Einführung Wirtschaftsstrafrecht HS 24_Halbtag 2_14.10.24 PDF

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FHNW - Fachhochschule Nordwestschweiz

Judith Natterer Gartmann

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economic criminal law criminal law introduction to business law legal studies

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This document is part of a lecture series on introduction to economic criminal law. It provides an overview of the key topics and concepts. Topics include, introduction to economic criminal law, and different types of crimes and offenses, relevant case studies, and an overview of the various stages involved in proceedings.

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Veranstaltungsversion Einführung Wirtschaftsstrafrecht Halbtag 2 Dr. iur. Judith Natterer Gartmann Wesentliche Grundlage dieser Präsentation bildet auszugsweise: Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil; Lukas Bürge et al.; 3., überarbeitete Auflage 2022, Orell Füssli Verlag, Zürich. Walt Disney...

Veranstaltungsversion Einführung Wirtschaftsstrafrecht Halbtag 2 Dr. iur. Judith Natterer Gartmann Wesentliche Grundlage dieser Präsentation bildet auszugsweise: Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil; Lukas Bürge et al.; 3., überarbeitete Auflage 2022, Orell Füssli Verlag, Zürich. Walt Disneys "Panzerknacker" www.fhnw.ch/wirtschaft Willkommen zurück! ▪ Wir sehen uns heute zum zweiten Mal. ▪ Einstiegsweise: (1) Fragen von Ihrer Seite zum Stoff vom letzten Mal? (2) "Sprachquiz" (vgl. Folie 12 von Halbtag 1) ▪ Sodann: Ran an die neue Materie… Unser Oberthema heute: "Materielles Wirtschaftsstrafrecht (1)" 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 2 Fahrplan heute 13:15 – 13:45 Einstieg (1) – (2) Q & A / Input Dozentin 16:45 – 17:00 Zusammenzug, Schluss Input Dozentin dazwischen: rollende Planung ☺ 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 3 Einstieg 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 4 (1) Fragen von Ihrer Seite zum Stoff vom letzten Halbtag? ▪ Zu mir sind im Vorfeld keine gekommen, aber vielleicht jetzt? 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 5 (2) "Sprachquiz" ▪ Vgl. Folie 12 der Präsentation zu Halbtag 1 ▪ Was bedeuten die nachfolgenden drei Begriffe? "angeblich", z.B. in der Formulierung "der angebliche Täter" bedeutet: Man sagt, er sei der Täter, aber wie gesichert / ungesichert das ist, bleibt offen. → "neutrale" Formulierung "mutmasslich", z.B. in der Formulierung "der mutmassliche Täter" bedeutet: Man vermutet, er sei der Täter, und es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass diese Vermutung zutrifft. → tendenziell "affirmative", "positive" Formulierung "vermeintlich", z.B. in der Formulierung "der vermeintliche Täter" bedeutet: Man hält (hielt) ihn zwar für den Täter, aber er ist nicht der Täter. → "negative", "korrigierende" Formulierung 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 6 Was sollen Sie aus dieser Übung mitnehmen? ▪ Same, same – but different ☺ ! ▪ Formulieren Sie sorgfältig, d.h.: − Sagen / schreiben Sie das, was Sie wirklich meinen. − Benutzen Sie dafür die richtigen Wörter. − Achten Sie sich einmal darauf, wenn Sie Medienberichte lesen, wie achtlos (und im Ergebnis: falsch!) Begriffe zum Teil verwandt werden. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 7 Materielles Wirtschaftstrafrecht (1) 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 8 Vorab: Was bedeutet das nochmals? => Klären wir den Begriff gemeinsam. Starten wir, indem wir den gegensätzlichen Begriff suchen. Materielles (Wirtschafts-)Strafrecht Formelles (Wirtschafts-)Strafrecht = Regeln zur Umschreibung = Regeln zur Durchsetzung des strafbaren Verhaltens des materiellen Strafrechts Primärquelle: StGB + "Nebenstrafrecht", Primärquelle: StPO + Verfahrens- z.B.: Art. 90 ff. SVG gesetze des Nebenstrafrechts, z.B.: VStrR 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 9 Übersicht Vgl. auch Lernziele von Halbtag 2 gemäss Advance Organizer, S. 2. 1. Strafbarkeitsvoraussetzungen inkl. Deliktsaufbauschema 2. Deliktsklassen inkl. Unterschiede / praktische Bedeutung 3. Deliktstypen 4. Objektiver Tatbestand (inkl. objektive Strafbarkeitsbedingung) 5. Subjektiver Tatbestand 6. Rechtswidrigkeit / Rechtfertigung 7. Schuld / Schuldminderung bzw. Schuldausschluss, Entschuldigung 8. Irrtumsarten (auszugsweise) 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 10 Strafbarkeitsvoraussetzungen inkl. Deliktsaufbauschema 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 11 Was braucht‘s, damit Strafbarkeit gegeben ist? Es braucht folgende drei Grundelemente: "Positive" Prüfung – Sind die im Gesetz umschriebenen Tatbestandsmässigkeit Erfordernisse im zu beurteilenden Fall gegeben? "Negative" Prüfung – entfällt die Rechtswidrigkeit im zu Rechtswidrigkeit beurteilenden Fall ausnahmsweise? "Negative" Prüfung – entfällt die Schuld im zu Schuld beurteilenden Fall ausnahmsweise oder ist sie ausnahmsweise vermindert? Man sagt auch: Die Tatbestandsmässigkeit eines Verhaltens „impliziert“ in der Regel dessen Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 12 Ein Beispiel zur Konkretisierung (vereinfachte Betrachtung): A hat mit einem Revolver auf B gezielt und abgedrückt, die Patrone ist in Bs Oberkörper eingedrungen und B lag einen Sekundenbruchteil später leblos am Boden. Art. 111 StGB, Vorsätzliche Tötung, verlangt vier Tatbestandsmässigkeit? Elemente: Wer – vorsätzlich – einen Menschen – tötet. => Gehen wir davon aus, alle vier seien gegeben. Diese ist "impliziert". Sie entfällt jedoch, wenn ein Rechtswidrigkeit? Rechtfertigungsgrund greift. Beispielsweise: Notwehr. => Gehen wir davon aus, das sei nicht der Fall. Auch diese ist "impliziert". Sie ist jedoch gemindert, Schuld? wenn ein Schuldminderungsgrund greift, bzw. sie entfällt, wenn ein Schuldausschlussgrund greift (z.B.: verminderte bzw. fehlende Zurechnungsfähigkeit) oder wenn ein Entschuldigungsgrund greift (z.B.: entschuld- barer Notwehrexzess). => Gehen wir davon aus, das sei ebenso wenig der Fall. ➔ Guilty! 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 13 Merken Sie sich für den Moment (zudem): Die Prüfung, ob die Tatbestandsmässigkeit im Einzelfall Tatbestandsmässigkeit? gegeben ist oder nicht, erfolgt je nach "Deliktstyp" *) nach unterschiedlichem Muster! *) z.B. beim Fahrlässigkeits- anders als beim Vorsatzdelikt, beim Handlungs- anders als beim Unterlassungsdelikt, beim Verletzungs- anders als beim Gefährdungsdelikt usw. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 14 Deliktsklassen inkl. Unterschiede / praktische Bedeutung 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 15 Hier geht es um eine Einteilung der Delikte nach der Schwere der Strafdrohung. Gemeint ist nicht die Höhe einer Strafe im Einzelfall, sondern die gesetzlich vorgesehene "abstrakte Höchststrafe". Es gibt drei solche Deliktsklassen : Verbrechen, Vergehen und Übertretungen. Massgebend für die Einteilung sind Art. 10 und 103 StGB. Art. 10 StGB: 1 Dieses Gesetz unterscheidet die Verbrechen von den Vergehen nach der Schwere der Strafen, mit der die Taten bedroht sind. 2 Verbrechen sind Taten, die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind. 3 Vergehen sind Taten, die mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht sind. Art. 103 StGB: Übertretungen sind Taten, die mit Busse bedroht sind. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 16 Je ein Beispiel: nicht aus dem Bereich Wirtschaftsstrafrecht, denn dazu später…! Übertretung Vergehen Verbrechen Art. 126 StGB: Art. 122 StGB: Art. 121 StGB: Tätlichkeit Einfache Körperverletzung Schwere Körperverletzung Busse Freiheitsstrafe bis zu Freiheitsstrafe von drei Jahren oder einem Jahr bis zu zehn (Ziff. 1.: Strafverfolgung Geldstrafe Jahren nur auf Antrag) (Ziff. 1.: Strafverfolgung nur auf Antrag) 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 17 Was bedeutet die Zuordnung praktisch? ▪ unterschiedliche Verjährungsdauern ▪ Bussen können nicht bedingt ausgesprochen werden. ▪ Strafregistereintrag nur bei Verbrechen und Vergehen; bei Übertretungen i.d.R. nur, wenn eine Busse über CHF 5‘000.00 ausgesprochen wird ▪ Versuch und Gehilfenschaft sind bei Übertretungen nur ausnahmsweise strafbar, d.h. wenn es das Gesetz ausdrücklich sagt. ▪ Der Versuch der Anstiftung ist nur bei der Anstiftung zu einem Verbrechen strafbar, nicht aber bei der Anstiftung zu einem Vergehen oder zu einer Übertretung. ▪ Nur Vermögensdelikte, die Verbrechen darstellen, können Vortaten zur Geldwäscherei bilden (Ausnahme: qualifizierte Steuervergehen). ▪ U.W.m. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 18 Und was heisst Geldstrafe? […] 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 19 Und was heisst Busse? 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 20 Übrigens: Auch die Kantone dürfen grstzl. Übertretungsstraftatbestände erlassen, vgl. Art. 335 Abs. 1 StGB. Drei Beispiele auf dem Übetretungsstrafgesetz Basel-Stadt: § 21 Füttern von frei lebenden Tauben 1 Mit Busse wird bestraft, wer frei lebende Tauben füttert. § 8 Verrichten der Notdurft 1 Mit Busse wird bestraft, wer in bewohntem, öffentlichem oder in bewohntem, allgemein zugänglichem Gebiet die Notdurft ausserhalb sanitärer Einrichtungen verrichtet. § 13 Fasnacht 1 Mit Busse wird bestraft, wer den polizeilichen Vorschriften über die Fasnacht zuwider- handelt. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 21 Nun sind Sie am Drücker! ▪ Bitte nehmen Sie das Arbeitsblatt "Deliktsklassen" hervor. ▪ Finden Sie sich in Gruppen von je ca. 4 Studierenden zusammen. ▪ Suchen Sie innerhalb der Vermögensdelikte des Strafgesetzbuches (StGB), d.h. im Bereich ab Art. 137 bis Art. 172ter StGB, je − eine Übertretung, − ein Vergehen, − ein Verbrechen. ▪ Bereiten Sie Ihre Fundstellen auf wie auf dem Arbeitsblatt vorgegeben. ▪ Nehmen Sie sich dafür 15 Minuten Zeit. Anschliessend tragen wir Ihre Ergebnisse im Plenum zusammen. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 22 Deliktstypen 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 23 Was schauen wir an? Eine Übersicht: 1. Tätigkeitsdelikt vs. Erfolgsdelikt 2. Verletzungs- vs. Gefährdungsdelikt 3. Zustands- u. Dauerdelikt 4. Gemeines Delikt vs. Sonderdelikt 5. Handlungs- vs. Unterlassungsdelikt 6. Vorsatz- vs. Fahrlässigkeitsdelikt 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 24 Und wieder sind Sie gefragt! ▪ Bitte nehmen Sie das Arbeitsblatt "Deliktstypen" hervor. ▪ Arbeiten Sie zu zweit. ▪ Verbinden Sie jedes Kästchen links (Straftatbestände oder Sachverhalts- Kurzbeschriebe) mit je einem Kästchen rechts (Deliktstypen) mittels einer Linie. ▪ Nehmen Sie sich dafür 20 Minuten Zeit. Anschliessend diskutieren wir Ihre Ergebnisse im Plenum. ▪ Hinweis: Die Inhalte der Kästchen links lassen sich nicht selten mehreren Kästchen rechts zuordnen. Versuchen Sie, herauszufinden, welche Zuordnung die "idealtypische" ist, und ordnen Sie dementsprechend zu. Spätestens nach unserer anschliessenden Besprechung im Plenum werden Sie diese Typisierung abschliessend nachvollziehen können. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 25 Objektiver Tatbestand (inkl. "objektive Strafbarkeitsbedingung") 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 26 = Umschreibung des verbotenen Verhaltens im Sinne der einzelnen objektiven oder äusseren Tatbestandsmerkmale, die das Gesetz (der bestimmte Straftatbestand, der verdachtsweise erfüllt ist) aufzählt! Beispiel: Diebstahl, Art. 139 StGB: "Sache" – "beweglich" – "fremd" – "Wegnahme" Elemente des objektiven Tatbestands sind: ▪ beim Sonderdelikt: Täterqualifikation ▪ Tatobjekt All das braucht es im ▪ Tathandlung Einzelfall. ▪ beim Erfolgsdelikt: Taterfolg Fehlt auch nur ein Element: nur allenfalls ▪ beim Erfolgsdelikt: Kausalität (natürliche & adäquate) ein "Versuch" gegeben ! ▪ objektive Zurechenbarkeit 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 27 Im Besonderen: Was bedeutet "Kausalität"? ▪ Es geht um die Frage: "Wurde der tatbestandsmässige Erfolg durch die Tathandlung in zurechenbarer Weise verursacht?" natürliche Kausalität adäquate Kausalität ("Äquivalenztheorie") ("Adäquanztheorie") Als Ursache für den eingetretenem Nicht jede natürliche Ursache ist Erfolg gilt jede Bedingung, die nicht rechtserheblich, sondern nur jene, die hinweggedacht werden kann, ohne "nach dem gewöhlichen Lauf der dass auch der konkrete Erfolg entfiele Dinge und der allgemeinen ("conditio sine qua non", BGE 142 IV Lebenserfahrung geeignet war, einen 237 E. 1.5.1). D.h.: Der Erfolg von der Art des eingetretenen Kausalzusammenhang steht nach herbeizuführen oder mindestens zu naturwissenschaftlich gesicherter begünstigen." Kenntnis bzw. jenseits vernünftiger (Vgl. BGE 121 IV 286 E. 3; BGer Zweifel fest. 6B_132/2013 v. 16.08.2016 E. 3.2.1.) 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 28 ▪ Ergänzung: Prüfung der natürlichen Kausalität bei Unterlassungsdelikten nach der Formel "Als Ursache für den eingetretenem Erfolg gilt jede Bedingung, die nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass auch der konkrete Erfolg entfiele. " Man spricht hier von "hypothetischer" natürlicher Kausalität. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 29 Im Besonderen: Was bedeutet „Objektive Zurechenbarkeit“? Es geht um die Frage: „Ist der eingetretene Erfolg der Täterschaft zuzurechnen, resp. muss der eingetretene Erfolg als "ihr Werk" betrachtet werden?“ Die objektive Zurechenbarkeit ist gegeben, wenn die Täterschaft mit dem für den Erfolg ursächlichen Handeln ein rechtlich relevantes Risiko geschaffen hat, welches sich sodann tatbestandsmässigen Erfolg auch realisierte. Es geht somit um das Zusammenspiel zwischen Gefahrschaffung und Gefahrrealisierung. Nur wenn im Einzelfall beides gegeben ist, ist das Kriterium der objektiven Zurechenbarkeit erfüllt. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 30 Es interessieren drei Fallgruppen: (1) erlaubtes Risiko / Sozialadäquanz des Verhaltens => schliesst die Strafbarkeit aus Beispiel: Automobilistin verhält sich absolut korrekt, überfährt jedoch einen Menschen. => Strafbarkeit entfällt. [BGE 134 IV 26 E. 3.2.5 zum Thema Sportverletzungen wegen Foulspielen. Erlaubtes Risiko?] (2) Risikoverringerung => schliesst die Strafbarkeit aus Beispiel: A wird beinahe überfahren, B stösst ihn gerade noch rechtzeitig von der Fahrbahn weg, so dass sich A nur an der Schulter verletzt. => Strafbarkeit entfällt. (3) Herbeiführung der Gefahr, die in den Erfolg umgeschlagen ist, ist i.c. nicht abgedeckt vom spezifischen Schutzzweck der Norm, gegen die verstossen wurde => schliesst die Strafbarkeit aus Beispiel: A rast auf der Autobahn und wird geblitzt. An seinem Ziel (Dorf B) angekommen, fährt er unter Einhaltung der vorgegebenen Tempolimite. Dennoch überfährt er im Dorf B jemanden. => Die Strafbarkeit entfällt mit Blick auf das Überfahren. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 31 Subjektiver Tatbestand 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 32 = Umschreibung des verbotenen Verhaltens im Sinne der einzelnen subjektiven oder inneren Tatbestandsmerkmale, die das Gesetz aufzählt! Dabei interessiert die Frage: hat sich der Täter auf die objektiven Tatbestandselemente subjektiv bezogen, resp: Hat er vorsätzlich gehandelt, wo das erforderlich ist, oder hat er in strafbarer Weise fahrlässig gehandelt? Achtung: Bei den Straftatbeständen braucht es in der Regel den Vorsatz (mindestens: den "Eventualvorsatz"), damit die Strafbarkeit gegeben ist. Fahrlässige Tatbegehung wird nur bestraft, wenn das ausdrücklich so im Gesetz steht. Siehe dazu Art. 12 Abs. 1 StGB: Art. 12 [Vorsatz und Fahrlässigkeit] 1 Bestimmt es das Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist nur strafbar, wer ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich begeht. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 33 Und worum geht‘s bei Vorsatz und Fahrlässigkeit? Vgl. dazu Art. 12 Abs. 2, 3 StGB: "Direkter Vorsatz" Art. 12 [Vorsatz und Fahrlässigkeit] […] "Eventualvorsatz" 2 Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt. 3 Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist. "Unbewusste Fahrlässigkeit" "Bewusste Fahrlässigkeit" 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 34 Ein sehr schmaler Grat, auf dem sich Strafbarkeit und Nicht-Strafbarkeit treffen. Nicht selten entscheidend: "Direkter Vorsatz" Wortlaut der Aussagen der möglichen Täterschaft! Die Täterschaft weiss und will. "Eventualvorsatz" Die Täterschaft weiss und nimmt in Kauf („Kollateralschaden“). "Bewusste Fahrlässigkeit" Die Täterschaft weiss und vertraut auf das Ausbleiben des Erfolgs. "Unbewusste Fahrlässigkeit" Die Täterschaft weiss nicht und will nicht. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 35 Weitere subjektive Tatbestandsmerkmale, die das Gesetz teilweise verlangt: ▪ Aneignungswillen (Vgl. Art. 139 StGB, Diebstahl) ▪ Bereicherungsabsicht (Vgl. Art. 146 StGB, Betrug) ▪ besonderer Beweggrund (z.B. besonders verwerflicher Beweggrund bei Art. 112 StGB, Mord) Merken Sie sich: Diese weiteren subjektiven Tatbestandsmerkmale haben – anders als der Vorsatz – kein Gegenstück im objektiven Tatbestand. Gleich wie der Vorsatz sind sie aber – als subjektive, innere Tatbestandsmerkmale – naturgemäss schwierig zu beweisen. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 36 Und nun noch eine abschliessende Preisfrage in diesem Kapitel: Was ist eine "objektive Strafbarkeitsbedingung"? Auflösung: Ein objektives, äusserlich wahrnehmbares Tatbestandselement, das jedoch nicht vom subjektiven Tatbestand (Vorsatz) erfasst sein muss. Beispiele: Konkurseröffnung bei den Kokursdelikten (Art. 163 ff. StGB); Tod oder Körperverletzung eines Menschen beim Raufhandel (Art. 133 StGB). 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 37 Rechtswidrigkeit / Rechtfertigung 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 38 Ist der Tatbestand erfüllt, impliziert das die Rechtswidrigkeit, vgl. weiter vorne. Ausnahmsweise kann die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen sein. Folgende Ausschlussgründe nennt das StGB: ▪ Art.14: Gesetzmässiges Handeln ▪ Art.15: Notwehr ▪ Art.17: Notstand Folgende „übergesetzliche“ Ausschluss- bzw. Rechtfertigungsgründe sind zudem anerkannt: ▪ Einwilligung der verletzten Person (strittig; teilweise als tatbestandsausschliessend betrachtet) ▪ Wahrung berechtigter Interessen ▪ Rechtfertigende Pflichtenkollision ▪ ferner: Amts- und Berifspflichten, die ein bestimmtes Verhalten gebieten. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 39 Schuld / Schuldminderung bzw. Schuldausschluss, Entschuldigung 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 40 Sind Tatbestandsmässigkeit und Rechtswidrigkeit gegeben, impliziert das die Schuld, vgl. weiter vorne. Ausnahmsweise kann die Schuld gemindert oder ausgeschlossen sein. Folgende Gründe nennt das StGB: ▪ Art.19 Abs. 1, 2: Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldfähigkeit ▪ Art.16: entschuldbarer Notwehrexzess Unzumutbarkeit rechtmässigen ▪ Art. 18: entschuldbarer Notstand Handelns ▪ Art. 21: fehlende Verbotskenntnis Und eine Besonderheit hält es parat mit Blick auf Art. 19 Abs. 1, 2: ▪ Art.19 Abs. 4: vermeidbare Schuldunfähigkeit, "actio libera in causa" 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 41 Rechtswidrigkeit und Schuld ▪ Wir bearbeiten die Themen Rechtswidrigkeit und Schuld heute nicht flächendeckend, sondern punktuell und praxisbezogen. ▪ Nehmen Sie dazu das Arbeitsblatt "Rechtswidrigkeit & Schuld" hervor. ▪ Teilen Sie sich auf in Gruppen von ca. 6 Studierenden. ▪ Ich teile Ihnen einen der beiden Fälle A oder B zu. ▪ Diskutieren Sie den Fall in der Gruppe. Versuchen Sie ihn juristisch zu lösen mithilfe des heute bis dahin Betrachteten UND mit Hilfe des StGB. Legen Sie den Fokus dabei auf die Themen Rechtswidrigkeit und Schuld. ▪ Wir treffen uns nach 20 Minuten wieder hier im Plenum und tragen Ihre Ergebnisse zusammen. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 42 Irrtumsarten 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 43 Diesen Teil beackern wir nächstes Mal (28.10.2024). ▪ Das Grundlagenwissen dazu eignen Sie sich bitte vorher auf Seiten 76-81 des Repetitoriums an! ▪ Je besser vorbereitet Sie in den Unterricht kommen, desto mehr profitieren Sie. ▪ Hinweis: Die Irrtumsthematik ist auf den ersten Blick komplex und etwas tricky. Lassen Sie sich nicht verwirren und nicht entmutigen. => Wir bekommen das hin ☺ 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 44 Zusammenzug, Schluss 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 45 Wir haben heute … 1. Das materielle (Wirtschafts-)Strafrecht angepackt. 2. Die Strafbarkeitsvoraussetzungen und das gängige Deliktsaufbauschema kennengelernt. 3. Deliktsklassen zu unterscheiden gelernt. 4. Das ganze Kaleidoskop an Deliktstypen abgebildet. 5. Den objektiven und den subjektiven Tatbestand durchdrungen. 3. Das Thema Rechtswidrigkeit beackert und Rechtfertigungsgründe besprochen. 4. Schuld, Schuldminderung, Schuldausschluss und Entschuldigung beleuchtet. 5. Das Vorhaben in Sachen Irrtumsarten festgelegt. 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 46 Nach heute ▪ Die definitive Fassung dieser Präsentation finden Sie demnächst auf Moodle (Kachel zu Halbtag 2). ▪ Ebenso einen «Wissenssicherer» mit Musterlösung. ▪ Repetieren Sie den heute er- und bearbeiteten Stoff und testen Sie sich selbst mithilfe des Wissenssicherers. ▪ Fragen / Klärungsbedarf bringen Sie mit in den nächsten Halbtag. ▪ Die Unterlagen zu Halbtag 3 folgen, vgl. Bemerkung dazu unter «Moodle Kursraum». 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 47 Last but not least: eine Lektüreempfehlung 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 48 Danke fürs Zuhören & Mitmachen und bis bald. Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin 14. & 21. Oktober 2024 Einführung Wirtschaftsstrafrecht - Dr. iur. Judith Natterer Gartmann, Rechtsanwältin www.fhnw.ch/wirtschaft 49

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