Organisationsrecht der EU PDF - Univ. Wien

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Wirtschaftsuniversität Wien

2025

Irene Kristler

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european union law european law international law

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Dieses Dokument behandelt das Organisationsrecht der EU und beginnt mit der Entwicklung der EU und betrachtet das europäische Primärrecht. Es werden die Institutionen der EU, die Rechtsetzung in der EU, die Gesetzgebungsverfahren sowie die Charakteristika des Unionsrechts erläutert. Das Dokument enthält auch Übungsfragen.

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Organisationsrecht der EU Univ.-Ass.in Mag. Irene Kristler STAND: SOMMERSEMESTER 2025 Inhalt I. Entwicklung der EU II. Europäisches Primärrecht III. Institutionen der EU IV. Rechtsetzung in der EU V. Gesetzgebungsverfahren in der EU VI. Charakteristika des Unionsrechts SEITE 2...

Organisationsrecht der EU Univ.-Ass.in Mag. Irene Kristler STAND: SOMMERSEMESTER 2025 Inhalt I. Entwicklung der EU II. Europäisches Primärrecht III. Institutionen der EU IV. Rechtsetzung in der EU V. Gesetzgebungsverfahren in der EU VI. Charakteristika des Unionsrechts SEITE 2 IOER WU I. Entwicklung der EU SEITE 3 I. Entwicklung der EU – Ausgangssituation „Wir müssen etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa schaffen. Nur so können Hunderte von Millionen schwer arbeitender Menschen wieder die einfachen Freuden und Hoffnungen zurückgewinnen, die das Leben lebenswert machen.... Der erste Schritt bei der Neugründung der europäischen Familie muss eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland sein.... Die Struktur der Vereinigten Staaten von Europa, wenn sie gut und echt errichtet wird, muss so sein, dass die materielle Stärke eines einzelnen Staates von weniger großer Bedeutung ist. Kleine Nationen zählen ebensoviel wie große und erwerben ihre Ehre durch ihren Beitrag zur gemeinsamen Sache.... Gegenwärtig haben wir eine Atempause. Die Geschütze schweigen. Der Kampf hat aufgehört, aber nicht die Gefahren. Wenn es uns gelingen soll, die Vereinigten Staaten von Europa, oder welchen Namen sie auch immer tragen werden, zu errichten, müssen wir jetzt damit beginnen.“ IOER WU SEITE 4 I. Entwicklung der EU – Erste Schritte ▪ 1948: Gründung der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECC). Seit 1961 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ▪ Mai 1949: Gründung des Europarats. Schaffung einer engeren Verbindung zwischen den Mitgliedern. Schaffung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ▪ 1949: Gründung der NATO ▪ 1951 (1952): Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) ▪ Erstmalige Zusammenarbeit von Staaten in einem Bereich, der bisher stets den Staaten selbst vorbehalten war. ▪ Mitglieder: Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien, Luxemburg, Niederlande SEITE 5 IOER WU I. Entwicklung der EU – Erste Schritte ▪ 1955: Konferenz von Messina „Die Regierungen […] halten dafür, daß der Augenblick gekommen ist, eine neue Phase auf dem Wege zum Bau Europas einzuleiten. Sie sind der Ansicht, dass dies vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet zu erfolgen hat. Sie erachten es als notwendig, die Schaffung eines Vereinigten Europas durch den Ausbau der gemeinsamen Institutionen, durch die schrittweise Fusion der nationalen Wirtschaften, durch die Schaffung eines gemeinsamen Markts und durch die schrittweise Koordination ihrer Sozialpolitik fortzusetzen. […].“ ▪ 1957 (1958): Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG bzw EURATOM) durch die „Römischen Verträge“ ▪ „Grundlage für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“ ▪ „durch gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Länder zu sichern, indem sie die Europa trennenden Schranken beseitigen“ ▪ „Vorsatz, die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker als wesentliches Ziel anzustreben“ SEITE 6 IOER WU I. Entwicklung der EU – Erweiterung ▪ 1992 (1993): Vertrag von Maastricht Europäische Union ▪ Gründung der EU 1. Säule 2. Säule 3. Säule ▪ Einführung von GASP und PJZ (Europäische (Gemeinsame (Polizeiliche und Gemeinschaften) Außen- und justizielle ▪ EWG, Euratom und EGKS EGV: Sicherheitspolitik) Zusammenarbeit) wurden unter das Zusammenarbeit Außenpolitik: Kampf gegen im verschiedenen Friedenserhaltung organisiertes „gemeinsame Dach“ der EU Bereichen Gemeinsame Verbrechen (Agrarpolitik, Positionen Polizeiliche gestellt Wirtschafts- und Demokratie Währungsunion, Zusammenarbeit Menschenrechte Einwanderungs- ▪ EWG wurde in Europäische Verbraucherschutz Sicherheitspolitik und Asylpolitik etc.) Kampf gegen Gemeinschaft (EG) Euratom: Terrorismus Zusammenarbeit Gemeinsames unbenannt im Bereich der Vorgehen Kernenergie EGKS SEITE 7 IOER WU I. Entwicklung der EU – Erweiterung ▪ 1997 (1999): Vertrag von Amsterdam ▪ Anpassung der EU an bevorstehende Osterweiterung ▪ Einfluss des Europäischen Parlaments wurde ausgeweitet ▪ Politikbereiche aus der 3. Säule wurden in die 1. Säule übernommen ▪ 2001 (2003): Vertrag von Nizza ▪ Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen ▪ weitere institutionelle Änderungen SEITE 8 IOER WU I. Entwicklung – aktueller Stand 2007 (2009): Vertrag von Lissabon GASP ▪ Säulenstruktur wurde aufgegeben EAG ▪ Wichtigste Neuerungen: ▪ EU erhielt Rechtspersönlichkeit EU ▪ Europäisches Parlament bekam neue Befugnisse ▪ Grundrechtecharta (GRC) wurde rechtsverbindlich ▪ Kompetenzverteilung wurde explizit festgeschrieben ▪ Neue Gesetzgebungsbefugnisse für die EU (zB im Bereich Sicherheit, Justiz) ▪ Einführung der Bürgerinitiative ▪ Möglichkeit des Austritts wurde explizit verankert SEITE 9 IOER WU I. Entwicklung der EU – Erweiterung Vereinigtes Königreich verließ am 31.01.2020 die EU SEITE 10 IOER WU I. Erweiterungen und Brexit Ständige Erweiterung der EU Letzter Neubeitritt 2013: Kroatien 2016 -> 2021 Großbritannien tritt aus der EU aus, wird ein Drittstaat SEITE 11 IOER WU I. EU-Erweiterung? Neu: Ukraine, Moldau und Georgien Mitgliedstaaten Beitrittskandidaten mit Verhandlungen Beitrittskandidaten Beitrittskandidaten mit angehaltenen Verhandlungen Potenzielle Beitrittskandidaten SEITE 12 IOER WU II. Europäisches Primärrecht SEITE 13 II. Europäisches Primärrecht – EUV ▪ Vertrag über die Europäische Union (EUV) ▪ enthält Grundlagenbestimmungen über Werte, Ziele, Aufgaben, Ermächtigungen, Organe der EU etc. ▪ Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) Beispiele: Art 2 EUV: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte [...].“ Art 3 Abs 1 EUV: „Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.“ Art 4 Abs 1 EUV: „Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben gemäß Artikel 5 bei den Mitgliedstaaten.“ Art 13 EUV: „[...] Die Organe der EU sind [...].“ SEITE 14 IOER WU II. Europäisches Primärrecht – AEUV ▪ Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ▪ enthält institutionelle (Organe/Verfahren) und materielle (Zuständigkeiten/Kompetenzen) Ausführungsbestimmungen Beispiele: Art 3 Abs 1 AEUV: „Die Union hat ausschließliche Zuständigkeit in folgenden Bereichen: a) Zollunion, b)Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln...“ Art 26 Abs 1 AEUV „Die Union erlässt die erforderlichen Maßnahmen, um nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verträge den Binnenmarkt zu verwirklichen beziehungsweise dessen Funktionieren zu gewährleisten.“ Art 84 AEUV: „Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren […] Maßnahmen festlegen […].“ SEITE 15 IOER WU II. Europäisches Primärrecht – Allgemeine Rechtsgrundsätze und Grundrechtecharta ▪ Art 6 Abs 1 EUV: „Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte […] niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.“ ▪ Art 1 GRC: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ ▪ Art 20 GRC: „Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich.“ ▪ Art 6 Abs 3 EUV: „Die Grundrechte […] sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.“ ▪ Quelle des Völkerrechts ▪ Rechtsgrundsätze können aus den Verfassungen der Mitgliedstaaten durch wertende Rechtsvergleichung abgleitet werden. ▪ Aber auch bspw Entscheidungen des EuGH SEITE 16 IOER WU II. Supranationalität ▪ Unionsrecht ist überstaatliches Recht („supranational“) ▪ kein nationales Recht ▪ kein Völkerrecht ▪ Charakteristiken: ▪ Staaten können gegen ihren Willen gebunden werden (Mehrheitsbeschlüsse) → ▪ Ausnahme GASP, hier grundsätzlich Einstimmigkeit ▪ Durchgriffswirkung des Unionsrechts (unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit) ▪ Rechtsakte können sich an Staaten und unmittelbar an Bürger:innen richten ▪ Vorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht ▪ Unabhängige Organe (zB Europäische Kommission) ▪ Eigene, obligatorische Gerichtsbarkeit (Gerichtshof der EU) ausschließlicher Zuständigkeit SEITE 17 IOER WU III. Institutionen der EU SEITE 18 III. Institutionen der EU EUROPÄISCHER RAT RAT DER EUROPÄISCHES EUROPÄISCHE EUROPÄISCHEN PARLAMENT KOMMISSION UNION GERICHTSHOF DER EUROPÄISCHE EUROPÄISCHER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK RECHNUNGSHOF UNION SEITE 19 IOER WU III. Europäischer Rat ▪ Oberstes politisches Steuerungsorgan der EU ▪ Mitglieder: ▪ Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten ▪ Präsident:in des Europäischen Rates ▪ Präsident:in der Kommission ▪ Aufgaben: ▪ Bestimmung der allgemeinen politischen Zielvorstellungen und politischen Prioritäten der EU ▪ Festlegung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Hoher Vertreter der EU für die GASP) ▪ Ernennt bzw nominiert Kandidat:innen (Hohen Vertreter der EU für die GASP, Kommission) ▪ Kein Legislativorgan SEITE 20 IOER WU III. Rat der EU ▪ Zentrale Entscheidungsorgan der EU ▪ Gesetzgebungsorgan der EU (idR gemeinsam mit Europäischem Parlament) ▪ Mitglieder sind jeweilige Fachminister:innen der nationalen Regierungen → „Ministerrat“ (10 verschiedene Besetzungen möglich, bspw Außenminister:in, Wirtschaftsminister:in, Umweltminister:in etc.) ▪ Halbjährlich wechselnder Vorsitz (dzt: Polen/ 2. Halbjahr 2025: Dänemark/ 1. Halbjahr 2026: Zypern) ▪ Aufgaben: ▪ Verhandlung, Abstimmung und Verabschiedung von Rechtsakten ▪ Koordinierung politischer Maßnahmen ▪ Abschluss internationaler Übereinkünfte ▪ Genehmigung des Haushaltsplans der EU (gemeinsam mit EP) ▪ Beschlussfassung (doppelt-qualifizierte Mehrheit) ▪ Mind 55% der Mitglieder und mind 65% der Bevölkerung der EU ▪ Blockademinderheit aus 4 MS möglich SEITE 21 IOER WU III. Europäisches Parlament ▪ Bürger:innen der MS der EU wählen direkt das EP ▪ 720 direkt gewählte Abgeordnete (AT 20) ▪ Abgeordnete wählen Präsident:in ▪ Aufgaben: ▪ Gesetzgebungsorgan der EU (idR gemeinsam mit Rat der EU) ▪ Kontrolle aller EU-Organe (insb Kommission) ▪ Wahl der vom Europäischen Rat vorgeschlagenen Präsident:in der EK ▪ Haushaltsplanung (gemeinsam mit Rat) SEITE 22 IOER WU III. Europäische Kommission ▪ „Hüterin der Verträge“ und „Motor der Integration“ ▪ Unabhängiges Organ der EU ▪ Rechtsetzungsorgan ▪ 27 Kommissionmitglieder, Präsident:in ▪ Aufgaben: ▪ Ausschließliches Handeln im Interesse der EU ▪ Vertretung der EU auf internationaler Ebene ▪ Durchsetzung des Unionsrechts (gemeinsam mit dem Gerichtshof der EU) ▪ Vergabe von Finanzmitteln ▪ Erlassung von Rechtsvorschriften in zugewiesenen Bereichen SEITE 23 IOER WU Übungsfall Die sogenannte „Frühstücks-Verordnung“ der Europäischen Union verbietet es, die aus Marillen erzeugte Konfitüre unter der Verkehrsbezeichnung „Marmelade“ zu verkaufen. Nur Erzeugnisse aus Orangen oder Zitronen dürfen so bezeichnet werden. Der österreichischen Landwirtschaftskammer ist diese Verordnung schon lange ein Dorn im Auge. Da die Europäische Kommission derzeit an einer Neufassung der genannten Verordnung arbeitet, kontaktiert die Landwirtschaftskammer die zuständige Kommissarin und regt eine entsprechende Änderung an. Welche der folgenden Aussagen ist/sind richtig? Markieren Sie Zutreffendes! a) Die Europäische Kommission hat in der Regel die alleinige Kompetenz, um Vorschläge für Rechtsakte auf europäischer Ebene vorzulegen. b) Die Europäische Kommission handelt als Kollegium und ist dabei von den Mitgliedstaaten unabhängig. c) Die Europäische Kommission besteht aus zehn Mitgliedern, die von den zehn bevölkerungsreichsten Mitgliedstaaten entsandt werden. d) Die Präsidentin der Europäischen Kommission wird vom Europäischen Parlament vorgeschlagen und vom Rat der EU gewählt. e) Die „Frühstücks-Verordnung“ zählt zum primären Unionsrecht. SEITE 24 IOER WU Übungsfall Die sogenannte „Frühstücks-Verordnung“ der Europäischen Union verbietet es, die aus Marillen erzeugte Konfitüre unter der Verkehrsbezeichnung „Marmelade“ zu verkaufen. Nur Erzeugnisse aus Orangen oder Zitronen dürfen so bezeichnet werden. Der österreichischen Landwirtschaftskammer ist diese Verordnung schon lange ein Dorn im Auge. Da die Europäische Kommission derzeit an einer Neufassung der genannten Verordnung arbeitet, kontaktiert die Landwirtschaftskammer die zuständige Kommissarin und regt eine entsprechende Änderung an. Welche der folgenden Aussagen ist/sind richtig? Markieren Sie Zutreffendes! a) Die Europäische Kommission hat in der Regel die alleinige Kompetenz, um Vorschläge für Rechtsakte auf europäischer Ebene vorzulegen. b) Die Europäische Kommission handelt als Kollegium und ist dabei von den Mitgliedstaaten unabhängig. c) Die Europäische Kommission besteht aus zehn Mitgliedern, die von den zehn bevölkerungsreichsten Mitgliedstaaten entsandt werden. d) Die Präsidentin der Europäischen Kommission wird vom Europäischen Parlament vorgeschlagen und vom Rat der EU gewählt. e) Die „Frühstücks-Verordnung“ zählt zum primären Unionsrecht. SEITE 25 IOER WU III. Gerichtshof der Europäischen Union ▪ Europäischer Gerichtshof (EuGH) ▪ ein/e Richter:in aus jedem EU-Land (dazu 11 Generalanwält:innen) für jeweils 6 Jahre ▪ Aus AT Andreas Kumin (seit 2019) ▪ Europäisches Gericht (EuG) ▪ zwei Richter:innen aus jedem EU-Land für 6 Jahre ▪ Aus AT dzt Gerhard Hesse (seit 2019) und Elisabeth Tichy-Fisslberger (seit 2022) ▪ Aufgaben EuGH ▪ Auslegung des Unionsrechts (Auslegungsmonopol) ▪ Rechtmäßigkeitskontrolle von Unionsrecht (Verwerfungsmonopol) ▪ Durchsetzung von Unionsrecht (Vertragsverletzung) ▪ Gewährleistung einer funktionierenden EU ▪ Sanktionsmaßnahmen gegen EU-Institutionen SEITE 26 IOER WU III. Institutionen – Übersicht Rechtsakte Kommission Europäischer Rat der EU Ausschüsse Europ. Investitionsbank Rat der Europäischen Union Europ. (Ministerrat) Zentralbank Europäisches Parlament Europ. Gerichtshof der EU Rechnungshof nationale Parlamente nationale Regierungen Staats- und Regierungs- chefs Bürger:innen IV. Rechtsetzung in der EU SEITE 28 IV. Rechtsetzung in der EU – Kompetenzen ▪ „Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“ ▪ Die EU wird nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die ihr durch die Mitgliedstaaten übertragen wurden; Kompetenz-Kompetenz der MS ▪ Teilweise weitgehende Befugnisse (Lückenschließungsklausel [Art 352 AEUV], Binnenmarktkompetenz [Art 114 AEUV], weitere Harmonisierungskompetenzen) ▪ ZB: Binnenmarkt, Zollunion, Währungspolitik, gemeinsame Handelspolitik Alle weiteren Kompetenzen verbleiben bei den Mitgliedstaaten ▪ „Subsidiaritätsprinzip“ ▪ „Verhältnismäßigkeitsprinzip“ SEITE 30 IOER WU IV. Rechtsetzung in der EU – Kompetenzen Ausschließliche Geteilte Ausschließliche Zuständigkeit EU Zuständigkeit Zuständigkeit MS Zollunion Bildung Soziales Umwelt Zivilschutz Wettbewerbsrecht Verbraucherschutz Sport Währungspolitik Binnenmarkt Kultur Energie Jugend Handelspolitik Steuern SEITE 31 IOER WU IV. Rechtsetzung in der EU – Rechtsakte ▪ Sekundär- und Tertiärrecht Primärrecht (abgeleitetes Unionsrecht) Sekundärrecht ▪ Primärrecht als Grundlage Tertiärrecht ▪ Art 288 AEUV: „Für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union nehmen die Organe Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen an.“ SEITE 33 IOER WU IV. Rechtsetzung in der EU – Rechtsakttypen Rechtsakt Geltung Verordnung (verbindlich) gilt unmittelbar und allgemein in den MS (keine Umsetzung notwendig) dient der Vereinheitlichung richtet sich an Bürger:innen Richtlinie (verbindlich) richtet sich an Mitgliedstaat nicht unmittelbar anwendbar = Umsetzung Ausnahme: nicht fristgerecht umgesetzte Richtlinie kann ausnahmsweise im Verhältnis Staat Bürger:innen Wirkungen entfalten Beschluss (verbindlich) Individuell-konkrete und generell-abstrakte Beschlüsse Empfehlung, Stellungnahme Empfehlungen können nur von Rat, Kommission (unverbindlich) und EZB abgegeben werden trotz Unverbindlichkeit von nationalen Behörden zu berücksichtigen Stellungnahmen können von allen Unionsorganen abgegeben werden SEITE 34 IOER WU IV. Rechtsetzung in der EU – Rechtsakte (Beispiele) SEITE 35 IOER WU IV. Rechtsetzung in der EU – Rechtsakte (Beispiele) Umsetzung in Österreich uA im Konsumentenschutzgesetz SEITE 36 IOER WU IV. Rechtsetzung in der EU – Rechtsakte (Beispiele) SEITE 37 IOER WU V. Gesetzgebungsverfahren SEITE 38 V. Gesetzgebungsverfahren ▪ Ordentliches Gesetzgebungsverfahren ▪ Rat und Parlament beschließen gemeinsam einen Rechtsakt (VO, RL, Beschluss) auf Vorschlag der Kommission. ▪ Besonderes Gesetzgebungsverfahren ▪ Nur in primärrechtlich vorgesehenen Fällen (zB Vorkehrungen gegen Diskriminierung [Art 19 AEUV], Harmonisierung der Umsatzsteuer [Art 113 AEUV]) ▪ Rat/Parlament entscheidet nach Anhörung/Zustimmung von Parlament/Rat ▪ Initiativrecht steht idR der Kommission zu SEITE 39 IOER WU V. Gesetzgebungsverfahren Rechts Verordnung Richtlinie Kommission akt Beschluss (Vorschlag) Abgelehnt Rat der EU Vermittlungsausschuss einfache Mehrheit der EU Parlament (2. Lesung) abgegebenen Stimmen (1. Lesung) Änderungsvorschlag Änderungsvorschlag Qualifizierte Rat der EU EU Parlament Mehrheit Parl. Rat (1. Lesung) (2. Lesung) Rechtsakt Rechtsakt Rechtsakt Rechtsakt Rechtsakt V. Rechtsakte ohne Gesetzgebungscharakter ▪ Delegierte Rechtsakte/Durchführungsrechtsakte Primärrecht ▪ Kompetenz kann Kommission durch VO, RL oder Beschluss Sekundärrecht übertragen werden ▪ Kommission kann auf dieser Basis delegierte Richtlinien, Tertiärrecht Verordnungen oder Beschlüsse erlassen. ▪ Es dürfen nur Ergänzungen oder Änderungen „nicht wesentlicher“ Vorschriften vorgenommen werden. ▪ Durchführungsrechtsakte ▪ einheitliche Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union ▪ Vorteil: Umgehung des komplexen ordentlichen Verfahrens; zügige Anpassung von Sekundärrechtsakten möglich ▪ Nur Rechtsakte, keine Gesetzgebungsakte! SEITE 41 IOER WU V. Rechtsakte ohne Gesetzgebungscharakter – Beispiele SEITE 42 IOER WU V. Inkrafttreten von Rechtsakten ▪ Inkrafttreten durch Kundmachung im (elektronischen) Amtsblatt der EU ▪ Verschiedene Teile: ▪ L (legislation, Rechtsetzung) ▪ (del) Verordnungen ▪ (del) Richtlinien ▪ Beschlüsse ▪ C (communications, Mitteilungen) ▪ Empfehlungen ▪ Stellungnahmen ▪ Berichte etc. ▪ grundsätzlich Inkrafttreten am 20. Tag nach Veröffentlichung SEITE 43 IOER WU V. Übersicht – Entstehen eines Rechtsaktes Initiative Kommission - Ordentliches Gesetzgebungsverfahren (Rat und Parlament) Beschlussfassung - Besondere Gesetzgebungsverfahren (Rat oder Parlament) - sonstige Rechtssetzungsverfahren Kundmachung Amtsblatt der EU SEITE 44 IOER WU V. Vollzug von Unionsrechtsakten Mitgliedstaatlicher Vollzug: Direkter Vollzug In den überwiegenden Fällen IdR nur bei ausschließlichen durch nationale Kompetenzen Verwaltungsbehörden (bsp BH, idR Vollzug durch Kommission Magistrat, etc) und Gerichte Eigenes Verfahrensrecht wird Nationales Verfahrensrecht wird angewendet. angewendet (unter Beachtung von Bsp: Kommission verhängt eine Effektivitäts- und Äquivalenzprinzip). Geldbuße gegen ein Unternehmen wegen Bsp: Nationale Behörde stellt EU- eines Kartellverstoßes. Bürger:in eine Gewerbeberechtigung aus. SEITE 45 IOER WU VI. Charakteristika des Unionsrechts SEITE 46 VI. Charakteristika – autonome und unmittelbare Geltung ▪ Maßgebende Entscheidung des EuGH Rs Costa/E.N.E.L (1964) ▪ Unionsrecht stellt eine eigenständige (autonome) Rechtsordnung dar ▪ Gilt als eigenes Recht in den Mitgliedstaaten (weder Bundes- noch Landesrecht) ▪ Ist von den mitgliedstaatlichen Organen wie nationales Recht anzuwenden ▪ eigenes Begriffsverständnis (unabhängig von Mitgliedstaaten) ▪ Unionsrecht gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten ▪ Unionsrecht kann sich an Einzelpersonen richten (vgl Verordnung) ▪ Es ist grundsätzlich keine Umsetzung notwendig SEITE 47 IOER WU VI. Charakteristika – unmittelbare Anwendbarkeit und Anwendungsvorrang ▪ Unmittelbare Anwendbarkeit ▪ Maßgebliche Entscheidung des EuGH Rs Van Gend & Loos (1963) ▪ Unionsrecht verleiht den Bürger:innen unmittelbar Rechte und Pflichten ▪ Diese können vor den nationalen Behörden durchgesetzt werden ▪ Unmittelbar anwendbar sind: ▪ Grundfreiheiten, Freizügigkeitsrecht, Diskriminierungsverbot, ▪ Verordnungen, ▪ uU Richtlinienbestimmungen ▪ Anwendungsvorrang ▪ Im Konfliktfall zwischen nationalem Recht und Unionsrecht ▪ Unionsrecht hat Vorrang vor nationalem Recht (auch vor Verfassungsrecht) ▪ Dem Unionsrecht widersprechendes Recht darf nicht angewendet werden (bleibt allerdings in Kraft bis zur Aufhebung durch ein nationales Gericht oder durch den nationalen Gesetzgeber) SEITE 48 IOER WU Stufenbau der Rechtsordnung Grundprinzipien Unionsrecht Bundesverfassungsrecht Primärrecht Sekundärrecht Bundesgesetz Landesverfassungen Verordnung Landesgesetz Bescheid, Urteil, Verordnung AuvBZ Bescheid, Urteil, AuvBZ Weitere Fragen …? Mag. Irene Kristler Universitätsassistentin Prae Doc Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht (IOER) www.wu.ac.at/ioer Gebäude D3, 3. OG WU - Wirtschaftsuniversität Wien Postal address: Welthandelsplatz 1, Gebäude D3, 1020 Wien, Austria Email: [email protected] SEITE 50 Fusszeile