Jugendstrafrecht: Einführung und Grundlagen

Vorlesung Jugendstrafrecht: Einführung, Geltungsbereich, Grundsätze

• Die Vorlesungsreihe zum Jugendstrafrecht behandelt die Einführung, den Geltungsbereich und die Grundsätze des Jugendstrafrechts.
• Die Vorlesungsmaterialien umfassen ein Folienskript, Referate, das Lehrbuch "Schweizerisches Jugendstrafrecht" von Aebersold/Pruin/Weber in der 4. Auflage (2023) und einen Reader.
• Die Prüfung ist schriftlich und dauert zwei Stunden.

Grundlagen des Jugendstrafrechts

• Jugendstrafrecht hat sowohl einen kriminologischen Hintergrund als auch einen rechtlichen Zugang zum Thema Jugenddelinquenz.
• Bezüglich des Strafrechts gibt es eine Anknüpfung an eine Straftat und Bezugspunkte zum Kindesschutzrecht bei Schutzmassnahmen.
• Das Jugendstrafrecht gilt als Sonderstrafrecht für eine bestimmte Altersgruppe, vor allem mit besonderen Sanktionen und Verfahren, aber ohne eigene Tatbestände.
• Präventives Täterstrafrecht bedeutet, dass sich Sanktionen an der Person des Täters orientieren und Grundsätze wie Schutz und Erziehung gelten.
• Der Schuldausgleich spielt bei der Strafzumessung eine untergeordnete Rolle.

Rechtsquellen des Jugendstrafrechts

• Zu den internationalen Rechtsquellen gehören die Kinderrechtskonvention der UNO (UN-KRK), die Beijing Rules und Europäische Grundsätze für jugendliche Straftäter (Empfehlung REC(2008)11 des Europarates).
• Das schweizerische Recht umfasst das Jugendstrafgesetz (JStG) und die Jugendstrafprozessordnung (JStPO).
• Das kantonale Recht beinhaltet Vollzugsgesetze (z.B. JVG des Kantons Luzern) und Hausordnungen von Institutionen.

UN-Kinderrechtskonvention

• Artikel 3 UN-KRK besagt, dass das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist.
• Artikel 12 UN-KRK sichert Kindern das Recht zu, in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ihrem Alter entsprechend angehört zu werden.
• Artikel 37 UN-KRK fordert die Trennung von Kindern und Erwachsenen in Untersuchungshaft und Strafvollzug.
• Artikel 40 UN-KRK beinhaltet besondere Regelungen für Jugendliche, wie Täterstrafrecht statt Tatstrafrecht, und das Recht auf anwaltliche Vertretung.
• Die Schweiz behält sich vor, dass die Trennung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen im Freiheitsentzug nicht ausnahmslos gewährleistet wird.
• Das schweizerische Jugendstrafverfahren sichert weder einen bedingungslosen Anspruch auf einen Beistand noch die Trennung zwischen untersuchenden und urteilenden Behörden.

Zweckbestimmung und Sanktionen

• Das übergeordnete Ziel des Jugendstrafrechts ist Schutz und Erziehung.
• Artikel 2 JStG besagt, dass der Schutz und die Erziehung des Jugendlichen bei der Anwendung des Gesetzes wegleitend sind.
• Den Lebens- und Familienverhältnissen sowie der Persönlichkeitsentwicklung ist besondere Beachtung zu schenken.
• Schutz umfasst umfassende Fürsorge, Abwehr von Gefahren und die Verbesserung der Entwicklungsbedingungen.
• Erziehung beinhaltet das Aufzeigen von Grenzen, Warnstrafen und die Verdeutlichung, dass das Verhalten nicht akzeptiert wird.
• Das Jugendstrafgesetz sieht Schutzmassnahmen (Aufsicht, persönliche Betreuung, ambulante Behandlung, Unterbringung etc.) und Strafen (Verweis, persönliche Leistung, Busse, Freiheitsentzug) vor.
• Es gibt auch die Möglichkeit des Verzichts auf Strafverfolgung, Mediation und Strafbefreiung.

Anwendbare Straftatbestände

• Grundsätzlich sind alle Straftatbestände des StGB und der Nebenstrafgesetze auf Jugendliche anwendbar.
• Ausnahmen bestehen bei sexuellen Handlungen mit Kindern (Art. 187 StGB) und Pornografie (Art. 197 StGB) unter bestimmten Bedingungen.
• Faktische Ausnahmen bestehen bei Amtsdelikten (Art. 312 bis 317 StGB).
• Es gibt keine besonderen Jugendstraftatbestände, die nur für Kinder gelten ("status offences").

Altersgrenzen im Jugendstrafrecht

• Gemäss Art. 3 Abs. 1 JStG liegt die Strafmündigkeitsgrenze bei 10 Jahren.
• Ausnahmen im Verwaltungsstrafrecht (z.B. Art. 45 VstrRG) besagen, dass Jugendliche unter 15 Jahren nicht strafrechtlich verfolgt werden.
• Im internationalen Vergleich liegt die Strafmündigkeit in Deutschland, Österreich und Spanien bei 14 Jahren, in Schweden, Norwegen und Tschechien bei 15 Jahren.
• Seit 2007 gibt es keine Unterscheidung mehr zwischen Kindern und Jugendlichen.

Relativierung der Strafmündigkeitsgrenze

• Strafen für Kinder unter 15 Jahren sind auf leichte Warnstrafen beschränkt (Verweis, persönliche Leistung bis zu 10 Tagen).
• Es gibt keine Altersdifferenzierungen bei Untersuchungshaft und Schutzmassnahmen.

Obere Altersgrenze

• Die obere Altersgrenze gemäss Art. 3 Abs. 1 JStG liegt bei 18 Jahren (strikte Altersgrenze).
• Dies entspricht Art. 1 UN-KRK, wonach ein Kind jeder Mensch unter 18 Jahren ist.
• In Deutschland gibt es die Heranwachsendenregel (§ 1 JGG), die einen flexiblen Übergang ermöglicht.
• Für eine bestimmte Altersgruppe (z.B. 14- bis 18-Jährige) kommt das Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung, insbesondere in den USA und England.
• In der Schweiz werden das junge Erwachsenenalter bei der Strafzumessung berücksichtigt (Art. 47 StGB) und es gibt besondere Massnahmen für junge Erwachsene (Art. 61 StGB).

Gemischte Fälle ("Übergangstäter")

• Gemäss Art. 3 Abs. 2 JStG sind gleichzeitig vor und nach Vollendung des 18. Altersjahres begangene Taten zu beurteilen.
• Hinsichtlich der Strafen ist nur das StGB anwendbar, während bei den Massnahmen die nach den Umständen erforderliche angeordnet wird.
• Wurde ein Verfahren gegen Jugendliche eingeleitet, bevor die nach Vollendung des 18. Altersjahres begangene Tat bekannt wurde, bleibt dieses Verfahren anwendbar.
• Es gibt eine Anpassung der Zuständigkeit bei Übergangstätern (Art. 3 Abs. 2 E-JStG), wonach die getrennte Beurteilung und Sanktionierung durch separate Verfahrensführungen erfolgt.
• Straftaten vor Vollendung des 18. Lebensjahres nach Jugendstrafrecht durch die Jugendstrafbehörden, Straftaten nach Vollendung des 18. Lebensjahres nach StGB durch Strafbehörden des Erwachsenenrechts.
• Vollzug der separaten Urteilen wird auf Verordnungsebene geklärt (V-StGB-MStG-JStG)
• Die neue Regelung der Zuständigkeit wird dazu führen, dass mehrere Sanktionen nach JStG und StGB aufeinandertreffen.
• Art. 61 StGB: Massnahmen für junge Erwachsene besagt, dass wenn der Täter auch wegen einer Tat verurteilt wurde, die vor dem 18. Lebensjahr begangen wurde, kann die Massnahme in einer Einrichtung vollzogen werden, die für Jugendliche geeignet ist.

Probleme

• Bei der Altersfeststellung können Jugendliche ausländischer Herkunft ihr Alter oftmals nicht mit Ausweispapieren nachweisen.
• Die Altersfeststellung erfolgt nach dem Drei-Säulen-Modell (Körperliche Untersuchung, Röntgenuntersuchung, Erhebung des Zahnstatus).
• Ärztliche Untersuchungen gemäss Drei-Säulen-Modell ergeben kein präzises Alter, sondern eine Spannbreite.
• Für die strafrechtliche Altersfeststellung gilt der In Dubio Pro Reo-Grundsatz.

Straftaten vor dem 10. Altersjahr

• Gemäss Art. 4 JStG sind bei Taten vor dem 10. Altersjahr die gesetzlichen Vertreter des Kindes und gegebenenfalls die Vormundschaftsbehörde oder Fachstelle für Jugendhilfe zu benachrichtigen.
• Dies stellt einen generellen Strafausschlussgrund dar.