Aspekte der Bildungsforschung & Schulpädagogik PDF

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This document is a lecture or presentation on aspects of educational research and pedagogy related to topics such as education, learning, and socialization. It discusses different perspectives on socialization and education. It looks at different concepts in relation to Erziehung and Bildung.

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Aspekte der Bildungsforschung & Schulpädagogik Erziehung, Bildung und Sozialisation VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 1 Literatur Seel, N. M., & Hanke, U. (2015). Allgemeine Pädagogik: Grundlagen der Erziehungswissensch...

Aspekte der Bildungsforschung & Schulpädagogik Erziehung, Bildung und Sozialisation VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 1 Literatur Seel, N. M., & Hanke, U. (2015). Allgemeine Pädagogik: Grundlagen der Erziehungswissenschaft. Erziehungswissenschaft: Lehrbuch für Bachelor-, Master- und Lehramtsstudierende. Berlin: Springer. (Online) https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-642-55206-9 Kapitel 1.2.1 (S.12-25) Gudjons, H., & Traub, S. (2020). Pädagogisches Grundwissen : Überblick - Kompendium - Studienbuch (13. akt. Auflage). Bad Heilbrunn: UTB Kapitel 7 (S.183-218) Horstkemper, M. & Tillmann, K. (2016). Sozialisation und Erziehung in der Schule: Eine problemorientierte Einführung. Bad Heilbrunn: UTB Kapitel 2 (S.15-30) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 2 Agenda Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft – Was ist Sozialisation? – Was ist Erziehung? – Was ist Bildung? Bildungs- bzw. Erziehungsauftrag der Schule Normen und Werte Spannungsfeld zwischen Bildung, Erziehung und Sozialisation im schulischen Kontext VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 3 Sozialisation VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 4 Sozialisation Sozialisation als Prozess „der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Vorrangig thematisch ist dabei (...), wie sich der Mensch zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt bildet“ (Geulen & Hurrelmann, 1980, S.50) Sämtliche, lebenslange Lern- und Erfahrungsprozesse der Persönlichkeitsbildung – Gesamtheit aller Umwelteinflüsse, die den Entwicklungsprozess eines Individuums beeinflussen – Erziehung und Bildung sind Unterkategorien der Sozialisation VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 5 Ökologische Systemtheorie Mikrosystem – Verhaltens- und Beziehungsmuster die in einem bestimmten Lebensbereich erlebt werden Mesosystem – Wechselbeziehungen zwischen Lebensbereichen Exosystem – Lebensbereiche, an denen ein Individuum nicht aktiv beteiligt ist, welche jedoch Einfluss auf das Individuum nehmen Makrosystem Seel & Hanke (2015, S.489) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 6 Zeit zum Nachdenken: Systemtheorie Konkret Warum gibt es eine solche Systemtheorie? Was bedeutet das für die Bildungs- und Lebensverläufe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen? https://www.youtube.com/watch?v=mrY07Uyxwk8 VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 7 Phasen der Sozialisation Seel & Hanke (2015, S.498) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 8 Sozialisationsinstanzen Gruppen oder soziale Kontexte, innerhalb derer Prozesse der Vergesellschaftung ablaufen Sozialisationsinstanzen leisten je nach Phase unterschiedliche Beiträge zur Vergesellschaftung des Einzelnen Zu den wichtigsten Sozialisationsinstanzen gehören die Familien, Bildungsinstitutionen, die Berufs- und Arbeitswelt, Kirchen und Vereine, Pflege und Hilfseinrichtungen sowie die Massenmedien VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 9 Sozialisationsinstanzen Familie Schule Freunde/Peer-Groups Ausbildung spezifischer Sozialisation durch Tansitorische Funktion Muster zwischen den fachliches, planvolles Quelle der Zustimmung Mitgliedern Lernen und Anerkennung Enthält Subsysteme Sozialisation durch Raum zum Mittelpunkt: Interaktion im Alltag Experimentieren mit kindbezogene Werten, Normen und Entwicklungseffekte Rollen Risiko von Ausgrenzung, Konkurrenz, … VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 10 Aktiv Stopp! Welche Sozialisationsinstanz war/ ist für Sie wichtig? Können Sie das an einem Beispiel fest machen? 5min VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 11 Systemzwänge der Sozialisationsinstanz Schule Systemzwänge der Sozialisationsinstanz Schule: Was ist darunter zu verstehen? Pädagogische Funktion und gesellschaftliche Funktion von Schule: Selektion und Qualifikation? – SuS, die nicht den Sozial- und Leistungsanforderungen der Schule entsprechen, geraten in Gefahr an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 12 Erziehung VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 13 Ins Thema kommen… Überlegen Sie was Sie unter „Erziehen bzw. Erziehung im schulischen Kontext“ verstehen. (2min) Überlegen Sie, inwiefern Sie in Ihrer eigenen Schullaufbahn mit „Erziehen“ bzw. „Erziehung“ konfrontiert waren. (2min) Tauschen Sie sich nun mit Ihrer/Ihrem Sitznachbar*in über Punkt 1. und 2. aus und überlegen Sie, inwiefern die Auseinandersetzung mit dem Begriff für Ihren späteren Berufsalltag relevant ist. Bitte notieren Sie Ihre Überlegungen. (5min) Plenum VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 14 Warum beschäftigen wir uns mit Erziehung? Ist doch die Aufgabe der Eltern...oder etwa nicht Lehrer:innenbildung umfasst vier Bereiche Unterrichten Innovieren Beurteilen Erziehen VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 15 Kompetenzbereich Erziehen Lehrer und Lehrerinnen üben ihre Erziehungsaufgabe aus, sie… – Kennen die Lebensbedingungen ihrer SuS und nehmen Einfluss auf ihre individuelle Entwicklung – Vermitteln (demokratische) Werte und Normen – Unterstützen selbstbestimmtes Handeln von SuS – Finden Lösungsansätze für Schwierigkeiten und Konflikte im schulischen Rahmen KMK (2004) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 16 Erziehung VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 17 Erziehung Erziehen ist eine Urfunktion menschlichen Daseins (Petersen, 1931) „Erziehung“ ist aus dem althochdeutschen irziohan (herausziehen) abgeleitet - Fördern der Entwicklung und Hervorholen der im Individuum angelegten Persönlichkeit Weder zeitlich auf ein bestimmtes Entwicklungsalter begrenzt noch räumlich an eine Institution gebunden Klafki (1971) setzt Schwerpunkt bei Erziehung auf die jüngere Generation; gezielte Verhaltensbeeinflussung von Jüngeren durch Ältere. Erziehung als Aufgabe, Vorgang und Ergebnis als das ureigene Forschungsfeld der Erziehungswissenschaft VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 18 Erziehung (empirisches Verständnis) Brezinka (1978, S.45): „Unter Erziehung werden Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten.“ Intentionalität Wertbezogenheit VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 19 Erziehung (empirisches Verständnis) Gudjons & Traub (2020, S.195) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 20 Grundformen der Erziehung (Seel & Hanke, 2015) Intentionale Erziehung Funktionale Erziehung Extensionale Erziehung Zielgeleitetes und Gegenposition zur Handlungen, die absichtsvolles Handeln intentionalen Erziehung Erziehende nicht Handlungen, die Inzidentelles Stattfinden primäre zur Erziehung Erziehende mit dem von Erziehung durch durchführt, zu Zweck vollziehen, bei Interaktion mit der Erziehende aber gezielt dem zu Erziehenden sozio-kulturellen teilhaben lässt Prozesse der Person- Umwelt Bereitstellung von und Sozialwerdung zu Nähe zum Umweltgegebenheiten bedingen. Sozialisationsbegriff VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 21 Erziehung Weiteres konstituierendes Merkmal: Soziale Interaktion zwischen mindestens zwei Menschen (Erzieher und zu Erziehender) – Auch: pädagogischer Bezug (Nohl, 2002) – Die Beziehung zwischen Erzieher und zu Erziehendem ist gekennzeichnet durch Liebe und Autorität/Gehorsam Seel & Hanke (2015, S.14) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 22 Erziehung Sechs Merkmale des pädagogischen Bezugs (Nohl, 2002): – Grundlage: das leidenschaftliche Verhältnis zwischen einem reifen Menschen und einem werdenden Menschen (pädagogische Verantwortung) – Die Ziele der Erziehung hängen vom geschichtlichen Kontext ab – Pädagogisches Verhältnis = Interaktionsverhältnis – Freiwillig und nicht erzwingbar – Muss aufgelöst werden können (Endlichkeit) – An der gegenwärtigen Situation des Kindes und an der zukünftigen Situation orientiert VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 23 Ein Strukturmodell von Erziehung Gudjons & Traub (2020, S.204) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 25 Unterschied Erziehung und Sozialisation Sozialisation – Nicht geplant und zielorientiert – automatisch – komplexe Interaktion: Individuum X sozialer und kultureller Umwelt – Gelegentlich auch bezeichnet als: funktionalen Erziehung (unbeabsichtigte Wirkung des sozialen und kulturellen Umfeldes auf die Erziehung (Mollenhauer, 1983)) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 26 Bildung VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 27 Bildung Wann ist eigentlich jemand gebildet? Für die Begriffe Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung gibt es übereinstimmende Definitionen – für den Bildungsbegriff nicht – Ausbildung: Vermittlung von Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnissen an ein Individuum beliebigen Alters durch eine Institution. Mit Abschlussprüfung. – Fortbildung: Erwerb von Qualifikationen, die über die in einer Ausbildung erworbenen Fertigkeiten hinausgehen. Zur Anpassung an veränderte Arbeitsbedingungen – Weiterbildung: Vertiefung, Erweiterung oder Erneuerung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten bei einem Individuum, welches bereits Bildungsphasen abgeschlossen hat VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 28 Bildung bei Humboldt „Es gibt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Gibt ihm der Schulunterricht, was hierfür erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher so leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschieht, von einem zum anderen überzugehen.“ Humboldt (1993, S.218) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 29 Bildung bei Humboldt Vorrang der allgemeinen Menschenbildung vor der besonderen Berufsausbildung. Ganzheitliches und humanistisches Bildungsverständnis Grundgedanke: Bildung wird nicht als abhängig von der Menge des Gelernten betrachtet, sondern von der inneren Bereitschaft, sich neuen Erfahrungen gegenüber aufgeschlossen zu zeigen (vgl. auch Rousseau oder Herder) Es geht um die Entwicklung einer Persönlichkeit, die in Auseinandersetzung von Individuum und Welt entsteht. VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 30 Bildung bei Humboldt Bildung und Persönlichkeitsentwicklung sollen zu Mündigkeit und selbstverantworteter Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen befähigen. Bildung hier als sittliche Bildung, d. h. als Herausbildung von Gesinnung und Haltung. Unterschiedliche Bildungskonzepte wurden und werden von Humboldts Bildungsideal abgeleitet (Benner 2003), u.a. klassischer Bildungsbegriff des Neuhumanismus VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 31 Bildungsbegriffe Formale Bildung – Fokus auf Methoden/ beschreibt den Methodenstand einer Person – Entstehung aus Humboldts Bildungsbegriff – Formale Bildung meint die Entwicklung von Kräften, Fähigkeiten und Techniken, die zunächst einmal unabhängig von bestimmten Inhalten stehen. – Bildung ist: Lernen Lernen oder die Fähigkeit, das eigene Leben selbst zu gestalten Materiale Bildung – Wissensstand/ Lernstand einer Person – Menge an Wissen bestimmt den Grad der Bildung – Ausgerichtet am Kanonischen Prinzip: Kanon von zu lernenden Inhalten VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 32 Bildungsbegriffe Kategoriale Bildung (Klafkis bildungstheoretische Didaktik) – Bildungsgehalt von Inhalten wird durch 5 Fragen geklärt Die Fähigkeit, Inhaltsbereiche gedanklich zu erschließen und sich durch bereits bekannte Methoden neue Kompetenzen anzueignen VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Seel & Hanke (2015, S.19) Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 33 Zwischenfazit „Im Unterschied zur Erziehung, die als gezielte Einflussnahme auf die Sozialisation und Personalisation von außen nach innen wirken will, bezieht sich Bildung auf den in der Person ablaufenden Prozess des Sichherausbildens eines Selbst- und Wertbewusstseins, das auf die Außenwelt gerichtet ist und zeitlich überdauernd das Handeln der Person in unterschiedlichen Lebensbereichen beeinflusst. Bildung ist somit von innen nach außen gerichtet.“ Seel und Hanke (2015) S. 19 VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 34 Bildung als Kompetenzerwerb Neuere Herangehensweisen: Outputorientierung im Fokus Kompetenz nach Weinert (2001, S.27f): – „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen“ – „die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“. VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 35 Kompetenzbegriff Kompetenzen als hypothetische Konstrukte – wissenschaftliche Konstruktionen, die sich auf etwas beziehen, was sich der unmittelbaren Beobachtung verschließt (=latente Variable) Problem: Wie kann man solche latenten Variablen erfassen? – Finden von manifesten Variablen auf der Ebene des beobachtbaren Verhaltens und Handelns (v. a. Lösen von Aufgaben) Unterscheidung von Kompetenz und Performanz VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 36 Meyer (2007, S.147) Kompetenz & Performanz VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Seel & Hanke (2015, S.21) Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 37 Zentrale Bestimmungsstücke von Kompetenz Erlernbarkeit Kontextspezifisch Funktional (funktional verwendbares Wissen, was dem Prinzip der Idee kategorialen Bildung entspricht; Bildung dient der Kompetenzentwicklung) – Bezug auf konkrete Alltagsweltliche Anwendung des Wissens und Könnens VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 38 Wie viele Kompetenzen gibt es? Im Kern: allgemeine Handlungskompetenz Selbstkompetenz: Die durch Lernprozesse vermittelte Fähigkeit, eigenverantwortlich und moralisch handeln zu können. Fachkompetenz: Fähigkeit, bestimmte Sachgebiete bzw. Aufgaben zu meistern, entspricht dem Konzept der materialen Bildung. Methodenkompetenz: Fähigkeit, Probleme analysieren, bewerten und lösen zu können (mit der Idee der formalen Bildung verknüpfbar). Sozialkompetenz: Befähigung, kommunikativ Seel & Hanke (2015, S.22) und kooperativ zu handeln. VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 39 Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule nach Schulgesetz VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 40 Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule nach Schulgesetz 1. Der Auftrag der Schule bestimmt sich […] insbesondere daraus, dass jeder junge Mensch […] das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung hat und dass er zur Wahrnehmung von Verantwortung, Rechten und Pflichten in Staat und Gesellschaft […] vorbereitet werden muss. VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 SchG Baden-Württemberg Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer (GBl. 1983, 397, K.u.U. 1983, 584) 41 Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule nach Schulgesetz 2. Die Schule hat den in der Landesverfassung verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag zu verwirklichen. Über die Vermittlung von Wissen […] hinaus ist die Schule insbesondere gehalten die Schüler – In Verantwortung vor Gott […] zur Menschlichkeit und Friedensliebe […], Achtung der Würde und Überzeugungen anderer, zu Leistungswillen und Eigenverantwortung […] zu erziehen […]. – Zur Anerkennung der Wert- und Ordnungsvorstellungen der freiheitlich- demokratischen Grundordnung zu erziehen […] – Auf die Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten vorzubereiten […] – Auf […] die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt […] vorzubereiten VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 SchG Baden-Württemberg Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer (GBl. 1983, 397, K.u.U. 1983, 584) 42 Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule In dem gesetzlich definierten Rahmen erfüllt die Sozialisationsinstanz Schule (Seel & Hanke, 2015): – die Funktion der Wissensvermittlung und der systematischen Einflussnahme auf die Entwicklung intellektueller und sozialer Kompetenzen der heranwachsenden Generation (Enkulturations- & Qualifikationsfunktion) – die Aufgabe der sozialen Integration (Integrationsfunktion) – die Funktion der Auslese und Allokation, indem sie mittels der Bewertung und Zertifizierung von Leistungen den Zugang zum Beschäftigungs- und Erwerbssystem reguliert (Allokationsfunktion) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 45 Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule Es besteht ein „eigenständiger umfassender Erziehungs- und Bildungsauftrag des Staates im Bereich des Schulwesens, in dessen Rahmen der Staat – unabhängig von den Eltern – eigene Erziehungsziele verfolgen und festlegen kann“ (Ebert et al., 2017) Hinweis: „je stärker die schulische Erziehung die erzieherische Sphäre berührt, umso mehr hat der Staat die elterlichen Erziehungsvorstellungen zu berücksichtigen“ (BVerfGE 47, S. 46) Bildungs- und Erziehungsauftrag haben unterschiedliche Intentionen (Reuter, 2003) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 46 Intentionalität von Erziehung und Bildung Erziehungsprozesse... – ….zielen auf die Ausbildung motivationaler und affektiver Outcome-Variablen, beispielsweise auf den Erwerb von Werthaltungen oder Einstellungen. Bildungsprozesse… – … zielen auf die Ausbildung kognitiver Outcome-Variablen, beispielsweise auf den Erwerb von Wissen, Fertigkeiten oder Einsichten. Bildung erfolgt im Wesentlichen durch Lehren und Lernen. VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 47 Erziehungsauftrag von Schule Auftrag, mit zentraler gesellschaftlicher Funktion, der über die Stoffvermittlung hinausgeht Ausbildung moralischer Standards und sozialer Verhaltensweisen vor dem Hintergrund Lernprozesse zu unterstützen Werte: – Toleranz – Friedfertigkeit – Demokratische Mitverantwortung – Soziale Gerechtigkeit – Verantwortung ggü. der Schöpfung VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 48 Ziele, Normen und Werte Hierarchische Stufung Gudjons & Traub (2020, S.198) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 49 Ziele Dienen einem konkreten Zweck Beschreiben eine Handlungsintention, leiten eine Handlung ein Unterscheiden sich je nach Kulturkreis/ Millieu/ Kontext Erziehungsziele in der Schule: Mündigkeit (Selbst-/ Sach-/ Methodenkompetenz; Roth, 1971) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 50 Normen Soll-Vorstellungen, die hinter den Zielen liegen Betreffen einen größeren Kulturkreis Haben sich über einen längeren Zeitabschnitt entwickelt Die pragmatische Version von Werten > Handlungsvorschriften VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 51 Werte Grundwerte (Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit) Wertung von etwas als gut/ schlecht Bestimmen das soziale Handeln und liefern einen Maßstab für die Bewertung des eigenen Handelns und anderer Kulturelle Werte: implizit oder explizit geteilten Vorstellungen sozialer Gruppen, was gut, richtig und wünschenswert in einer Gesellschaft ist VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 52 Werte Ilias Umfrage VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 53 Wertvermittlung in den Grunderziehungsformen Seel & Hanke (2015, S.617) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 55 Wertvermittlung in den Grunderziehungsformen Seel & Hanke (2015, S.617) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 56 Wertvermittlung in den Grunderziehungsformen Jetzt Sie: Anwendung auf einen anderen Wertebereich Seel & Hanke (2015, S.617) VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 57 Nochmal: Pädagogischer Bezug und Erziehung…Was bedeutet das für Lehrkräfte? https://www.youtube.com/watch?v=20Y91opisE0 VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 58 Erziehung im pädagogischen Kontext 1. Überlegen Sie, inwiefern „Erziehen“ in Ihrem späteren Berufsalltag ein relevantes Thema sein wird. (3 Min.) 2. Überlegen Sie: Erziehen eher im Unterricht oder im Zuge pädagogischer Aktivitäten außerhalb des Unterrichts? (3 Min.) 3. Tauschen Sie sich nun mit Ihrem/Ihrer Sitznachbar:in über Punkt 1 und 2 aus. Welche Gemeinsamkeiten/Unterschiede stellen Sie fest? (5 Min.) 4. Plenum VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 59 Beispiele für erziehenden Unterricht Horstkemper & Tillmann (2016, S.22): Lehrerinnen und Lehrer werden daher Mut zusprechen, wenn das vorhandene Wissen noch nicht reicht, um ein Problem zu bearbeiten. Sie werden Klarheit einfordern wenn Wissen unsauber kommuniziert wird, um Geduld bitten, wenn andere nicht so schnell mitkommen und Respekt vor den Ansichten und Lösungswegen anderer erwarten. Horstkemper & Tillmann (2016, S.23): In der 7. Klasse einer Realschule fiel den Lehrerinnen und Lehrern der zunehmend rüde, oft auch sexistische Umgangston der Jugendlichen auch während des Unterrichts auf. […] Der Klassenlehrer machte diese Situation zum Thema […] Diese Diskussion führte zu einem Verhaltenskatalog, der von der Mehrheit der SuS gebilligt wurde […]. Die Klasse verabredete täglich ihr Verhalten zu beobachten und einmal in der Woche Zwischenbilanz zu ziehen. Alle Fachlehrerinnen und Fachlehrer der Klasse achteten darauf, dass diese Regeln eingehalten wurden. Heimlich & Kahlert (2012, S.223): Ein Unterricht, der von vorneherein auf erzieherische Absichten verzichtet, kapituliert vor den zufälligen, häufig schädlichen gesellschaftlichen Einflüssen, die sich in den Sozialisationsprozessen niederschlagen. Sozialisiert wird immer – erst Erziehung bringt eine bewusste normative Orientierung ins Spiel. VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 60 Erziehen im erweiterten Kontext pädagogischer Aktivitäten Pädagogische Aktivitäten (z. B. Klassenreisen, AGs etc.) – nicht- unterrichtliche Projekte – größeres Verhaltensspektrum kann adressiert werden – größere Möglichkeit zur individuellen Entfaltung – unabhängig von schulischer Leistung Selbstwirksamkeit erleben – Erziehungspotential Soziales Lernen! VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 61 Spannungsfeld Bildung – Erziehung – Sozialisation Zeit- und Aufwandskonkurrenz zwischen Bildungs- und Erziehungsaufträge – Z.B. Einführung von Klassenregeln vs. Fachunterricht – Unterschiedliche Gewichtung der Aufträge Diskrepanz zwischen (normativen) Erziehungszielen und impliziten Sozialisationsprozessen – Z.B. Integration vs. schulische Selektion Welche weiteren Beispiele fallen ihnen (auch im Rückblick auf Ihre eigene Schulzeit) ein? VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 62 Ihre Fragen… VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 63 Referenzen Benner, D. (2003). Kritik und Negativität. Ein Versuch zur Pluralisierung von Kritik in Erziehung, Pädagogik und Erziehungswissenschaft. https://doi.org/10.25656/01:3962 Brezinka, W. (1978). Metatheorie der Erziehung: Eine Einführung in die Grundlagen er Erziehungswissenschaft, der Philosophie der Erziehung und der praktischen Pädagogik (4. Überarbeitete Aufl. des Buches "Von der Pädagogik zur Erziehungswissenschaft : eine Einführung in die Metatheorie der Erziehung"). E. Reinhardt. Bundesverfassungsgericht (1978). Entscheidungen der amtlichen Sammlung, Band 47. https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Entscheidungen/Liste/40ff/liste_node.html Ebert, F., Andrä, S., Bergmann, M., Bock, C., Burk, S., Gayer, B., Reip, S., & Ulbrich, K. (2017). Schulrecht Baden- Württemberg: Kommentar (2., überarbeitete Aufl.). Boorberg. Gbl. Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG, 1983) 1 Das Schulwesen § 1 Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule. https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/jlr-SchulGBW1983rahmen/part/X Geulen, D. & Hurrelmann, K. (1980) Zur Programmatik einer umfassenden Sozialisationstheorie. In: K. Hurrelmann & D. Ulich (Hrsg.): Handbuch der Sozialisationsforschung. Weinheim, Basel: Beltz, S. 51–67 Gudjons, H., & Traub, S. (2020). Pädagogisches Grundwissen: Überblick - Kompendium - Studienbuch (13., aktualisierte Aufl.). Verlag Julius Klinkhardt. Heimlich, U., & Kahlert, J. (Hrsg.). (2014). Inklusion in Schule und Unterricht: Wege zur Bildung für alle (2. Auflage). Verlag W. Kohlhammer. VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 64 Referenzen Horstkemper, M., & Tillmann, K.-J. (2016). Sozialisation und Erziehung in der Schule: Eine problemorientierte Einführung. Verlag Julius Klinkhardt. Humboldt, W. (1993) Schriften zur Politik und zum Bildungswesen (4. Auflage). Wissenschaftliche Buchgesellschaft Klafki, W. (1971). Erziehungswissenschaft als kritisch-konstruktive Theorie: Hermeneutik, Empirie, Ideologiekritik; Heinrich Roth zum 65. Geburtstag gewidmet. Beltz. Kultusministerkonferenz (2004). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften. Bonn: KMK. Meyer, H. (2020). Leitfaden Unterrichtsvorbereitung (10. Aufl.). Cornelsen. Mollenhauer, K. (1983) Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung, Juventa: München Petersen, P. (1931). Allgemeine Erziehungswissenschaft/Der Ursprung der Pädagogik. De Gruyter. Reuter, L. R. (2003). Erziehungs- und Bildungsziele aus rechtlicher Sicht - In: H.-P- Füssel, P. M. Roeder (Hrsg.): Recht - Erziehung - Staat. Zur Genese einer Problemkonstellation und zur Programmatik ihrer zukünftigen Entwicklung. Weinheim: Beltz 2003, S. 28-48. Roth, H. (1972). Pädagogische Anthropologie. Bd. II: Entwicklung und Erziehung. Grundlagen einer Entwicklungspädagogik. Hermann Schroedel Verlag KG: Hannover. https://doi.org/10.14315/prth-1972-jg15 Seel, N. M., & Hanke, U. (2015). Erziehungswissenschaft: Lehrbuch für Bachelor-, Master- und Lehramtsstudierende. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-55206-9 Weinert, F. E. (2001): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. VL BW 1 Bildungsforschung & Schulpädagogik | Thema 3 Durchführende: Prof. Karst/ Prof. Münzer 65

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