitekt André Le Notre wollte "die Natur mit den Mitteln der Kunst beschämen".
• Die geometrische Ordnung der Schlossanlagen ist ein Spiegelbild der politischen Verhältnisse der Barockzeit.

Innere Gliederung

• Barocke Schlösser haben neue, spezifische Merkmale.
• Im südlichen Teil des Schlosses befand sich die Treppe der Königin, im nördlichen Teil die "Treppe der Botschafter".
• Das Treppenhaus verwandelte der Barock in eine Schaustellung des Überflusses.
• Die "Gesandtentreppe" führte in die Flucht der Säle Venus, Diana, Mars, Merkur, eine Enfilade, die im Saal des Apollo kulminierte.
• Der König empfing seine Besucher bei offiziellen Anlässen auf einem silbernen Thron.
• Enfilade: Reihung gleichartiger Räume mit korrespondierenden Verbindungstüren, die Durchsicht gewähren.
• 1682 wurde das Schlafzimmer ins Zentrum des Schlosses verlegt.
• Im barocken Schloss gibt es keine funktionale Trennung zwischen privaten und öffentlichen Räumlichkeiten.
• Die "Königlichen Gemächer" zwischen 1671 und 1681 waren der Bereich des täglichen Lebens und der Staatsgeschäfte des Königs.

Krieg und Frieden

• Das königliche Schlafzimmer ist vor allem von zwei Themen bestimmt: Krieg, Triumph, Herrschaft und Frieden, Muße, Kunst.
• Die beiden Themen verteilen sich auf die Flügel des Schlosses: Der Bereich der Königin ist mit Motiven des Friedens gestaltet, der Bereich des Königs mit Motiven des Krieges.
• Ludwig XIV. wird als Friedensfürst und Förderer der Künste gefeiert.
• Auf der anderen Seite des Gartens befindet sich der Sonnengott Apoll.
• Die Gartenseite von Versailles ist der Bereich, in dem Apoll Harmonie und Frieden stiftet.

Höfisches Zeremoniell

• Das Schloss hatte die Funktion der Inszenierung einer göttlichen Epiphanie.
• Der Tagesablauf des Herrschers sollte Metapher einer göttlichen Epiphanie sein: Sonnenaufgang – Sonnenuntergang.
• Das Schlafzimmer wurde 1682 ins Zentrum der Anlage verlegt.
• Hier, im Schlafzimmer, empfing Ludwig XIV. Gesandtschaften.
• Hier im Schlafzimmer vollzog sich jeden Morgen und jeden Abend das Ritual des „Lever“.
  • Gewöhnlich um 8h wird der König geweckt.
  • Aufziehen des Vorhanges.
  • Öffnen der Türen für die Kammerpagen.
• Es gab fünf verschiedene Gruppen von Menschen, die nacheinander eintreten durften, mit unterschiedlichem Vorrecht:
  • "Entrée familièe": legitimen Söhne und Enkel des Königs.
  • "Grand entrée": Großkämmerer und Diener der Garderobe.
  • "premiere entree": Vorleser des Königs und Intendanten der Vergnügungen.
  • "entrée de la chambre": alle übrigen Kammerdiener, Minister, Staatssekretäre, Staatsräte und Offiziere der Leibgarde.
  • Damen und Herren von Adel, die sich dem König nähern durften.
• Jede Handlung des Königs, bis hin zur unscheinbarsten Geste, war geplant und ritualisiert.

Machtinstrumente und Bewertung

• Die verschiedenen Handlungen hatten keinen Nutzzweck.
• Jeder Akt im Verlauf der Zeremonie, hatte einen genau abgestuften Prestigewert.
• Ludwig band den Adel und andere wichtige Personen an Versailles.
• Der König nutzte alle diese Verrichtungen um Rangunterschiede herzustellen.
• Es gab die geniale Erfindung eines Perpetuum mobile, das einen Zwang auf alle Beteiligten ausübte, aus dem es kein Entrinnen gab.
• Louis de Rouvroy, duc de Saint-Simon, beschrieb die zahlreichen Feste, Spaziergänge und Ausflüge als Mittel der Belohnung und Strafe.
• Auch Rockprivilegien entstanden, die die Gunst des Königs wiederspiegelte.
• Adelige achteten sehr darauf, sich stets in der Nähe des Königs aufzuhalten.
• Die Zeremonien und Handlungen des höfischen Lebens sind Ausdruck königlicher Macht und absolutistischer Weltsicht.
• Der barocke Hof funktioniert als theatrales Gefüge, das ein Welt- und Menschenbild sowie eine Realität re-präsentiert.

Die Architektur des Barocks

• Die Architektur des Barocks spiegelt nicht nur das Herrschaftswesen jener Zeit wider, sondern sie konstituiert auch diese Ansprüche.
• Die Besonderheit des barocken Schlosses liegt darin, dass es über eine Hierarchie nicht nur der Dekorationsformen, sondern auch der Bauformen verfügt, die zum rituellen Gebrauch eingesetzt werden.
  • Hof (mehrfach gestuft) (Cour d'Honneur, Ehrenhof)
  • Treppe, mit Zwischenpodesten
  • Enfiladen
  • Galerie (der Spiegelsaal; Empfang, Fest)
  • Schlafzimmer (Rituale des Lever und Coucher)
  • Gartenfassade
  • Garten