DiF I - VL4b

Grundlagen der Diagnostik in pädagogischen Handlungsfeldern

• Die Vorlesung behandelt die Grundlagen der Diagnostik in pädagogischen Handlungsfeldern.
• Im Fokus steht das Thema Schulnoten und deren Objektivität.
• Die Vorlesung wird von Prof. Dr. Ricarda Steinmayr und Prof. Dr. Olga Kunina-Habenicht im Wintersemester 2024/25 gehalten.

Funktionen von Schulnoten

• Die Kriterien und Verfahren zur Leistungsfeststellung und -bewertung sind in den §§ 19-29 der Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisses festgelegt.
• Die Leistungsfeststellung und -bewertung soll die im Unterricht vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten erfassen.
• Sie soll sich auf Beobachtungen im Unterricht, mündliche, schriftliche und ggf. praktische Leistungskontrollen stützen.
• Die gesamte Lernentwicklung des Schülers soll betrachtet werden.
• Sowohl die fachlichen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten als auch die Leistungsbereitschaft und das Verhalten sollen dargestellt werden.
• Der Verlauf der Lernentwicklung soll berücksichtigt werden.
• Die Bewertung soll im Dienst der individuellen Leistungserziehung stehen und dem Schüler eine ermutigende Perspektive für die weitere Entwicklung eröffnen.
• Die schulische Leistungsbewertung erfüllt verschiedene Funktionen, die in pädagogische und gesellschaftliche Funktionen unterteilt werden können.

Pädagogische Funktionen von Noten

• Schulnoten haben eine Sozialisierungsfunktion, indem sie Schüler mit dem Leistungsprinzip vertraut machen und sie lernen, schulische Anforderungen zu erfüllen.
• Die Bewertung von Schulleistungen macht Kindern zunehmend die Erfahrung, dass ihre Lernergebnisse an einem Leistungsmaßstab gemessen werden.
• Noten geben den Lernenden Informationen über ihren Leistungsstand und darüber, inwieweit sie die Lernziele erreicht haben (Rückmeldefunktion).
• Informationen über Schwächen und Stärken durch Noten ermöglichen es Schülern, ihr Lernen zu optimieren.
• Lernergebnisse sollen die Schüler motivieren (Motivierungsfunktion), Anstrengungen zu steigern oder aufrechtzuerhalten.
• Gute Noten sollen einen Anreiz bieten, Anstrengungen aufrechtzuerhalten, während schlechte Noten zur Steigerung der Anstrengungen und zum Aufarbeiten von Defiziten anregen sollen.
• Die Leistungsbewertung gibt der Lehrkraft Informationen darüber (Didaktische Funktion), auf welchen Kompetenzen der weitere Lernprozess aufbauen kann und wo zusätzliche Förderung benötigt wird.
• Informationen aus der Leistungsbewertung können für die Unterrichtsplanung genutzt werden, um Lernprozesse an die individuellen Lernvoraussetzungen anzupassen.
• Noten und Zeugnisse informieren Eltern über den Leistungsstand ihres Kindes (Berichtsfunktion).
• Es wird erwartet, dass Eltern den Lernprozess unterstützen und rechtzeitig eingreifen, wenn Lernziele gefährdet sind.

Gesellschaftliche Funktionen von Noten

• In der modernen Industriegesellschaft ist das individuelle Leistungsvermögen entscheidend für die Position innerhalb der Gesellschaft.
• Höhere berufliche Positionen und Bildungsabschlüsse sollen nur denjenigen offenstehen, die den beruflichen und schulischen Anforderungen gewachsen sind.
• Die Vergabe beruflicher und gesellschaftlicher Positionen erfolgt aufgrund von Schulnoten und Schulabschlüssen, die die individuelle Leistungsfähigkeit widerspiegeln.
• Schulnoten und Abschlusszeugnisse entscheiden letztendlich über den Zugang zu Positionen im Beruf und in der Gesellschaft.
• Abschlusszeugnisse dienen als Berechtigungsausweise, die Absolventen das Recht zum Übergang in eine weiterführende Bildungseinrichtung sichern.
• Die abgebende Bildungseinrichtung bescheinigt dabei eine bestimmte Leistung durch ein Zertifikat, das zum Eintritt berechtigt.
• Selektionsfunktion: Nur die Leistungsfähigsten sollen Zugang zu höheren schulischen oder beruflichen Laufbahnen erhalten.
• Leistungsbeurteilungen in Deutschland dienen als Grundlage für den Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen.
• Schulnoten sind ein entscheidendes Kriterium für die Versetzung in die nächste Jahrgangsstufe, den Zugang zu weiterführenden Schulen, das Erreichen von Schulabschlüssen und die Zulassung zum Studium.
• Noten dienen nicht nur der reinen schulischen Leistungsbewertung.
• In der öffentlichen Wahrnehmung werden Noten als Indikatoren für die schulische Leistung in einem bestimmten Fach verstanden.

Objektivität von Schulnoten

• Studien zur Auswertungsobjektivität von Klassenarbeiten zeigen oft niedrige Kennwerte für die Objektivität von Noten.
• Eine Untersuchung von Starch & Elliot (1913) analysierte die Objektivität der Bewertung einer Mathematik-Klausur.
• In einer Studie mit 617 Deutschaufsätzen beurteilte keiner der 18 Lehrer die Arbeiten gleich; 10% deckten alle Notenstufen ab.
• Es erfolgte Identifizierung von Hoch- und Tiefbeurteilern (Schröter, 1985).
• Geographie, Geschichte, Englisch und Mathematik wurden in Studien von Eells (1974) und Starch & Elliot (1913) untersucht.
• Starch & Eliot (1913) untersuchten die Beurteilung derselben Klassenarbeit in Punkten von 128 verschiedenen Lehrkräften.
• Birkel & Birkel (2002) untersuchten die Beurteilung von 4 Aufsätzen durch die gleichen Lehrkräfte.
• Andere Studien stellten Noten, die von unterschiedlichen Lehrkräften vergeben wurden, objektiven Schulleistungstests gegenüber.
• Die Verteilung der Noten wird mit der Verteilung von objektiven Maßen (z. B. standardisierte Schulleistungstests) verglichen.
• In einer Studie wurden 37 Klassen untersucht.
• Berechnet wurde, wie viele Punkte im Schnitt SuS mit einer bestimmten Note in dem von allen bearbeiteten Curricular validen Mathetest hatten.
• Eine Grafik zeigt die Mittelwerte der Rohpunkte im HKI 8 bei verschiedenen Rechenzensuren.
• Hauptursachen für Unterschiede zwischen Lehrerbeurteilungen sind unterschiedliche Klassenarbeiten oder das Fehlen eines allgemein verbindlichen Maßstabes.
• Lehrkräfte orientieren sich stark am klasseninternen Bezugsrahmen.
• Zusammenhänge zwischen Noten und objektiven Testergebnissen sind innerharalb der Klassen hoch, aber über die Klassen hinweg gering.

Weitere Fehlerquellen bei der Leistungsbeurteilung

• Es gibt diverse Beurteilungsfehler, wie Beobachtungsmängel oder selektive Aufmerksamkeit.
• Erinnerungsfehler entstehen, weil erste und letzte Ereignisse besser erinnert werden.
• Urteilstendenzen sind Tendenzen zu Strenge, Milde, Mitte oder Abweichungen.
• Fehlerhafte Ursachenzuschreibungen, wie Annahme von Begabungsmangel.
• Halo-Effekt: aufgrund einzelner Eigenschaften wird Person beurteilt (z. B. Namen, Aussehen, Migrationshintergrund) wo Negatives wird sich eher gemerkt als Positives.
• Stereotype: z. B. hinsichtlich sozialem Hintergrund oder Geschlecht.
• Auch Erwartungseffekte(z. B. selbsterfüllende Prophezeiungen) können zu Beurteilungsfehlern führen.
• Oftmals gibt es Sympathie/Antipathie.
• Die subjektive Gewichtung einzelner Leistungsaspekte (z.B. wer gut in Mathe ist, ist auch gut in Physik etc.) spielt eine Rolle.
• Beobachtungsmängel (z. B. selektive Aufmerksamkeit, Rechtschreibung wird stärker gewichtet als guter Inhalt.)
• Erinnerungsfehler(Qualität von Einleitung und Ende der Arbeit wird stärker berücksichtigt, da besser erinnert) entstehen.
• Tendenz zu Strenge: "Bei mir fallen alle - auch die kleinen Fehler - ins Gewicht.
• Gute Noten kann es nur ganz selten geben."
• Tendenz zur Milde: "Ich gebe keine schlechten Noten"
• Tendenz zur Mitte: „Extreme Urteile sind selten angebracht."
• Tendenz zu Extremen: z. B. Manchmal ist gar nicht so viel dahinter.
• Halo-Effekt (Heiligenschein-Effekt): "So wie der aussieht, kann er ja nur Schlecht in der Schule sein."
• Subjektive Gewichtung einzelner Leistungsaspekte:"Für mich gehört eine gute Rechtschreibung einfach zu einer guten Deutscharbeit."
• Zusätzlich zu normalen Fehlern, mündliche Prüfungen sind noch weniger standardisiert als schriftliche.

Sicherung der Auswertungsobjektivität

• Die Auswertungsobjektivität eines Tests wird gesichert, indem verbindliche Vorschriften festlegen, wie das Verhalten des Probanden zu quantifizieren ist.
• Um das zu sichern, gibt es Vollständige Auswertungsobjektivität, die vorliegt, wenn z.B. vorliegen z.B. bei Multiple-Choice Aufgaben. Die ist z. B. durch Angaben im Handbuch zur Auswertung gesichert.
• Die unvollständige Auswertungsobjektivität kommt bei offenen Antwortformaten zum tragen
• Bei offenen Antworten ist die Auswertungsobjektivität besser, wenn die Auswertungskriterien eindeutiger und differenzierter sind, mehrere Bewerter/Prüfer beteiligt sind und die Auswerter geschult sind.
• Wenn Kriterienkataloge vorliegen, werden Klassenarbeiten objektiver beurteilt.
• Die Noten haben die folgenden Bedeutungen:
  • Sehr Gut:Leistung entspricht im besonderen Maße den Anforderungen.
  • Gut: Leistung entspricht voll den Anforderungen.
  • Befriedigend: Leistung entspricht im Allgemeinen den Anforderungen.
  • Ausreichend: Leistung weist zwar Mängel auf, aber im Ganzen entspricht sie den Anforderungen.
  • Mangelhaft: Leistung entspricht nicht den Anforderungen, jedoch sind notwendige Grundkenntnisse vorhanden und die Mängel können in absehbarer Zeit behoben werden.
  • Ungenügend: Leistung entspricht nicht den Anforderungen und die Grundkenntnisse sind so lückenhaft, dass die Mängel in absehbarer Zeit nicht behoben werden können.
• Voraussetzung für die Interpretationsobjektivität sind die übrigen Objektivitätsaspekte, wie gleiche Aufgaben und Auswertungsraster.
• Die Beschreibung zur Interpretation der Noten muss eindeutig sein.