Mögliche Literatur + Baur et al. ZDB 2019 PDF
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Armin Baur, Markus Emden, Arne Bewersdorff
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Summary
This document is a scientific paper analyzing optimal instructional procedures for developing experimental competencies in science classes. The paper advocates for a multi-faceted approach that considers various theoretical perspectives, including educational theory, to frame learning objectives. It proposes eight principles for the effective teaching of experimentation in science.
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– Entwicklungsbeitrag – Welche Unterrichtsprinzipien sollten für den Aufbau von Kompetenzen zum Experimentieren Beachtung finden? Eine Ableitung auf Basis multiperspektivisch begründeter Unterrichtsziele Armin Baur 1, Markus Emden 2 und Arne Bewersdorff 1...
– Entwicklungsbeitrag – Welche Unterrichtsprinzipien sollten für den Aufbau von Kompetenzen zum Experimentieren Beachtung finden? Eine Ableitung auf Basis multiperspektivisch begründeter Unterrichtsziele Armin Baur 1, Markus Emden 2 und Arne Bewersdorff 1 1 Pädagogische Hochschule Heidelberg, Institut für Naturwissenschaften, Geographie und Technik, Fach Biologie 2 Pädagogische Hochschule Zürich, Zentrum für Didaktik der Naturwissenschaften ZUSAMMENFASSUNG Dem Experimentieren kommt als Methode zum Erkenntnisgewinn eine große Bedeutung zu. Diese wird auf curricularer Ebene durch entsprechende Kompetenzformulierungen in den Bildungsstandards aufgegriffen. Aber nicht nur fachlich-disziplinäre und curriculare Begründungen weisen das Experimentieren als wichtige Erkenntnismethode für Lernende und daher als expli- ziten Unterrichtsgegenstand aus. Auch aus den Perspektiven der Bildungs- und Lerntheorie, die in diesem Artikel bei der Ab- leitung von Unterrichtsprinzipien zusätzlich zu den fachlich-disziplinären und curricularen Perspektiven Beachtung finden, bildet Experimentieren einen wichtigen Lerngegenstand. Entsprechend kommt der Frage des Vorgehens beim Unterrichten, d. h. der Methodik, große Relevanz zu. Für das Unterrichten sind Maßstäbe zur methodischen Orientierung wichtig: dies sind Unterrichtsprinzipien. Unterrichtsprinzipien sind didaktische Grundsätze, welche das Unterrichtsplanen und -handeln leiten sowie Bezugspunkte für die didaktische Forschung darstellen. Die multiperspektivische Begründung des Experimentierens bildet den ersten Schritt bei der Formulierung von Lehr-Lern-Zielen. Aus den Zielen werden danach Unterrichtsprinzipien abgeleitet. Als Unterrichtsprinzipien [P] werden identifiziert: (P1) ‚Teilprozesse des Experimentierens berücksichtigen‘, (P2) ,Experimentieren als expliziter Unterrichtsgegenstand‘, (P3) ‚Experimentieren üben‘, (P4) ‚Experimentieren zum Problemlö- sen einsetzen‘, (P5) ‚Prozessreflektierend experimentieren‘, (P6) ‚Grenzen von Experimenten ansprechen‘, (P7) ‚wissenschaft- liche Strenge walten lassen‘ und (P8) ‚Selbsttätigkeit der Lernenden beim Experimentieren‘. Schlüsselwörter: Experimentieren, Kompetenzen zum Experimentieren, Lehr-Lern-Ziele, Unterrichtsprinzipien, naturwissen- schaftliche Erkenntnismethoden ABSTRACT Science and Science Education consider experimentation to be a crucial method of scientific inquiry. Curricula mirror this position in the science standards’ performance expectations on experimentation. Yet, it is not merely its disciplinary and cur- ricular significance that declare experimentation to be an essential method of inquiry and, thus, make it an explicit topic of study in science education. Experimentation can be understood as an important aspect of learning from the perspectives of a theory of Bildung and from Learning Theory as well. Accordingly, the question how to teach experimentation (methodology) has great relevance. Teaching essentially requires benchmarks for methodical orientation: these are lesson principles. Lesson principles are science education related maxims to inform lesson planning and enactment. At the same time, they can serve as points of reference for science education research. In order not to lose sight of the multi-perspective consideration in the deri- vation of lesson principles, the formulation of instructional goals was carried out in a first step. Afterwards, lesson principles were derived from these goals. Eight lesson principles [P] are suggested: (P1) ‚Consider the component processes of experi- mentation‘, (P2) ‚Make experimentation explicit in lessons‘, (P3) ‚Practice experimentation‘, (P4) ‚Use experimentation for problem solving‘, (P5) ‚Reflect the experimentation process‘, (P6) ‚Address limitations of experiments‘, (P7) ‚Be scientifically rigorous‘, (P8) ‚Allow students to experiment self-directedly‘. Key words: experimentation, experimentation competences, goals, lesson principles, scientific inquiry 10 Baur et al. (2019) 1 Einleitung Der Blick in etliche aktuelle Fachdidaktiklehrbücher die Ziele auf der Basis der Begründungen (Warum) (z. B.; Barke, Harsch, Krees & Marohn, 2015; Kir- des Experimentierens abgeleitet. cher, Girwidz & Häußler, 2015; Spörhase, 2015; Die Vermittlung von naturwissenschaftlichem Wis- Sommer & Pfeifer, 2018) sowie Curricula (siehe sen (inhaltliches und prozedurales Wissen) ist ein 3.4) lässt die Interpretation zu, dass Experimentieren komplexer Prozess, für dessen Beschreibung man als Methode und Inhalt eine wild card hat: Denn auf eine Vielzahl von Bezugswissenschaften ange- trotz Kritik an der Lernwirksamkeit und Lernökono- wiesen ist (Duit, 2004; Spörhase, 2015). Um das mie (Hofstein & Lunetta, 1982, 2007, 2004; Lunetta, Warum und Wohin des Experimentierens herauszu- Hofstein & Clough, 2007) bewahrt es seinen Stellen- stellen, darf nicht nur die fachlich-disziplinäre Per- wert im naturwissenschaftlichen Unterricht. spektive eingenommen werden, sondern es müssen, Wir erachten es daher als notwendig, eine zentrale da Experimentieren in einem schulischen Lehr- Begründungslinie zwischen ‚Was‘ (Experimentie- Lernprozess organisiert werden soll, auch die bil- ren) und ‚Wie‘ (Umsetzung im Unterricht) zu be- dungstheoretische, die lerntheoretische und die cur- leuchten, der wiederum eine fachdidaktische Klä- riculare Perspektive berücksichtigt werden. rung um das ‚Warum‘ (Begründung) und ‚Wohin‘ Die Zielsetzung dieser Arbeit ist es, Unterrichtsprin- (Ziele) als Argumentation vorausgehen muss. Denn zipien aus vorab begründeten Unterrichtszielen ab- die Fachdidaktik nimmt eine Brückenfunktion zwi- zuleiten, um methodische Orientierung für den Un- schen dem Fach (z. B. Biologie) und der allgemei- terricht zum Aufbau von Kompetenzen zum Experi- nen Didaktik ein, um eine wissenschaftlich fundierte mentieren anzubieten sowie damit Impulse für die Verknüpfung beider Bereiche herzustellen (Eschen- fachdidaktische Forschung und einen Bezugsrah- hagen, Kattmann & Rodi, 2001). Didaktik wird als men für konzeptionelle Arbeiten zu geben. Wissenschaft zur Theorie- und Konzeptbildung ver- standen (Klafki, 2007), die sich mit Inhalten (Was 2 Experimentieren – das WAS soll gelernt werden), Begründungen (Warum ist es Experimentieren kann hinsichtlich seiner Funktion wichtig, das zu lernen) und Zielen (Wohin: ange- im Unterrichtsgang (Hinführung zum Thema, Erar- strebter Zustand) beschäftigt (Klafki, 2007). Hierbei beitung von Inhalten, Bestätigung von Inhalten) so- muss bedacht werden, dass die „Auswahl und An- wie in seiner Durchführungsform (Demonstrations- ordnung von Lernzielen und -inhalten […] ge- experiment, Schülerexperiment) sehr unterschied- schichtliche Entscheidungen unter bestimmten ge- lich interpretiert werden. Wie oben bereits ange- schichtlichen Voraussetzungen [sind]“ (Klafki, führt, muss vor einer Auseinandersetzung mit dem 2007, S. 87), sodass Lernziele veränderbar sind und Wie das Was genau geklärt worden sein, damit die gelegentlich reflektiert werden sollten. Klafki Entscheidungen über die Verfahren des Lehrens und (2007) führt die Methodik als einen Teilbereich der Lernens am Inhalt orientiert erfolgen können. Didaktik an, die sich mit den Verfahren des Lehrens Der Stellenwert naturwissenschaftlicher Erkenntnis- und Lernens (Wie und Womit) auseinandersetzt. Die methoden im Unterricht – sowie ein Verständnis von Auseinandersetzung mit dem Womit entspricht beim ihrer Vermittlung – veränderte sich infolge der ers- Experimentieren einer Diskussion über die Auswahl ten PISA-Studie (OECD, 2000). Deren Ergebnisse von Experimentierobjekten sowie über die grund- hatten für Deutschland massive bildungsadministra- sätzliche Auswahl geeigneter (lernergerechter) La- tive Implikationen (z. B. Klieme et al., 2003) und borgeräte, deren umfassende Bearbeitung über den führten zur Neuausrichtung in der naturwissen- Rahmen dieser Arbeit hinausginge. Da die Frage schaftsdidaktischen Forschung (z. B. Fischer et al., nach dem Was der Frage nach dem Wie vorgeschal- 2003). Die Fachdidaktiken der Naturwissenschaften tet sein sollte (vgl. auch Perspektivschema bei definierten in der Folge die Aufgabe des naturwis- Klafki, 2007), erfolgt im nächsten Gliederungspunkt senschaftlichen Unterrichts als Vermittlung von Sci- zuerst eine Klärung, was in dieser Arbeit unter dem entific Literacy (z. B. Bernholt, Neumann & Nent- Begriff ‚Experimentieren‘ verstanden wird. Da Ent- wig, 2012; Gräber, Nentwig, Koballa & Evans, scheidungen zur Methodik im Hinblick auf Inhalte 2002). und Ziele (Wohin) erfolgen – „form follows func- tion“ – (vgl. auch Baisch, 2016), werden daraufhin ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 11 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) Dieser theoretische Ansatz aus der anglo-amerikani- Da – exemplarisch – Bybee eine „konzeptionelle und schen Tradition fand eine Übersetzung in den natio- prozedurale Scientific Literacy“ vorsieht und Hod- nalen Bildungsstandards der Konferenz der Kultus- son die Zielsetzung „learn to do science“ aufnimmt, minister der Länder in der Bundesrepublik Deutsch- stellt sich notwendig die Aufgabe, naturwissen- land [KMK] (2005a-c). Daher soll Experimentieren schaftliche Erkenntnismethoden im Unterricht ex- im naturwissenschaftlichen Unterricht hier vor dem plizit als Unterrichtsgegenstand zu thematisieren Hintergrund von Scientific Literacy beispielhaft mit und sie hierbei in ihrer epistemologischen Funktion Bezug zu Bybee (2002) und Hodson (2014) betrach- darzustellen. Da das Experimentieren einen hervor- tet werden. Dies ist notwendig, um darzulegen, was gehobenen Stellenwert unter den naturwissenschaft- in dieser Arbeit unter dem Begriff ‚Experimentie- lichen Erkenntnismethoden einnimmt, muss auch ren‘ verstanden wird. Gleichwohl sei betont, dass ein das Experimentieren demgemäß im Scientific Lite- solch dominanter Bezug zu Scientific Literacy kei- racy Diskurs als eigenständiger Unterrichtsgegen- nesfalls dazu führen darf, komplementäre Sichtwei- stand – als Was – verstanden werden (Kirschner, sen nicht mehr zu berücksichtigen (vgl. Klafki, 1992). 2007). Das Experimentieren wird demnach in diesem Arti- Bybee (2002) differenziert vier Ausprägungen von kel als Erkenntnismethode zur Beantwortung von Scientific Literacy: (I) Nominale Scientific Lite- naturwissenschaftlichen Fragestellungen verstan- racy: Lernende auf dieser Stufe können Begriffe, den, die von Lernenden erlernt und angewandt wer- Ideen und Themen aus den Naturwissenschaften und den soll, gegenüber einem Verständnis von Experi- der Technik mit diesen Gebieten assoziieren; (II) mentieren als Unterrichtsmethode. Funktionale Scientific Literacy: Lernende zeichnen sich dadurch aus, dass sie Begriffe korrekt verwen- 3 Perspektiven der Begründung und den, sie können Texte mit naturwissenschaftlichem Ableitung von Unterrichtszielen – das und technischem Inhalt schreiben und lesen (beide WARUM und WOHIN Stufen erfüllen tendenziell eher den Anspruch auf Inhaltswissen); (III) Konzeptionelle und proze- Es ist im Unterricht notwendig, die Bedarfe und durale Scientific Literacy: Lernende haben ein Ver- Möglichkeiten der Lernenden im Blick zu behalten ständnis für Prozesse und Verfahren der Naturwis- sowie sicherzustellen, dass ein zeitgemäßes Bild von senschaften und Technik, sie können Inhaltswissen Wissenschaft ersichtlich wird (Glöckel, 2003). Da- (Vokabular, Informationen und Fakten) in Bezie- her sollen im Folgenden vier komplementäre Per- hung zu konzeptionellen Ideen setzen und können spektiven auf das Experimentieren als Erkenntnis- naturwissenschaftliche Fragen stellen, sie können in methode diskutiert und hieraus notwendige Ziele in naturwissenschaftlichen Wirkzusammenhängen Bezug auf das Experimentieren abgeleitet werden. denken und ihr Verständnis in Erkenntnisprozessen Da es hierbei um den weiteren Begründungszusam- anwenden (hinzukommend: Prozesswissen); (IV) menhang einer methodischen Gestaltung von Unter- Multidimensionale Scientific Literacy: Lernende richt geht, bildet der zuvor inhaltlich definierte Un- entwickeln vielfältige Perspektiven auf Naturwis- terrichtsgegenstand (Was, siehe Abschnitt 2) die senschaft und Technik, sie haben ein Verständnis Grundlage aller weiteren Betrachtungen. von Nature of Science, können auch Naturwissen- schaft und Technik in einem sozialen und geschicht- 3.1 Fachlich-disziplinäre Perspektive lichen Kontext verstehen (hinzukommend: Meta- Das Experiment stellt in den naturwissenschaftli- und Reichweitenwissen). chen Disziplinen eine zentrale Methode der Erkennt- Hodson (2014) hingegen schlägt vier allgemeine nisgewinnung dar (Popper, 1989) und wird häufig Zielsetzungen des naturwissenschaftlichen Unter- als die naturwissenschaftliche Methode (miss-)ver- richts vor: (A) learn science ( Inhaltswissen), (B) standen (vgl. Ledermann, 2007; McComas, 1996). learn to do science ( Prozesswissen), (C) learn Mittels des Experiments können Annahmen über about science ( Metawissen), (D) addressing Zusammenhänge in natürlichen Phänomenen unter- socio-scientific issues ( Wissen um Reichweite sucht und so der Bestand naturwissenschaftlicher naturwissenschaftlicher Belange). Erkenntnis gemehrt werden. Das hypothesenprüfende naturwissenschaftliche Ex- periment wird in den Naturwissenschaften oft als ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 12 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) Standardauffassung eines Experiments angesehen bei der Durchführung und Dokumentation (z. B. Fa- (Steinle, 2004). Das Experiment ist in diesem Ver- raday, 1828), aber auch Aspekte wie das Befolgen ständnis immer ein Vorgehen, um eine theoretisch der Variablenkontrollstrategie (z. B. Schwichow, begründete und fokussierte Zusammenhangsvermu- Croker, Zimmerman & Härtig, 2016), der Bezug zu tung zu überprüfen. Zum Teil werden in naturwis- operationalen Definitionen (Klahr, 2013) – d. h. na- senschaftliche Erkenntnisprozesse explorative An- turwissenschaftlich beantwortbare Fragestellungen sätze des Experimentierens eingebunden, um Hypo- und eindeutige Hypothesen – und nicht zuletzt An- thesen auch ohne explizite Theorien zu generieren sprüche nach Wiederholbarkeit, Nachvollziehbar- (Steinle, 2004). An dieser Stelle darf jedoch nicht keit und einer sinnvollen Dokumentation mit Fehler- der Eindruck entstehen, dass es die universelle expe- diskussion (McComas, 1998; Priemer, 2006). Dar- rimentelle Methode gäbe; im Gegenteil, das Vorge- über hinausgehend sollten auch im naturwissen- hen ist nicht normiert (McComas, 1998) und im ho- schaftlichen Unterricht Qualitätskriterien weiterer hen Grade durch professionelle Erfahrung struktu- empirischer Forschung (z. B. Bortz & Döhring, riert (Wong & Hodson, 2009). 2002) angesprochen werden, da diese wesensbil- Für den Unterricht in der Schule wird nichtsdesto- dend für akademische Studien sind, die in der Öf- weniger meist eine vereinfachend schematisierende fentlichkeit wahrgenommen werden. Denn Ler- Untergliederung des Experimentierens in Teilpro- nende sollen unseres Erachtens im Sinne von ‚Learn zesse (Frage stellen, Hypothese generieren, Untersu- about Science‘ (Hodson, 2014) nicht nur von der chung planen …) empfohlen (z. B. Mayer, 2007). wissenschaftlichen Strenge (Scientific Rigour) er- Denn die zugrunde liegenden Denk- und Arbeits- fahren, sondern auch lernen, Untersuchungen bezüg- weisen werden als hinreichend generalisierbar und lich ihrer wissenschaftlichen Strenge zu bewerten abstrahierbar verstanden (Gagné, 1965), um Ler- (zum Beispiel ist eine publizierte Ernährungsstudie nende mit den Grundzügen naturwissenschaftlicher mit vier Probandinnen und Probanden nur bedingt Tätigkeit vertraut zu machen. Die Gliederung des aussagekräftig). Lernende müssen in diesem Zusam- Prozesses in Teilprozesse gibt dabei jedoch nicht menhang aus fachlicher Sicht im Sinne der Nature of vor, dass jedes Experimentierdesign (Aufbau und Science auch erfahren, dass wissenschaftliche Un- Durchführung der Experimentieranordnung) einem tersuchungen keine absoluten Beweise liefern kön- vorgegebenen Muster folgt oder dass der Ablauf der nen und sich Wissen verändert und weiterentwickelt Teilprozesse linear ist. Ein Verständnis der einzel- sowie kulturspezifisch ist (u. a. Lederman, 2007; nen Teilprozesse ist Voraussetzung, um sie funktio- McComas, 1998; Popper, 1989; Priemer, 2006). nal aufeinander beziehen zu können: beispielsweise Beim Experimentieren ist daher, um die Aussage- ist eine Fragestellung zwingend – ohne sie keine kraft und die Grenzen der Ergebnisse zu reflektieren, zielgerichtete Untersuchung –, darauf aufbauende eine Diskussion über Fehler und Wiederholbarkeit Hypothesen bestimmen die weitere Untersuchung; erforderlich. Im Rahmen dieser Diskussion ist das die Hypothese ist für die Planung der Untersuchung Beachten der wissenschaftlichen Strenge notwendig. notwendig, da sie die zu variierende unabhängige Aus den Überlegungen leitet sich dieses Ziel ab: Variable vorgibt, um eine Wirkung auf eine abhän- Die Lernenden können Grenzen der Aussagekraft gige Variable zu erfassen. von Experimenten reflektieren. Hieraus ergibt sich für den Unterricht das Ziel: [Ziel 3 in der in Abschnitt 4 folgenden Übersicht] Die Lernenden können Experimentieren als Stra- tegie beschreiben: Die Lernenden kennen die unter- 3.2 Bildungstheoretische Perspektive schiedlichen Teilprozesse und deren Funktion. Lernenden wird durch das Experimentieren die Teil- [Ziel 1 in der in Abschnitt 4 folgenden Übersicht] habe an naturwissenschaftlicher Kultur möglich und sie lernen einen alternativen ‚Modus der Weltbegeg- Als weiteres Kennzeichen aller Erkenntnisverfahren nung‘ kennen, der ihre Wahrnehmung und ihr Han- der naturwissenschaftlichen Domänen ist das Vorge- deln beeinflussen kann (Baumert, 2002). Damit wird hen unter Wahrung wissenschaftlicher Strenge (Sci- ihnen ein zusätzlicher Orientierungsrahmen gege- entific Rigour) zu sehen. Hierunter versteht man für ben, der ihnen bei der Ordnung und Einordnung das naturwissenschaftliche Experimentieren einer- neuer Erkenntnisse hilft – dies ist, nach Litt (1959), seits Sorgfalt, Sauberkeit und Gewissenhaftigkeit genau das, was Bildung ausmacht. Klafki (1963: Ka- tegoriale Bildung) bezeichnet Bildung als Prozess ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 13 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) und Produkt, was sich dadurch auszeichnet, dass schaftsgläubigkeit aktiv vorgebeugt und Bil- sich Bildungsobjekt und Bildungssubjekt gegensei- dung zur Demokratisierung beigesteuert (Dri- tig erschließen. Das heißt, dass Lernen sich nicht in ver, Leach, Millar & Scott, 1996; Sjöström & bloßer Enzyklopädisierung erschöpft (‚Ich weiß Eilks, 2018). Zudem wird Lernenden durch das jetzt, was die Kennzeichen von Amphibien sind.‘, Experimentieren eine wirkmächtige Problemlö- ‚Ich kann die Bestandteile einer Zelle aufzählen.‘ sestrategie verfügbar, die auch im Alltag An- …), sondern den Lernenden darüber hinausgehend wendung finden kann (z. B. Mayer, 2007). zum verantwortlichen Handeln befähigt (Klafki, (c) Zukunftsbezug des Experimentierens: Im We- 2007, S. 52). Dies ist beim Experimentieren prototy- sentlichen treffen hier die Aussagen des Ab- pisch gegeben, wenn Lernende so weit fortschreiten, schnitts (b) zu. Hinzu kommen jedoch berufs- dass sie selbstständig experimentieren können. Sie propädeutische Aspekte (vgl. z. B. Henke, machen sich die Methode dann zu eigen und verfü- 2016) oder Aspekte der Berufsorientierung (vgl. gen produktiv über sie (vgl. auch Litt, 1959, S. 63). Ertl, 2010), da eine Vielzahl akademischer Be- Im Gegenzug wird die Methode erschlossen, indem rufe und viele Ausbildungsberufe naturwissen- sie flexibilisiert wird – sie ist kein starres Werkzeug, schaftsaffine Aspekte berühren und somit in der das nur auf die eine Weise angewendet werden kann, weiteren Biografie von Relevanz sein können. sondern lässt sich an unterschiedliche Probleme an- Das Experimentieren verfügt – in Anlehnung an passen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit die- Klafki (1964) – gleichzeitig über material sowie for- sen Aspekten findet sich in Emden, Bewersdorff & mal bildende Eigenschaften (vgl. Emden, Bewers- Baur (2019). dorff & Baur, 2019). Als Erkenntnismethode der Na- In diesem Sinne kann (und sollte) man nach Klafki turwissenschaften hat es einen ‚Wert an sich‘ (wis- auch das Experimentieren didaktisch analysieren – senschaftlicher Objektivismus). Indem es exempla- Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbe- risch in Teilprozessen gegliedert und anschließend reitung (Klafki, 1963) – und auf seinen ‚Mehrwert‘ in Heuristiken zusammengefasst wird (Elementari- überprüfen. Betrachtet werden sollen hier nur die sierung), wird es aus spezifischen Verwendungskon- ersten drei verallgemeinernden Aspekte der didakti- texten gelöst und eine Übertragbarkeit auf andere schen Analyse, die auch in Klafkis jüngerem Per- Problemstellungen wird ermöglicht (Theorie des spektivenschema zur Unterrichtsplanung den Be- Klassischen). Darüber hinaus leistet es einen Beitrag gründungszusammenhang von Unterricht konstitu- zur ‚Kräfteentwicklung‘ des Subjekts, indem es die- ieren (Klafki, 2007; Koch-Priewe, Köker & Stört- ses das naturwissenschaftliche Denken lehrt (funkti- länder, 2016) und der an dieser Stelle hinsichtlich onaler Bildungsbegriff), sowie zur Handlungsbefä- des Was und Wohin von Unterricht besonders rele- higung in entsprechenden naturwissenschaftlichen vant ist: Problemsituationen beiträgt (methodischer Bil- (a) Exemplarizität des Experimentierens: Experi- dungsbegriff). Die beiden formalen Bildungsaspekte mentieren ist prototypischer Ausdruck des na- sind dabei nicht ohne Bezüge zu den beiden Aspek- turwissenschaftlichen Vorgehens. Untersu- ten materialer Bildung zu realisieren. Laut Klafki chungen werden meist auf theoretisch begrün- (1963) ist Bildung, die Beiträge in allen vier bil- dete Annahmen gestützt, kontrolliert durchge- dungstheoretischen Strömungen (wissenschaftlicher führt und einer kritischen Reflexion unterwor- Objektivismus, Theorie des Klassischen, funktio- fen. Die Methode ist über Fächergrenzen hin- nale bzw. methodische Bildung) leistet, als katego- weg anwendbar und ist in ihrer Struktur bei- riale Bildung zu verstehen, die sich in einer wechsel- spielgebend für weitere naturwissenschaftliche seitigen Erschließung manifestiert. Dem Experimen- Erkenntnismethoden (z. B. Modellieren oder tieren kommt entsprechend ein eigener Bildungsge- Vergleichen, vgl. a. Upmeier zu Belzen & Krü- halt zu. ger, 2019). Aus der bildungstheoretischen Perspektive ist es be- (b) Gegenwartsbezug des Experimentierens: Ler- deutend, dass man mithilfe einer Kenntnis über das nende können nur mithilfe einer Kenntnis über Experimentieren, dessen ‚Logik‘ und Grenzen, aktu- das Experimentieren, seiner ‚Logik‘ und seiner ell generiertes naturwissenschaftliches Wissen be- Grenzen aktuell generiertes naturwissenschaft- werten kann (funktionale Bildung) – auch im Sinne liches Wissen bewerten. So wird einer Wissen- einer Demokratisierung (Driver et al., 1996; Sjöst- röm & Eilks, 2018). ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 14 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) Entsprechend kann folgendes Ziel abgeleitet wer- durchlaufende – Regelschritte (Regeln) interpretie- den: ren. Hieraus folgt ein Anspruch, dass alle Teilpro- Die Lernenden können Grenzen der Aussagekraft zesse von den Lernenden durchgeführt und Sinn und von Experimenten reflektieren. Notwendigkeit der Teilprozesse im Unterricht (wie- [Ziel 3 in der in Abschnitt 4 folgenden Übersicht; derholt) besprochen werden müssen. siehe auch 3.1] Aus der lerntheoretischen Perspektive folgt daher noch das Ziel: Aus der Perspektive materialer Bildungstheorien, Die Lernenden können die innere Logik eines ex- die korrektes und elementares Wissen vermittelt se- perimentellen Vorgehens erklären. hen wollen, ergibt sich das Ziel: [Ziel 2 in der in Abschnitt 4 folgenden Übersicht] Die Lernenden können Experimentieren als Stra- tegie beschreiben: Die Lernenden kennen die unter- 3.4 Curriculare Begründung des schiedlichen Teilprozesse und deren Funktion. Experimentierens [Ziel 1 in der in Abschnitt 4 folgenden Übersicht; Bildungspolitisch spiegelt sich die Forderung nach siehe auch 3.1] der Vermittlung von prozeduralem Wissen und epis- temologischem Verständnis, sprich von naturwis- 3.3 Lerntheoretische Ebene senschaftlichen Arbeitsweisen wie dem Experimen- In der pädagogischen Psychologie hat sich die kon- tieren, neben dem Inhaltswissen in nationalen sowie struktivistische Sicht auf das Lernen etabliert internationalen Lehr- und Bildungsplänen wider (Göhlich, Wulf & Zirfas, 2014), sodass auch diese (siehe Tab. 1, s. a. Abd-El-Khalick et al., 2004; Em- Arbeit darauf zurückgreift. den, 2011). Aus der Perspektive konstruktivistischer Lerntheo- rien (z. B. handlungsorientiert-konstruktivistischer Ansatz) ist es unabdingbar, dass Lernen durch ak- tive, selbstständige und handlungsorientierte Ausei- nandersetzung mit dem Lerngegenstand erfolgt, da sich Lernende das Bild der Welt nur selbst erschlie- ßen können (Schnotz, 2011). Lernen ist ein Prozess, der aus Konstruktion (die Welt selbst erfahren), Re- konstruktion (bestehendes, dargebotenes Wissen selbst noch einmal durchdenken) und Dekonstruk- tion (hinterfragen: Könnte es auch anders sein?) be- steht (Reich, 2012). Daher erfordert das Sammeln von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen (Kon- struktion), dass naturwissenschaftliche Erkenntnis- methoden selbstständig geplant und ausgeführt wer- den können. Woraus das Ziel folgt: Die Lernenden können Experimentieren zum Er- kenntnisgewinn selbstständig anwenden. [Ziel 4 in der in Abschnitt 4 folgenden Übersicht] Für das Lehren aus konstruktivistischer Sicht wird zudem betont, dass Regeln, die von ‚außen‘ gesetzt werden, nicht notwendigerweise von den Lernenden angenommen werden (Reich, 2012). Wichtig ist es, dass für sie die Sinnhaftigkeit des Handelns deutlich wird (Reich, 2012). Regeln werden von Lernenden häufig hinterfragt (Dekonstruktion). Unseres Erach- tens kann man die Teilprozesse des Experimentier- prozesses als – nicht notwendigerweise linear zu ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 15 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) Tabelle 1: Vergleich internationaler und nationaler Curricula zum Experimentieren als naturwissenschaftliche Arbeitsweise (eigene Darstellung) Fragen/ Hypothesenbildung Planen Durchführen Auswerten Schlussfolgern Australien Fragen stellen und Hypothesen Planen und Durchführen: Daten und Informationen sammeln Auswertung: The Australian Curri- bilden: Entscheidungen zum Untersuchen und auswerten: Betrachtung der Qualität vor- culum Naturwissenschaftliche Fragen oder Lösen eines Problems treffen Aussagekräftige und nützliche Darstel- liegender Evidenz und des (Australian Curriculum, identifizieren und naturwissen- und Untersuchungen durchführen lung von Daten; Trends, Muster und Zu- Werts sowie der Signifikanz Assessment and Report- schaftliche Fragen aufstellen, Hy- inklusive Datenerhebung sammenhänge in den Daten identifizie- von Aussagen, Vorschlägen ing Authority, 2016) pothesen aufstellen und Vorhersa- ren und Erkenntnisse für die Begründung oder Folgerungen hinsichtlich gen zu möglichen Beobachtungen von Schlussfolgerungen nutzen dieser Evidenz treffen Deutschland Die Schülerinnen und Schüler planen einfache Experimente, führen die Experi- Die Schülerinnen und Schüler Bildungsstandards im mente durch und/oder werten sie aus erörtern Tragweite und Gren- Fach Biologie für den zen von Untersuchungsan- Mittleren Schulab- Die Schülerinnen und Schüler wenden Schritte aus dem experimentellen Weg der lage, -schritten und schluss Erkenntnisgewinnung zur Erklärung an -ergebnissen (KMK, 2005a) Deutschland Die Schülerinnen und Schüler er- Die Schülerinnen und Die Schülerinnen und Die Schülerinnen und Die Schülerinnen und Schüler Bildungsstandards im kennen und entwickeln Fragestel- Schüler planen geeig- Schüler führen quali- Schüler erheben bei Un- finden in erhobenen oder re- Fach Chemie für den lungen, die mit Hilfe chemischer nete Untersuchungen tative und einfache tersuchungen, insbeson- cherchierten Daten Trends, Mittleren Schulab- Kenntnisse und Untersuchungen, zur Überprüfung von quantitative experi- dere in chemischen Expe- Strukturen und Beziehungen, schluss insbesondere durch chemische Ex- Vermutungen und Hy- mentelle und andere rimenten, relevante Daten erklären diese und ziehen ge- (KMK, 2005b) perimente, pothesen Untersuchungen oder recherchieren sie eignete Schlussfolgerungen zu beantworten sind durch und protokol- Die Schülerinnen und lieren diese Schüler beachten beim Experimentieren Si- Die Schülerinnen und cherheits- und Umwelt- Schüler beachten aspekte beim Experimentie- ren Sicherheits- und Umweltaspekte Deutschland Die Schülerinnen und Schüler Die Schülerinnen und Schüler planen einfache Ex- Die Schülerinnen und Bildungsstandards im stellen an einfachen Beispielen perimente, führen sie durch und dokumentieren die Schüler werten gewon- Fach Physik für den Hypothesen auf Ergebnisse nene Daten aus, ggf. auch Mittleren Schulab- durch einfache Mathema- schluss tisierungen (KMK, 2005c) Die Schülerinnen und Schüler beurteilen die Gültigkeit empirischer Er- gebnisse und deren Ver- allgemeinerung England, Vereinigtes Experimentelle Fähigkeiten und Untersuchungen: Analyse und Auswertung: Königreich Fragen stellen und einen Untersuchungsgang entwickeln, der auf Beobachtungen der rea- mathematische Konzepte anwenden und Ergebnisse berech- The national curricu- len Welt sowie auf Vorkenntnissen und Erfahrungen basiert. nen lum in England - Key Auswahl, Planung und Durchführung der am besten geeigneten Arten von naturwissen- Beobachtungen und Daten mit geeigneten Methoden präsen- stages 3 and 4 frame- schaftlichen Untersuchungen, um Vorhersagen zu prüfen, einschließlich – wo möglich – tieren work document der Ermittlung unabhängiger, abhängiger und Kontrollvariablen begründete Erklärungen vorlegen, einschließlich der Erläute- (Department for Educa- Beobachtungen und Messungen mit einer Reihe von Methoden für verschiedene Untersu- rung von Daten in Bezug auf die Vorhersagen und Hypothe- tion, 2014) chungen durchführen und aufzeichnen sen Ontario, Kanada Vorbereitung und Planung: Durchführung und Auswertung und Interpretation: The Ontario Curricu- z. B. Fragen stellen, Problem klären, Schritte zur Durchführung Datenaufnahme: z. B. Daten strukturieren, über Effektivität der Ausführung lum Grades 1–8: Sci- planen z. B. Abläufen fol- reflektieren, Schlussfolgerungen ziehen ence and Technology gen, Informationen (Ministry of Education, abrufen, Beobach- 2007) tungen und Ergeb- nisse festhalten USA Fragen stellen Untersuchungen planen und durchführen Analysieren und Interpretieren der Daten A Framework for K–12 Mathematik und algorithmisches Denken („computational Science Education thinking“) nutzen (NRC, 2012) Erlärungen konstruieren ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 16 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) In den Bildungsstandards national wie international Glöckel (2003, S. 280): „Prinzipien sind flexibler als werden Kompetenzen zu den Teilprozessen des Ex- Regeln und weniger zwingend als Gesetze, sie for- perimentierens beschrieben (Bsp.: „Die Schülerin- dern ein bewegliches Entscheiden gemäß der Situa- nen und Schüler planen geeignete Untersuchungen tion. Sie erlauben die begründete Ausnahme, schlie- zur Überprüfung von Vermutungen und Hypothe- ßen aber die bloße Willkür aus [...].“ sen“, KMK, 2005b). In manchen Ländern wird auch explizit die Verkettung von Kompetenzen unter- Ziel 1: Die Lernenden können Experimentieren als schiedlicher Teilprozesse aufgeführt (Bsp.: „Die Strategie beschreiben: Die Lernenden kennen die Schülerinnen und Schüler planen einfache Experi- unterschiedlichen Teilprozesse und deren Funktion. mente, führen die Experimente durch und/oder wer- [Ziel begründbar aus diesen Perspektiven: fachlich- ten sie aus“ KMK, 2005a). Bei der explizit formu- disziplinär, bildungstheoretisch, curricular.] lierten Verkettung ist unmissverständlich, dass eine Abgeleitete Unterrichtsprinzipien [P]: innere Bezogenheit der Kompetenzen zum Experi- Beim Experimentieren im Unterricht sollten alle mentieren als Ziel gesehen wird. Wird dies nicht ex- Teilprozesse des Experimentierprozesses berück- plizit formuliert, so lässt sich trotzdem aus der Sache sichtigt werden [P1 ‚Teilprozesse berücksichti- heraus begründen, dass nicht nur isolierte Kompe- gen‘], was sich unmittelbar aus dem Ziel selbst tenzen, sondern die Fähigkeit, sie aufeinander zu be- ergibt, dass die Lernenden die unterschiedlichen ziehen, als Endabsicht angesehen wird. Teilprozesse und deren Funktion kennen. Da eine Woraus man das Ziel ableiten kann: kompetente Beherrschung des naturwissenschaftli- Die Lernenden können Experimentieren als Stra- chen Erkenntnisprozesses nicht durch Nachahmung tegie beschreiben: Die Lernenden kennen die unter- oder bloße Teilhabe erlernt wird (Bell, Blair, schiedlichen Teilprozesse und deren Funktion. Crawford & Lederman, 2003), erscheint es unab- [Ziel 1 in der in Abschnitt 4 folgenden Übersicht; dingbar, dass die experimentelle Methode im Unter- siehe auch 3.1 und 3.2] richt auch explizit und nicht nur implizit behandelt wird [P2 ‚expliziter Unterrichtsgegenstand‘]. Da Die Kompetenzen zum Erkenntnisgewinn, die indi- Lernen nicht nur durch Einführung in einen Unter- viduell erworben werden, sollen die Lernenden u. a. richtsgegenstand, sondern auch durch Übung (und befähigen, selbstständig Experimente auszuführen Anwendung) erfolgt (z. B. Fritz & Funke, 2002; Wa- (Bsp.: „Die Schülerinnen und Schüler wenden genschein, 1965), muss das experimentelle Vorge- Schritte aus dem experimentellen Weg der Erkennt- hen nicht nur eingeführt, sondern auch geübt werden nisgewinnung zur Erklärung an“, KMK, 2005a). [P3 ‚Üben‘]. Was zum formulierten Ziel führt: Die Lernenden können Experimentieren zum Er- Ziel 2: Die Lernenden können die innere Logik eines kenntnisgewinn selbstständig anwenden. experimentellen Vorgehens erklären. [Ziel 4 in der in Abschnitt 4 folgenden Übersicht; [Ziel begründbar aus dieser Perspektive: lerntheore- siehe auch 3.3] tisch.] Abgeleitete Unterrichtsprinzipien: 4 Prinzipien eines Unterrichts zum Damit die innere Logik durchdrungen sowie gelernt Experimentieren – das WIE und das Ziel erreicht werden kann, muss die Strate- gie der experimentellen Methode von den Lernen- Um das Experimentieren als Methode des Erkennt- den aktiv eingesetzt werden – nur so können sie sich nisgewinns zu vermitteln, bedarf es geeigneter Lehr- mit dem Verfahren vertraut machen (vgl. Konstruk- Lern-Wege. Für deren Gestaltung ist das Wie wich- tion und Rekonstruktion: Abschnitt 3.3). Da Experi- tig. Nachfolgend sollen daher aus den zuvor heraus- mentieren als Erkenntnismethode eine Form des gearbeiteten Zielen Unterrichtsprinzipien abgeleitet Problemlösens darstellt (Mayer, 2007) und entspre- werden. Als Unterrichtsprinzipien werden didakti- chend eine innere Logik hat (Hammann, 2004), sche Grundsätze verstanden, welche das Unter- sollte es beim Problemlösen eingesetzt werden, da- richtsplanen und -handeln leiten, sowie Maßstäbe, mit diese Logik in Bezug auf das Problemlösen er- welche einer fachlichen Reflexion zugrunde liegen fahren werden kann [P4 ‚Problemlösen‘]. Des (vgl. Seibert, 2006). Im Zuge dieser Arbeit deuten Weiteren muss zur Erschließung der wir Unterrichtsprinzipien ähnlich verbindlich wie inneren Logik aus konstruktivistischer Sicht ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 17 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) (Dekonstruktion vgl.: Reich, 2012) und aus wissen- zum Experimentieren gehört (z. B. Faraday, 1828). schaftstheoretischer Sicht (Fehlerdiskussion) eine Zur Erreichung des Ziels ist auch das Prinzip [P4] Prozessreflexion stattfinden [P5 ‚Prozessreflektie- ‚Problemlösen‘ wichtig, denn nur nach der rend‘]. Unter einer Prozessreflexion wird das Hin- Aufnahme eigener Daten kann realitätsnah über terfragen einer Passung von Hypothese und Frage- gewonnene Ergebnisse gesprochen werden stellung, Planung und Durchführung sowie Be- (ermöglichen von Realerfahrungen: vgl. Benesch & obachtung und Ergebnis bei einem Experiment ver- Winkler, 2016; Labudde, 2000). standen. Die Prozessreflexion soll zum Verständnis der Zusammenhänge der Teilprozesse anleiten. Ziel 4: Die Lernenden können Experimentieren zum Zudem müssen die Prinzipien [P1] ‚Teilprozesse be- Erkenntnisgewinn selbstständig anwenden. rücksichtigen‘, [P2] ,expliziter Unterrichtsgegen- [Ziel begründbar aus diesen Perspektiven: lerntheo- stand‘ und [P3] ‚Üben‘ Berücksichtigung finden: retisch, curricular.] Alle Teilprozesse müssen im Unterricht angespro- Abgeleitete Unterrichtsprinzipien: chen werden [P1], damit die Struktur des Experi- Dieses Ziel stellt gleichsam die Synthese der zuvor mentierens ersichtlich werden kann, was für die Er- angesprochenen Ziele dar, sodass in ihm auch alle fassung und Aneignung der inneren Logik unab- zuvor angeführten Prinzipien (P1–P7) wirksam wer- dingbar ist. Möchte man die innere Logik des Expe- den. Dabei ist es nicht so zu verstehen, dass, bevor rimentierens besprechen, wird das Experiment ein Ziel 4 erreicht werden kann, die Ziele 1–3 umfäng- eigener Unterrichtsgegenstand und P2 muss beach- lich erreicht worden sein müssen. Vielmehr verste- tet werden. Damit die Lernenden das Ziel erreichen hen wir Ziel 4 als sich langsam entfaltendes Konti- können, ist Übung [P3] notwendig (s. o. Ziel 1). nuum, das sukzessiv durch die Beiträge der Ziele 1– 3 an Komplexität gewinnt. Ziel 3: Die Lernenden können Grenzen der Aussa- Hinzu tritt bei diesem Unterrichtziel das Prinzip zum gekraft von Experimenten reflektieren. Aufbau zunehmender Selbstständigkeit der Lernen- [Ziel begründbar aus diesen Perspektiven: fachlich- den (vgl. hierzu Banchi & Bell, 2008; Bell, Smetana disziplinär, bildungstheoretisch.] & Binns, 2005; Labudde, 2000) [P8 ‚Selbstständig- Abgeleitete Unterrichtsprinzipien: keit‘]. Selbstständige und selbstverantwortete Expe- Zum Erreichen dieses Ziels ist wichtig, dass im rimentierprozesse sind zum Erlernen der Erkenntnis- Unterricht regelmäßig über die Grenzen und methode wichtig. Unsicherheiten gewonnener Erkenntnisse Das Primat eigenständigen Erfahrens und Konstru- gesprochen wird – sowohl jene aus eigenen ierens des Lerngegenstandes darf jedoch nicht falsch Experimenten als auch jene aus der Wissenschaft – verstanden werden: Es muss unseres Erachtens eine [P6 ‚Grenzen ansprechen‘]. Mögliche Ansätze schrittweise (nicht alle Teilprozesse des Experimen- finden sich im planvollen Umgang mit unerwarteten tierens von Beginn an gleichzeitig und nicht ohne Daten (Chinn & Brewer, 1993) oder mit Übung der Teilprozesse) Übertragung der Auseinan- Untersuchungen, die nicht erwartungskonform dersetzung mit den Arbeitsmethoden (im vorliegen- verlaufen (Nott & Wellington, 1996). Beim den Fall: des Experimentierens) erfolgen, da sich zu Experimentieren ist wissenschaftliche Strenge weit geöffnete Unterrichtsansätze als nicht effektiv (Scientific Rigour) zu wahren [P7 erwiesen haben (Kirschner, Sweller & Clark, 2006; ‚wissenschaftliche Strenge‘], da diese als Merkmal Klahr & Nigam, 2004). ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 18 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) Abbildung 1: Ziele und Unterrichtsprinzipien – Zusammenhang 5 Resümee Bei der Betrachtung des Experimentierens als Er- Welche Art von Unterrichtsmaterialien wird kenntnismethode konnten durch Zugrundelegung benötigt? Wie kann man den von vier Perspektiven vier Ziele von Unterricht ab- Unterrichtsgegenstand mit Blick auf die geleitet werden. Aus diesen Zielen resultieren acht Unterrichtsprinzipien im Sinne der didaktischen Unterrichtsprinzipien. Die Prinzipien sollten in der Rekonstruktion (vgl. Kattmann, Duit, Planung und Durchführung von Unterricht sowie in Groppengießer & Komorek, 1997) didaktisch der Fachdidaktik (Forschungs- und Konzeptionsar- strukturieren? Welche Lehr-Lern-Formen sind beit) Berücksichtigung finden, beispielsweise als: geeignet? - Impulse für die fachdidaktische Forschung und Unterrichtsprinzipien müssen hierbei als flexible Re- Entwicklung: Bei der Planung von Interventi- geln und weniger zwingend als Gesetze angesehen onsstudien und Unterrichtsmaterialien sollten werden. Es ist wichtig, sie der Situation (Lerner, allgemein Unterrichtsprinzipien Beachtung fin- Lerngegenstand: in unserem Fall dem Sachinhalt des den. Aus der Ableitung von Unterrichtsprinzi- Experiments) angepasst einzusetzen: Begründete pien ergeben sich Forschungsfragen zur Lern- Ausnahmen sind erlaubt, die bloße Willkür jedoch forschung wie beispielsweise: Wie wirken ein- ist ausgeschlossen (Glöckel, 2003). Beispielsweise zelne Unterrichtsprinzipien auf die Entwicklung kann nicht in jeder Unterrichtsstunde zum Experi- der Kompetenzen zu den einzelnen Teilprozes- mentieren das Üben aller Teilprozesse stattfinden, da sen? das experimentelle Verfahren ja auch als Erkenntnis- methode angewendet werden soll und zeitökono- - Impulse für die Weiterentwicklung des misch zu einer Erkenntnis führen soll. Gleicherma- naturwissenschaftlichen Unterrichts: Aus der ßen darf dies nicht als Legitimation missverstanden Überlegung, auf welche Unterrichtsprinzipien werden, überhaupt nicht mehr zu üben, da Üben für geachtet werden muss, resultieren das Lernen essenziell ist (z. B. Fritz & Funke, 2002; beispielsweise die Fragen/Überlegungen: Wagenschein, 1965). Beim Experimentieren mit Ge- fahrstoffen – als weiteres Beispiel – ist ein komplett ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 19 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) selbstständiges Experimentieren hinsichtlich Sicher- heitsaspekten abzuwägen (z. B. Vorhandensein eines Abzugs), wohingegen bei nicht gefahrstoffrechtlich relevanten Chemikalien eine weitgehende Lernen- denselbstständigkeit prinzipiell möglich erscheint. Die Unterrichtsprinzipien wurden theoriegeleitet aufgestellt, eine empirische Prüfung könnte ihre Ef- fektivität weiter belegen. Wichtig ist, noch einmal zu betonen, dass in dieser Arbeit Experimente und das Experimentieren aus- schließlich in der Funktion der Erkenntnismethode (gemäß einer konzeptionellen und prozeduralen Sci- entific Literacy) betrachtet und hierfür Unterrichts- prinzipien beschrieben wurden. Dies darf kein fal- sches Bild erzeugen. Experimente können für den Unterricht auch in anderen Funktionen bedeutend sein: z. B. Demonstrationsexperimente zur Präsenta- tion von Phänomenen, Bestätigungsexperimente zur veranschaulichenden Wiederholung, egg-races zur Förderung von Teamfähigkeiten sowie explorative Versuchsphasen zur affektiven Einlassung. ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 23. Jg. 2019 20 doi: 10.4119/zdb-1738 Baur et al. (2019) Literatur Abd-El-Khalick, F., BouJaoude, S., Duschl, R., Lederman, N. G., Mamlok-Naaman, R., Hofstein, A. et al. (2004). Inquiry in science education. International perspectives. Science Education 88(3), 397–419. Australian Curriculum, Assessment and Reporting Authority. (2016). The Australian Curriculum. Science. Australian Curriculum, Assessment and Reporting Authority. Baisch, P. (2016). Das methodische Handeln reflektieren. In H. Weitzel & S. Schaal (Hrsg.), Biologie unterrichten: planen, durchführen, reflektieren (S. 54-60). Berlin: Cornelsen. Banchi, H. & Bell, R. (2008). The many levels of inquiry. 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