Hoheitliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat WiSe 2024/2025 PDF
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Universität Siegen
2024
Andreas Berg
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These lecture notes cover administrative law, focusing on the concepts of administrative acts and general administrative rulings in a German context. The material provides definitions, classifications, and examples relating to administrative actions.
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Hoheitliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat Dr. iur. Andreas Berg [email protected] Foliensatz 3 WiSe 2024/2025 B. Handlungsformen der Verwaltung I. Verwaltungsakt und Allgemeinverfügung 1. Funktionen und Arten des...
Hoheitliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat Dr. iur. Andreas Berg [email protected] Foliensatz 3 WiSe 2024/2025 B. Handlungsformen der Verwaltung I. Verwaltungsakt und Allgemeinverfügung 1. Funktionen und Arten des VA 2. Definition und Tatbestandsmerkmale 3. Nebenbestimmungen 4. Rechtswirksamkeit, Bekanntgabe und Bestandskraft 5. Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit 6. Aufhebung von VA II. Realakt III. Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften B. I. 1. Funktionen des Verwaltungsakts Umsetzungs- und Konkretisierungsfunktion ◦ abstrakt-generelle Regelung (Norm) wird auf einen Einzelfall angewendet Bsp.: Bußgeldbescheid konkretisiert (konkret-individuell) die (abstrakt-generellen) Bußgeldtatbestände bspw. der StVO Klarstellungsfunktion ◦ Schafft Rechtssicherheit und Rechtsklarheit (Rechtsverhältnis wird festgestellt) ◦ Rechtsbindung grds. auch bei Rechtswidrigkeit (Ausnahme: § 44 VwVfG) Titel- und Vollstreckungsfunktion ◦ Aus dem VA kann - ähnlich wie aus Urteil - vollstreckt werden (nach VwVG) ◦ Privilegiert die öffentliche Verwaltung gegenüber Privaten Verwaltungsverfahrensfunktion ◦ Schließt das Verwaltungsverfahren ab (§ 9 VwVfG (NRW)) ◦ Eröffnet Möglichkeiten für Rechtsschutz, etwa Widerspruch (§ 68 VwGO) sowie Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO) B. I. 1. Arten des Verwaltungsakts (1) Befehlende, gestaltende und feststellende VA ◦ Befehlende VA verpflichten zu bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen; Bsp.: Abrissverfügung, Gewerbeuntersagung ◦ Gestaltende VA begründen, ändern oder beenden ein Rechtsverhältnis; Bsp.: Einbürgerung von Ausländern, Beamtenernennung ◦ Feststellende VA stellen das Recht oder die Eigenschaft einer Person fest; Bps.: Feststellung des Grades einer Schwerbehinderung, Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit Begünstigende und belastende VA ◦ Begünstigende VA begründen/bestätigen ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil; Bsp.: Gaststättenerlaubnis, Corona- Subventionsbewilligung, Baugenehmigung, BAföG-Bescheid ◦ Belastende VA greifen in Rechte des Bürgers ein; Bsp.: Abrissverfügung, Rückforderungsbescheid, Entzug der Fahrerlaubnis B. I. 1. Arten des Verwaltungsakts (2) VA mit Drittwirkung ◦ Grds. entfalten VA nur Wirkung ggü. ihrem jeweiligen Adressaten, bestimmte VA jedoch auch ggü. Dritten ◦ Bsp.: Subvention begünstigt Empfänger, benachteiligt nicht geförderte Konkurrenten; Genehmigung einer Windkraftanlage begünstigt Betreiber, Emissionen (z.B. Geräusche) belasten Anwohner VA mit Dauerwirkung ◦ Erschöpfen sich nicht mit einmaliger Befolgung/Vollziehung (100€ Bußgeld), Rechtswirkung erstreckt sich vielmehr über längeren Zeitraum bzw. auf Dauer ◦ Bsp.: Gewerbeerlaubnis, Beamtenernennung Vorläufige VA (z.B. vorläufige Steuerfestsetzung, § 165 AO) Mischformen möglich (Beamtenernennung zugleich begünstigend und belastend (Pflichten des Beamten), rechtsgestaltend, mit Dauerwirkung) B. Handlungsformen der Verwaltung I. Verwaltungsakt und Allgemeinverfügung 1. Funktionen und Arten des VA 2. Definition und Tatbestandsmerkmale 3. Nebenbestimmungen 4. Rechtswirksamkeit, Bekanntgabe und Bestandskraft 5. Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit 6. Aufhebung von VA II. Realakt III. Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften 6 Wat is‘n Verwaltungsakt? TBM 1 TBM 2 TBM 3 TBM 4 TBM 5 TBM 6 7 B. I. 2. Verwaltungsakt - Definition § 35 S. 1 VwVfG: „Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.“ Ist nur ein Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt bzw. gegeben, liegt kein Verwaltungsakt (VA) vor! Maßnahme kann VA sein, auch wenn es von der Verwaltung nicht als solcher bezeichnet (falsa demonstratio non nocet) 8 B. I. 2. TBM „hoheitliche Maßnahme“ Die Hoheitliche (= auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts) Maßnahme (= Handeln (Verfügung, Entscheidung etc.)) muss eine erklärungswertige Handlung (die Behörde „will etwas erklären“) mit regelungsbedürftigem Zweck (die Behörde „will rechtlich etwas beeinflussen“) sein. Form: schriftlich, mündlich, konkludentes Handeln durch Zeichen oder Bewegung Bsp.: Schriftliche Genehmigung der Bauamtes; mündlicher Platzverweis durch Polizisten oder Handzeichen eines Polizisten, mit dem zum Anhalten aufgefordert wird; ACHTUNG: auch Verkehrszeichen oder Ampel! Nicht: Schlichtes Unterlassen (keine aktive Handlung); Realakte (kein Erklärungsinhalt/kein Zweck einer Regelung) 9 B. I. 2. TBM „hoheitliche Maßnahme“ Übung: Liegt eine hoheitliche Maßnahme vor? (1) Polizist P versucht während der dienstlichen Straßenverkehrsregelung eine garstige Hummel mit seiner Kelle zu verscheuchen. (2) Sachbearbeiterin Z der Behörde B teilt dem Bürger T (mündlich bzw. schriftlich) mit, dass zu seinem (freiwilligen) Antrag auf Kindergeld die Geburtsurkunde des Kindes beizufügen ist. (3) Förster F hält im Dienst ein unberechtigtes KFZ im Wald an und erteilt eine mündliche Verwarnung mit Platzverweis. (4) Polizeidackel Waldi stellt eigenmächtig einen Ladendieb in einer Bäckerei, während sein Hundeführer ein Mettbrötchen kauft. (5) Die Personalabteilung der Behörde B bestellt dienstlich einen neuen Schreibtisch für ihre Sachbearbeiterin S. 10 B. I. 2. TBM „Behörde“ § 1 IV VwVfG (Bund): Jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Funktionaler Behördenbegriff: Entscheidend ist nicht die formale Eingliederung im Verwaltungsapparat, sondern die wahrgenommene Aufgabe Bsp.: Gerichtspräsident, der einem Rechtsanwalt die Zulassung erteilt, handelt als Behörde, obwohl das Gericht bzw. er als Richter Rechtssprechungsorgan ist (Gewaltenteilung!); Bundestagspräsidentin, die Störer entfernen lässt, nimmt polizeiliche, also behördliche Aufgabe wahr (vgl. Art. 40 GG), obwohl der Bundestag bzw. die Präsidentin als Abgeordnete Legislativorgan ist; Beliehener KFZ-Sachverständiger (TÜV, Dekra etc.) als Privatperson bekommt staatliche Aufgaben übertragen und ist in Ausübung dieser Aufgaben Behörde. 11 B. I. 2. TBM „Regelung“ (1) Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, einseitig und verbindlich eine unmittelbare Rechtswirkung für den Adressat zu erzeugen Rechtsgestaltende Regelung: Eine bestehende Rechtslage des Adressaten wird geändert (z.B. Baugenehmigung wird erteilt; ein Abriss muss geduldet werden; die Ausübung des Gewerbes wird untersagt). Feststellende Regelung: Eine gesetzlich vorgeschriebene Eigenschaft wird festgestellt (z.B. Grad der Behinderung; Staatsbürgerschaft). 12 B. I. 2. TBM „Regelung“ (2) Behördenwille: Rechtsfolge darf sich nicht als „Reflex“ oder kraft Gesetzes ergeben. Bsp.: Eine (falsche) Auskunft einer Behörde stellt keine Regelung dar, da die Herbeiführung einer Rechtswirkung nicht gewollt war (möglich sind allerdings Staatshaftungsansprüche nach Art. 34 GG, § 839 BGB). Rechtswirkung: Rechte und/oder Pflichten werden begründet, geändert, aufgehoben, festgestellt oder verneint Unmittelbarkeit der Rechtswirkung: Schließt simple Auskünfte, Belehrungen, bloße Hinweise auf bestehende Gesetzeslage aus 13 B. I. 2. TBM „Regelung“ (3) Abgrenzungen Ablehnung von VA: Ablehnung hat Regelungscharakter, wenn die Vornahme des beantragten VA eine Regelung ist (z.B. Ablehnung einer Baugenehmigung = VA, weil die Baugenehmigung einen Regelungscharakter hat („actus contrarius“) Realakte*: Sofern überhaupt eine hoheitliche Maßnahme (s.o.), haben Realakte (z.B. Lärm vom städtischen Bauhof) keinen Regelungscharakter. Allerdings kann behördliche Entscheidung über Vornahme eines späteren Realaktes einen VA darstellen (Duldungsverfügung für Fällung eines Baumes ist VA, der Vollzug (das Fällen des Baumes) ein Realakt). *Weitere Beispiele sind die Teilnahme am Straßenverkehr zu dienstlichen Zwecken, die Auszahlung von Geld (die Gewährung hingegen ist VA!), Auskünfte, Belehrungen etc. 14 B. I. 2. TBM „Regelung“ (4) Vorbereitende Akte: Grds. kein Regelungscharakter (Bsp.: Ladung zur schriftlichen Staatsexamensprüfung, Mitwirkung anderer Behörden vor Erlass einer Genehmigung (vgl. z.B. § 13 BImSchG), Einzelnoten von Abiturarbeiten, sofern diese keine Bedeutung für den Zugang zu einem Studienfach haben). Nur dann Regelungscharakter, soweit abschließende Regelung oder materiell-rechtliche Teilentscheidung enthalten Zusagen/Zusicherung: Regelung nur, wenn Voraussetzungen aus § 38 VwVfG erfüllt (Schriftform!); bloßes Inaussichtstellen hat keinen Regelungscharakter! 15 B. I. 2. TBM „Einzelfall“ (1) Konkret - Abstrakt Ein (bestimmter) Fall - Vielzahl von Fällen (Sachkomponente) Individuell - Generell Ein (bestimmter) Adressat - abgrenzbarer Personenkreis (Adressatenkomponente) 16 B. I. 2. TBM „Einzelfall“ (2) Verwaltungsakt muss Einzelfall betreffen, d.h. darf nicht abstrakt- generelle Wirkung haben Behördliche Maßnahmen lassen sich wie folgt klassifizieren: Adressatenkreis / generell Individuell (grds. unbestimmter (bestimmter geregelter Sachverhalt Personenkreis) Adressatenkreis) abstrakt Verwaltungsakt (Regelung einer Vielzahl von Gesetz, RVO, Satzung Sachverhalten) (§ 35 S. 1 VwVfG) konkret Allgemeinverfügung Verwaltungsakt (Regelung eines bestimmten Sachverhalts) (§ 35 S. 2 VwVfG) (§ 35 S. 1 VwVfG) 17 B. I. 2. TBM „Einzelfall (3) Sachkomponente: Konkret: Regelung betrifft einen einzigen Sachverhalt, der hinsichtlich der Zeit, des Ortes und/oder sonstigen Umständen bestimmt/bestimmbar ist. Abstrakt: Die Regelung umfasst unbestimmt eine Vielzahl von Sachverhalten. Adressatenkomponente: Individuell: Regelung richtet sich an nur einen bestimmten Adressaten. Generell (i.S. der Allgemeinverfügung): Regelung richtet sich an objektiv bestimmbare (z.B. alle potentiellen Anti-Corona-Demo-Teilnehmer am 10.12. in der Stadt S) bzw. bestimmte (z.B. alle Hausbewohner Hauptstraße 14 in Berlin) Adressaten. ACHTUNG: generell (i.S. einer Rechtsnorm): Regelung richtet sich an eine Vielzahl nicht abgrenzbarer Personen! 18 B. I. 2.Einzelfall (4) Konkret-Individuell (§ 35 S.1 VwVfG) 1. Stilllegung der Gaststätte „Zur Post“ durch das Gesundheitsamt 2. Kindergeldbewilligung für Kind K durch Familienkasse der Stadtkasse 3. Platzverweis an einen Obdachlosen durch die Polizei 4. Festsetzung eines Grades der Behinderung (50%) 5. Rückforderung rechtswidrig erhaltener Coronahilfen 19 B. I. 2. Allgemeinverfügung (5) § 35 S. 2 VwVfG: „Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.“ Konkret-generelle Verfügung konkreter Sachverhalt wird ggü. mehr als einem Adressaten geregelt Unterfall des VA, es gelten grds. die gleichen Voraussetzungen, allerdings Besonderheiten bei ◦ Pflicht zur Anhörung (vgl. § 28 II Nr. 4 VwVfG) ◦ Pflicht zur Begründung (vgl. § 39 II Nr. 5 VwVfG) ◦ Bekanntgabe (vgl. § 41 III 2 und IV 4 VwVfG) 20 B. I. 2. Allgemeinverfügung (6) Drei Fallgruppen der Allgemeinverfügung: Adressatenbezogen (§ 35 S. 2. Var. 1 VwVfG): ◦ Bestimmt (Adressaten stehen fest, Bsp.: Aufforderung der Polizei an alle Bewohner, einsturzgefährdetes Haus zu verlassen) oder ◦ bestimmbar (Adressaten lassen sich durch zeitliche Dauer, räuml. Geltungsbereich, Grad inhaltlicher Differenziertheit, Auswirkungen oder Vollzugsbedürftigkeit der Regelung abgrenzen; Bsp.: Behörde verbietet Teilnahme an einer für den Folgetag geplanten Demonstration Rechtsradikaler) Sachbezogene Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2. Var. 2 VwVfG): Betrifft öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache; Eigenschaft wird verliehen, geändert (z.B. Nutzungsbeschränkung) oder entzogen; gilt vornehmlich für die Sache selbst, mittelbar ggü. unbestimmbarem Personenkreis; Bsp.: Widmung als Fernstraße nach § 2 FernStrG, Änderung eines Straßennamens, Eintrag in Denkmalliste etc. Benutzungsregelung (§ 35 S. 2. Var. 3 VwVfG): Betrifft Benutzung einer öffentlichen Sache durch Allgemeinheit; Bsp.: Verkehrsschilder (§§ 41, 42 StVO) 21 B.I.2 Allgemeinverfügung (7) Konkret-Generell (§ 35 S.2 VwVfG): 1. Verbot einer geplanten Straßendemo (pers.bezognene AV; potentielle Teilnehmer sind obj. abgrenzbar) 2. Anordnung der Stadt K, in der Altstadt zu Karneval keine Glasflaschen mitführen zu dürfen (s.o). Wichtig: Verständnis Abgrenzung zur abstrakt-generellen Rechtsnorm 22 B. I. 2. TBM „Einzelfall“ (9) konkret-individuell: Immer ein Einzelfall Konkret-generell: VA in Form der Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 VwVfG) abstrakt-individuell: ◦ Sonderform des VA, d.h. an Einzelperson gerichtet, aber auf mehrere Sachverhalte bezogen ◦ Bsp.: Aufforderung, bei jedem Verlassen der Wohnung einem Hund einen Maulkorb anzulegen; Pflicht eines Kraftwerksbetreibers, immer bei von Kühltürmen ausgehender Glatteisgefahr umliegende Straßen zu streuen (teils strittig) abstrakt-generell: niemals Einzelfall kein VA 23 B. I. 2. TBM „auf Gebiet des ÖffR“ (1) Abgrenzung zum Privatrecht Das TBM geht materiell schon im Begriff „hoheitlich“ auf, um aber die Prüfung des TBM Hoheitliche Maßnahme nicht all zu sehr „aufzublasen“ wird es an dieser Stelle geprüft. Abgrenzungslehren: ◦ Subordinationstheorie: ◦ Öffentlich-rechtlich (+), wenn Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürger besteht; bei Gleichrangigkeit sind demnach Rechtsverhältnisse dem Privatrecht zuzuordnen ◦ Bsp.: Durch Steuerbescheid festgesetzte Nachzahlung erfolgt einseitig und ist im Wege des Verwaltungszwangs vollstreckbar; Ausübung unmittelbaren Zwanges durch Polizeibeamte 24 B. I. 2. TBM „auf Gebiet des ÖffR“ (3) Sonderrechts- oder modifizierte Subjektstheorie ◦ Öffentlich-rechtlicher Sachverhalt, wenn die streitent- scheidende Normen auf einer Seite ausschließlich und in jedem Fall einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt oder verpflichtet „Sonderrecht des Staates“ ◦ Bsp.: Von Vorschriften des BGB können sowohl Bürger als auch Verwaltung Gebrauch machen (z.B. § 433 BGB), das Polizei- und Ordnungs- oder das Steuerrecht aber bleiben einzig der öffentlichen Hand vorbehalten ◦ Problem: Dem Sachverhalt zugrundeliegende Norm muss zweifelsfrei feststehen. 25 B. I. 2. TBM „auf Gebiet des ÖffR“ (4) Ordnen Sie die nachfolgenden Fallvarianten dem öffentlichen bzw. privaten Recht zu: ◦ Die Stadt S zahlt den fälligen Mietzins für die angemietete Partyhalle für die Weihnachtsfeier nicht. ◦ Der Dezernatsleiter für Recht der Stadt S bestellt dienstlich (Kaufvertrag) 10.000 Blatt Papier und 500 Kugelschreiber für seine Mitarbeiter bei einem ortsansässigen Bürobedarfsgeschäft ◦ Das Amt für Umwelt genehmigt eine ministeriale Subvention für Bauer Hubert zur Haltung und Zucht seltener Nacktschnecken. 26 B. I. 2. TBM „auf Gebiet des ÖffR“ (4) Sonderfall: Zweistufige Rechtsverhältnisse ◦ Keine allgemeine Abgrenzungstheorie, nur in Sonderfällen (Subventionsvergabe, Benutzung öffentlicher Einrichtungen wie Schwimmbäder, Museen, Stadthallen etc.) anwendbar ◦ Rechtsverhältnis wird in zwei Stufen zergliedert: 1. Stufe (Fragen des „ob“): Entscheidung der Behörde über Subvention oder Zugang dem Grunde nach ist immer öffentlich-rechtlich 2. Stufe (Fragen des „wie“): Einzelne Bedingungen einer Subvention (Rückzahlungsbedingungen, Dauer etc. bzw. Zulassungsmodalitäten) können sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich ausgestaltet sein Bsp.: Auf erster Stufe wird per VA ( öffentliches Recht) bewilligt, dass Unternehmer U ein vergünstigtes Darlehen vom Landkreis L erhält. Auf zweiter Stufe werden in einem privatrechtlichen Vertrag Zweck, Laufzeit, Rückzahlung, Sicherheiten etc. geregelt kein Subordinationsverhältnis, streitentscheidende Normen aus dem Privatrecht kein öffentliches Recht 27 B. I. 2. TBM „auf Gebiet des ÖffR“ (5) Übungsfall zu den Abgrenzungstheorien: Bitte ordnen Sie die nachfolgenden Sachverhaltsvarianten dem öffentlich bzw. privaten Recht zu! (Teils fiktive Beispiele!!!) (1) G beantragt bei der zuständigen Behörde eine Baugenehmigung für eine erlaubnispflichtige Gänsehütte. (2) Die Gänsehütte hält nach Fertigstellung rechtswidrig den gesetzlich vorgeschriebenen Abstand an das Grundstück der Nachbarin N nicht ein. Lebensabschnittsgefährte B der N, Sachgebietsleiter der für (1) zuständigen Baubehörde, will das Problem ohne offiziellen Dienstweg lösen und brennt volltrunken die Hütte des G eines Nachts ab. (3) G fordert von der Baubehörde Schadensersatz, da nachweislich B gehandelt hat (er hat einen handsigniertes Bekennerschreiben für G hinterlegt). (4) Aus Wut heraus hetzt G seine äußerst aggressiven und verhaltensauffälligen Gänse auf die kleinwüchsige und sensible Freigängerkatze der N. Diese erwirkt eine ordnungsbehördlich angeordnete Stallpflicht für die „Kampf-Gänse“. (5) G handelt dieser Anordnung mangels Stall zuwider und begeht eine Ordnungswidrigkeit; ein Bußgeldbescheid der zuständigen Ordnungsbehörde iHv 150 Euro geht dem G zu. 28 B. I. 2. TBM „Außenwirkung“ Die Regelung muss den verwaltungsinternen Bereich überschreiten/verlassen, d.h. es müssen außenstehende Rechte z.B. eines Bürgers oder sonstiger Rechtspersonen unmittelbar betroffen sein. Außenwirkung muss bezweckt sein; auf tatsächlich eintretende Außenwirkung kommt es dagegen nicht an, der behördliche Wille genügt! Bsp.: Innerdienstliche Weisung des Referatsleiters an Sachbearbeiter, eine bestimmte Entscheidung zu treffen, hat reine Innenwirkung. Betrifft eine Weisung jedoch den Beamten nicht als Amtswalter, sondern in persönlicher Hinsicht (etwa Versetzung), liegt Außenwirkung vor! 29 § 35 a VwVfG (vgl. 31a SGB X) „Ein Verwaltungsakt kann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht.“ Grundlage: Änderungen des Art. 20 des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens v. 18.7.2016 (BGBl. I 1679). Problem: Es können Zweifel daran bestehen, ob es sich bei „vollständig von automatischen Einrichtungen erlassenen VA“ um VA i. S. des § 35 VwVfG handelt. § 35 VwVfG sieht die charakterisierende Entscheidung oder Feststellung regelmäßig die Willensbetätigung eines Menschen voraussetzt. Beim Einsatz vollautomatischer Systeme fehle es hingegen an einer Willensbetätigung im jeweiligen Einzelfall; diese werde bei der Programmierung des Systems vielmehr vorweggenommen. Es ergeben sich so zunächst Probleme mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. § 35a VwVfG fingiert aber letztlich nur, dass die Willenserklärung der erlassenden Behörde zuzurechnen ist; die Frage der Rechtmäßigkeit (Automatisierung, VA i.Ü.) spielt hier keine Rolle. 30 Am Rande eines großflächigen Mischwaldes am Stadtrand der Stadt S wohnen der Alleinverdiener und langjährige städtische Forstamtsmitarbeiter V mit seiner Frau M und den beiden leiblichen und schulpflichtigen Kindern H und G. Das monatlich zur Verfügung stehende Einkommen des V reicht nicht aus, eine ausgewogene Ernährung seiner Familie zu gewährleisten. Die daraus resultierende Mangelernährung der beiden Kinder H und G wird alsbald auch in der Schule aktenkundig, sodass der Schulleiter das zuständige Jugendamt einschaltet. Bei einem Familienbesuch durch den Jugendamtssachbearbeiter trifft dieser allerdings nur die völlig verkaterte M an. V hat indes seine Kinder, anstatt sie zur städtischen Hausaufgabenbetreuung zu bringen, zum Brennholzsammeln beordert und begutachtet dauerrauchend das fleißige Astwerksammeln seiner Sprösslinge. Dem Jugendamtsmitarbeiter fallen währenddessen die massiv unhygienischen Zustände im Wohnhaus der Familie auf. Er weist die M darauf hin, dass auch künftig unangemeldet behördliche Besuche stattfinden werden. 31 H und G, aufgrund der minimalistischen Nahrungsverpflegung quälend vom Hunger geplagt, liegen eines Abends wach im Bett und belauschen die sich lautstark streitenden Eltern. Aufgrund des regelmäßigen Alkoholkonsums der M können H und G allerdings nur bedingt dem Streitgesprächs inhaltlich folgen. Wortfetzen wie „aussetzen“, „hungrige Mäuler“ und „Selbstverwirklichung ohne Kinder im Ausland“ brennen sich in die Kinderohren ein. H packt geistesgegenwärtig schnell das vor Wochen selbstgebackene Brot der M, was er als Notfallration versteckt hatte, in seine stark wind- und regendurchlässige Jacke, schon ahnend, dass sich die Lektüre der Gebrüder Grimm einmal auszahlen würde. Am nächsten Morgen ordnet V während des Morgenappells im Flur an, dass der Schulbesuch heute ausfalle. Vielmehr müssen die Kinder ihrer Pflicht nach § 1619 BGB nachkommen: „Das Kind ist, solange es dem elterlichen Hausstand angehört und von den Eltern erzogen oder unterhalten wird, verpflichtet, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäft Dienste zu leisten.“ 32 Nach einem dreistündigem Gewaltmarsch durch die bergige Topografie des regionalen Mischwaldes fernab jeder Zivilisation sind H und G vollständig entkräftet und flehen V um eine Pause an. Dieser gewährt großzügig selbige und bittet die Kinder als Gegenleistung zu warten, während er die Verschnaufpause nutzt, um kurz Zigaretten kaufen zu gehen. Aufgrund akuter Kreislaufprobleme durch Überanstrengung und Mangelernährung erkennen H und G nicht die perfide Absicht des V. Nach sechs Stunden realisieren nun beide, dass V nicht mehr wieder kommt und sich ihrer wohl entledigen will. H hatte den gesamten Weg sorgfältig mit dem eingepackten Brot markiert, dass glücklicherweise so scheußlich schmeckte, dass es noch nicht einmal die Tiere des Waldes essen wollten. Die Kinder finden unbeschadet den Weg zurück. Mehrere Wochen später…. Nachdem V und M die Kinder zunächst bei der örtlichen Polizeidienststelle als vermisst gemeldet hatten, ordnet das zuständige Jugendamt unverzüglich die Inobhutnahme von H und G nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII auf den direkten Wunsch beider vorstellig gewordenen Kinder und auch den Erfahrungen des Sachbearbeiters an. Liegt ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X vor? 33 Nehmen Sie bei den nachfolgenden Fällen bitte begründet Stellung, ob ein Rechtsakt nach § 35 VwVfG vorliegt: 1. Der Präsident des Landgerichts H erteilt Rechtsassessor A nicht die Zulassung als Rechtsanwalt. 2. Beamtin B verspricht im Krankenhaus ihrem an Corona erkranken Kumpel K eine hohe sog. Corona-Subvention. 3. Die Universität Siegen stellt zehn neue Gärtner ein. 4. Die Stadt S stellt eine neue Ampel auf. 5. Beim Laubblasen durch die Straßenmeisterei wird ein Stein aufgewirbelt und beschädigt das KFZ der Beamtin B. 34 6. Der Bezirksschornsteinfeger S legt offiziell einen Kaminofen still. 7. Der TÜV-Prüfer verwehrt aufgrund massiver Mängel am Kfz die Herausgabe der Plakette (KFZ darf so nicht in den Straßenverkehr). 8. Die Stadt K ordnet durch öffentliche Bekanntgabe an, dass alle Gaststätten im Gemeindegebiet auf Gründen des Infektionsschutzes für 8 Wochen schließen müssen. 9. Die Stadt K erlässt eine kommunale Satzung (über Art. 28 GG) hinsichtlich der Nutzung des Flussufers im Stadtpark. 10. Person J fährt betrunken eine Ampel um. 11. Polizist P hält einen Verkehrsteilnehmer i.R. einer Kontrolle an. 12. Dem G wird mündlich zugesichert, seine genehmigungspflichtige Gartenhütte errichten zu dürfen. 13. Die Abiturprüfung wird insgesamt mit n.b. gewertet. 35 Nehmen Sie bei den nachfolgenden Fällen bitte begründet Stellung, ob ein Rechtsakt nach § 35 VwVfG vorliegt: 1. Der Präsident des Landtages des Bundeslandes B erteilt einem Zuhörer und Störenfried während einer Debatte im Landtag ein Hausverbot für die Dauer von 10 Tagen. 2. Bauamtsmitarbeiter B ist geblitzt worden. Wütend darüber montiert er den „Starenkasten“ eines nachts ab. 3. Die Stadt Siegen verbeamtet einen neuen Mitarbeiter. 4. Polizeihund Gottfried frisst im Rahmen eines Einsatzes das Stallhäschen des kleinen Timmy. 5. Im Rahmen von Brückensprengungsarbeiten wird durch die Polizei durch ein Megafon verfügt, dass drei umliegende Häuser geräumt werden müssen 36 Übung / Wiederholung Tatbestandsmerkmale Verwaltungsakt 1. Der zuständige Sachbearbeiter am Wohnsitzfinanzamt erlässt nach eingehender Prüfung der Sachlage einen Steuerbescheid für Bürger B für den letzten Veranlagungszeitraum. Diesen schickt er dem Steuerpflichten B zu. Er wird rechtmäßig zu einer Nachzahlung in Höhe von 200 € verpflichtet. Tatbestandsmerkale: 1. Hoheitliche Maßnahme 2. Behörde 3. Regelung 4. Einzelfall 5. Auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts 6. Außenwirkung 37 Übung / Wiederholung Tatbestandsmerkmale Verwaltungsakt 2. Sachbearbeiterin S der Familienkasse der Stadt L möchte ihrer Freundin F einen Gefallen tun und erhöht eigenmächtig den Betrag des Kindergeldes auf 300 € pro Monat. Einen entsprechenden Bewilligungsbescheid erhält F zeitnah. Tatbestandsmerkale: 1. Hoheitliche Maßnahme 2. Behörde 3. Regelung 4. Einzelfall 5. Auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts 6. Außenwirkung 38 Übung / Wiederholung Tatbestandsmerkmale Verwaltungsakt 3. Der schon verrentete Tierarzt T hat schon länger ein Auge auf den Hund der Nachbarin N geworfen. Da selbiger schon mehrfach Aggressionen gegenüber Kindern gezeigt hat, formuliert T ein entsprechendes Schreiben an N, in welchem er dem Hund eine Maulkorbpflicht und einen Leinenzwang anordnet. Dieses wirft er in den Briefkasten der N. Tatbestandsmerkale: 1. Hoheitliche Maßnahme 2. Behörde 3. Regelung 4. Einzelfall 5. Auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts 6. Außenwirkung 39