Allgemeine Psychopathologie PDF
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Summary
This document provides an overview of general psychopathology, encompassing various aspects of altered states of consciousness and related concepts. It details different types of perceptual disturbances and their characteristics.
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# Heilpraktiker-Prüfungstrainer Psychotherapie ## 20.05.24, 14:27 ## Spicker ### Allgemeine Psychopathologie #### Bewusstseinsstörungen Ein Mensch ist bewusstseinsklar, wenn er vollständig wach (Vigilanz) ist und auf seine Umgebung adäquat reagieren kann (reflektierendes Bewusstsein). - **Qual...
# Heilpraktiker-Prüfungstrainer Psychotherapie ## 20.05.24, 14:27 ## Spicker ### Allgemeine Psychopathologie #### Bewusstseinsstörungen Ein Mensch ist bewusstseinsklar, wenn er vollständig wach (Vigilanz) ist und auf seine Umgebung adäquat reagieren kann (reflektierendes Bewusstsein). - **Qualitative Bewusstseinsstörungen (Bewusstseinsveränderungen):** Störungen der Fähigkeit, verschiedene Aspekte der eigenen Person und der Umwelt zu verstehen, sie sinnvoll miteinander zu verbinden sowie sich entsprechend mitzuteilen und zu handeln: - Bewusstseinstrübung (z. B. im Delir): unzureichende Klarheit von Denken und Handeln - Bewusstseinseinengung (z. B. bei akuter Belastungsreaktion): Einengung der Denkinhalte und Handlungsweisen, reduzierte Reaktion auf Außenreize bei weitgehend erhaltener Handlungsfähigkeit - Bewusstseinsverschiebung oder -erweiterung (z. B. im Halluzinogenrausch): gesteigerte, intensivierte Wahrnehmung, vergrößerter Bewusstseinsraum, ungewöhnliche Wachheit - Verwirrtheit (Amentia): schwere Denkverworrenheit mit allgemeiner Desorientierung. Halluzinationen, Wahn, ängstlich-ratloser und erstaunter Stimmung, u.a. mit Störungen von Merkfähigkeit und Orientierung; unklare Abgrenzung vom Delir - **Quantitative Bewusstseinsstörungen (Bewusstseinsverminderungen, Vigilanzstörungen):** - Benommenheit: Die Betroffenen sind stark verlangsamt und können Informationen nur eingeschränkt aufnehmen und verarbeiten. - Somnolenz: Die Betroffenen sind abnorm schläfrig, aber leicht weckbar und können einfache Aufgaben (z.B. Augenöffnen) durchführen. - Sopor: Die Betroffenen schlafen tief und sind nur durch starke (Schmerz-)Reize kurzfristig weckbar. - Koma: Die Betroffenen sind bewusstlos und nicht weckbar. #### Erste Hilfe bei Bewusstlosigkeit: - Prüfen Sie den Bewusstseinszustand durch Ansprechen des Betroffenen und Setzen eines Schmerzreizes. - Falls der Betroffene nicht reagiert, ist er bewusstlos. - Kontrollieren Sie nun die Atmung: - Der Bewusstlose atmet normal: Sie bringen ihn in stabile Seitenlage, bleiben bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes bei ihm und kontrollieren regelmäßig seinen Zustand. - Der Bewusstlose atmet nicht normal: Sie beginnen mit einer kardiopulmonalen Reanimation mit Beatmungen und Herzdruckmassagen im Wechsel, im Verhältnis 30:2. - Rufen Sie um Hilfe und setzen Sie einen Notruf ab (112). #### Sinnestäuschungen und Wahrnehmungsstörungen Halluzinationen sind Sinneswahrnehmungen ohne adäquaten Außenreiz, die – bei aufgehobener Realitätskontrolle – für reale Sinneseindrücke gehalten werden und z.B. bei schwerer manischer Episode und Schizophrenie vorkommen, aber auch organische Ursachen (z.B. Tumoren im Hirnareal für Geruch → olfaktorische Halluzinationen) haben können: Das bedeutet, dass man nicht direkt aus dem Vorhandensein einer Halluzination auf eine Psychose schließen kann! Denken Sie immer daran, explizit nach Halluzinationen zu fragen! - **Optische Halluzinationen:** z.B. Wahrnehmung von Lichtblitzen, Farben, Gegenständen, Personen oder Szenen - **Akustische Halluzinationen** (z.B. bei Schizophrenie, Alkoholhalluzinose oder Alkoholentzugsdelir): - ungeformte Halluzinationen (Akoasmen): z.B. Rauschen, Knallen, Kratzen (beachte: Tinnitus ist keine akustische Halluzination, sondern eine organisch bedingte Innenohrstörung!) - geformte akustische Halluzinationen: z.B. Stimmen - **Olfaktorische und gustatorische Halluzinationen:** häufig ekelerregende Gerüche und Geschmäcke - **Taktile Halluzinationen:** irreale Wahrnehmungen im Bereich von Haut und Schleimhäuten - **Zönästhesien:** oft anfallsartig oder phasenhaft auftretende, abstruse Leibgefühlsstörungen und körperliche Missempfindungen, z.B. Bewegungs-, Druck-, Taubheits- und Steifigkeitsgefühle, Temperaturveränderungen, Schmerzen oder Raumsinnesstörungen (Achtung: sehr schwierige differenzialdiagnostische Abgrenzung von dissoziativen Symptomen) - **Leibhalluzinationen (Körperhalluzinationen, zönästhetische Halluzinationen):** ähnlich wie Zönästhesien, aber als „von außen gemacht“ erlebt (Beispiel: „Mein Nachbar elektrisiert meine Hoden"); relativ typisch für Schizophrenie - **Hypnagoge Halluzinationen:** traumartige Bilder, die ohne erkennbare Auslöser kurz vor dem Einschlafen auftreten (auch bei Gesunden) #### Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Wahrnehmungsstörungen - **Halluzination:** Wahrnehmung von etwas nicht Vorhandenem - **Illusion:** korrekte Wahrnehmung, aber falsches Erkennen - **Wahnwahrnehmung:** korrekte Wahrnehmung, korrektes Erkennen, aber wahnhafte Umdeutung #### Metamorphopsien Als Metamorphopsien werden veränderte Wahrnehmungen der Intensität und Qualität von Gegenständen oder Farben bezeichnet. Zu den Ursachen zählen z.B. Intoxikationen (z.B. Halluzinogene, Digitalis), Netzhauterkrankungen oder Übermüdung: - **Mikropsie bzw. Makropsie:** verkleinerte bzw. vergrößerte Wahrnehmung der Umgebung - **Dysmorphopsie:** teilweise verzerrte Wahrnehmung - **Teleopsie:** Gegenstände erscheinen weiter entfernt als in der Realität #### Pareidolie Pareidolie bezeichnet ein zusätzliches Hineinsehen von Nichtvorhandenem in tatsächliche Wahrnehmungen, im Sinne einer „Anreicherung“ (z.B.: „Die Wolkenformationen sagen mir die Zukunft voraus“). #### Antriebsstörungen Antrieb bezeichnet die weitgehend willensunabhängige Kraft, die Tempo, Intensität und Ausdauer der psychischen und motorischen Bewegungen steuert: - **Antriebsmangel bzw. -schwäche (verminderter Antrieb):** Die Patient*innen fühlen sich träge und energielos, können aber ihre Aktivitäten durch Willensanstrengung aufrechterhalten (z.B. bei depressiver Episode, Hypothyreose oder schizophrenes Residuum). - **Antriebshemmung:** Die Patient*innen fühlen eine subjektive Verminderung der Tatkraft („Schwung", „Lebendigkeit“), die sie durch Willensanstrengung nicht steigern können (z.B. bei depressiver Episode). - **Gesteigerter Antrieb:** Die Patient*innen verspüren ein subjektives Gefühl von hoher Aktivität, Tatkräftigkeit und „Lebendigkeit“ (z.B. bei manischer Episode, Einnahme von Stimulanzien) oder auch Rastlosigkeit und Umtriebigkeit (z.B. bei agitierter Depression). Die Maximalform (v.a. bei manischer Episode) ist die Antriebsenthemmung, ein Verlust der Selbstkontrollfähigkeit und Aggressionshemmung mit erhöhter Impulsivität, Ideenflucht und Logorrhö. #### Störungen der Affektivität Bei den Betroffenen sind die Stimmungslage (mittelfristig anhaltender Gemütszustand), die Affekte (kurz dauernde Gefühlsausbrüche) und das Gefühlsleben (einzelne Emotionen) verändert: - **Affektverarmung (eingeschränktes Gefühlsspektrum):** Die Betroffenen sind gleichgültig, teilnahmslos und unbeteiligt und zeigen nur wenige, sehr dürftige Affekte. - **Affektverflachung bzw. Affektstarre (Abnahme bzw. Verlust der emotionalen Schwingungsfähigkeit):** weitgehende Unabhängigkeit der Stimmungslage von äußeren Reizen - **Anhedonie:** Interessens -, Freud - und Lustlosigkeit bis hin zum für schwere depressive Episoden typischen „Gefühl der Gefühllosigkeit“, einer als qualvoll erlebten Gefühlsleere mit Verlust der affektiven Erlebnisfähigkeit - **Euphorie:** situationsinadäquate Steigerung von Wohlbefinden und Vitalgefühl - **Dysphorie (missmutige Verstimmtheit):** situationsinadäquat schlechte Laune und Verstimmtheit - **Gereiztheit:** Tendenz zu aggressiv getönten Affektdurchbrüchen - **Affektlabilität:** ungewöhnlich rasche Stimmungswechsel - **Affektinkontinenz:** mangelnde Beherrschung der Affektäußerungen - **Läppischer Affekt:** leere, „nervige“, situationsinadäquate Heiterkeit - **Ambivalenz:** quälendes Nebeneinander von einander widersprechenden Gefühlen, Wünschen und Intentionen - **Parathymie (inadäquater Affekt, v.a. bei [hebephrener] Schizophrenie und schweren psychischen Ausnahmezuständen):** Nichtzusammenpassen der Inhalte von Gedanken bzw. Erlebnisinhalt und Affekt bzw. der offensichtlichen Stimmungslage (z.B.: Erzählen von Witzen in einer traurigen Situation) - **Störung der Vitalgefühle (Verlust der Lebendigkeit und Spannkraft):** subjektives Gefühl von Kraftlosigkeit, Müdigkeit und Ermattung #### Formale Denkstörungen Bei formalen Denkstörungen sind die Geschwindigkeit, die Ausdrucksfähigkeit, der logische Zusammenhang oder die Schlüssigkeit der Gedanken bzw. Worte gestört (Wie denkt der Betroffene?): - **Denkverlangsamung:** Das Denken ist objektiv verlangsamt, der Gedankenfluss der Betroffenen ist schleppend, Gespräche verlaufen zäh. - **Denkhemmung:** Das Denken wird subjektiv als verlangsamt und einfallsarm empfunden (wie „gegen einen inneren Widerstand“). - **Grübeln:** Die Gedanken der Betroffenen kreisen ständig um die gleichen, häufig unangenehmen Inhalte, ohne dabei zu einer Lösung zu kommen. - **Umständliches Denken:** Das Denken der Betroffenen ist weitschweifig und verliert sich in unbedeutenden Einzelheiten. Der inhaltliche Zusammenhang bleibt jedoch erhalten. - **Perseveration:** Die Betroffenen bleiben an bestimmten Themen „haften“ und wiederholen Bewegungen oder Wörter beharrlich auch in unpassendem Zusammenhang. Es fällt ihnen schwer, auf andere Denkinhalte umzuschwenken. #### Inhaltliche Denkstörungen Bei inhaltlichen Denkstörungen ist der Inhalt des Gedachten bzw. Gesprochenen sowie häufig auch die Realitätskontrolle gestört (Was denkt der Betroffene?). Der Wahn ist die wichtigste inhaltliche Denkstörung: Er ist charakterisiert durch falsche und mittels vernünftiger Gegenargumente unkorrigierbare Überzeugungen, Gedanken und Vorstellungen (starke, subjektive Wahngewissheit), die mit der Realität unvereinbar sind. In der Folge ist die Realitätsbeurteilung der Betroffenen gestört. Folgende Wahnformen werden beobachtet: - **Wahnstimmung:** Die Betroffenen sind ängstlich, misstrauisch und verunsichert (Wahnspannung, Trema). Sie erleben die Welt als bedrohlich verändert und entwickeln u.U. einen manifesten Wahn, also eine Wahngewissheit mit Wahnwahrnehmungen und -vorstellungen. Die dabei durchschrittenen Stadien werden als Apophänie (Wahrnehmung von scheinbaren Mustern und Beziehungen in bedeutungslosen Einzelheiten), Anastrophe (Überzeugung, dass sich alles um einen selbst dreht), Apokalyptik (Zustände von schwerer Angst und Halluzinationen) und Konsolidierung (Ordnung der Gedanken und Vorstellungen zu einem systematisierten Wahn oder auch Verschwinden der Wahngedanken) bezeichnet. - **Wahnwahrnehmung und wahnhafte Personenverkennung:** Die Betroffenen deuten reale Sinneswahrnehmungen wahnhaft um (z.B. sieht ein Betroffener einen Legostein auf dem Boden, was für ihn bedeutet, dass er abends nicht mit dem Auto fahren solle). - **Wahneinfall, Wahnidee und Wahngedanke:** Die Betroffenen entwickeln plötzlich wahnhafte Vorstellungen, Meinungen und Gedanken. #### Wahnsystem und Wahnarbeit Zwischen einzelnen Wahnelementen entstehen gedankliche, oft kausale Verknüpfungen, mitunter resultieren komplexe Erklärungsmodelle („logischer“ Ausbau des Wahns). - **Erklärungswahn:** Die Betroffenen nutzen wahnhafte Überzeugungen zur Erklärung der eigenen psychotischen Symptome. - **Wahnerinnerung:** wahnhafte Verfälschung der Erinnerungen im Sinne einer Paramnesie Unterschieden werden ein primärer Wahn ohne äußeren Reiz (z.B. Wahnidee) und ein sekundärer Wahn mit äußerem Reiz (z.B. „ich werde von dem Mann da verfolgt“). #### Wahnthemen Je nachdem, ob das Wahnthema zur Affektivität des Betroffenen „passt", werden synthyme (stimmungskongruente) und parathyme (stimmungsinkongruente) Wahnthemen unterschieden. - **Beziehungswahn (wahnhafte Eigenbeziehung, häufig bei wahnhafter Depression):** Belanglose Ereignisse werden als gegen die eigene Person gerichtet erlebt (Beispiel: „Die Ampel wird wegen mir rot!"). - **Liebeswahn (Erotomanie):** Der Betroffene ist überzeugt, von einer anderen, oft höhergestellten Person geliebt zu werden (synthym bei Manie). - **Verfolgungs- und Beeinträchtigungswahn:** Der Betroffene fühlt sich von der Umwelt gekränkt, beleidigt, bedroht oder verfolgt. - **Nihilistischer Wahn:** Der Betroffene negiert die eigene Existenz oder auch das Vorhandensein der gesamten Welt. - **Größenwahn (Megalomanie):** wahnhafte Selbstüberschätzung, z.B. Überzeugung, der Messias zu sein (synthym bei Manie) - **Verarmungswahn:** Der Betroffene ist wahnhaft überzeugt, nicht genug Geld zum Lebensunterhalt zu haben oder es baldigst zu verlieren (synthym bei Depression). - **Schuld- und Versündigungswahn:** Der Betroffene ist wahnhaft überzeugt, Schuld auf sich geladen oder gegen Gesetze verstoßen zu haben (synthym bei Depression). - **Bestehlungswahn:** Der Betroffene ist wahnhaft davon überzeugt, von anderen bestohlen zu werden (relativ häufig bei Morbus Alzheimer). - **Vergiftungswahn:** Der Betroffene ist wahnhaft davon überzeugt, von anderen vergiftet zu werden (relativ häufig bei Morbus Alzheimer). - **Hypochondrischer Wahn:** Der Betroffene ist wahnhaft überzeugt, an einer schweren Erkrankung zu leiden (synthym bei Depression). - **Eifersuchtswahn:** Der Betroffene ist wahnhaft von der Untreue der Partner*in überzeugt, was zu heftigen Auseinandersetzungen bis hin zu Tötungsdelikten führen kann; sehr häufig bei männlichen Alkoholikern (alkoholischer Eifersuchtswahn), aber auch bei Alzheimer-Demenz. **Tipp:** Beziehungswahn hat nichts mit einer Beziehung im Sinne von Partnerschaft zu tun! Eine gleichzeitige Orientierung an der realen und wahnhaften Welt bei psychotischen Patient*innen wird als „doppelte Buchführung“ bezeichnet: Die Betroffenen leben gleichzeitig in der wirklichen und in der wahnhaften Welt, die beiden Welten mit ihren unterschiedlichen Emotionen und Erlebensweisen stehen nebeneinander. Die Erkrankten können sich z.B. gleichzeitig als sich selbst und als eine andere Person empfinden. Dieses Phänomen kommt z.B. während psychotischer Episoden der Schizophrenie vor. #### Weitere inhaltliche Denkstörungen: - **Überwertige Ideen:** Das Denken wird durch nicht-wahnhafte (intakte Realitätskontrolle!), emotional stark besetzte, meist unangenehme Erlebnisse oder Gedanken beherrscht. Eine überwertige Idee kann die Vorstufe eines Wahns sein, kommt aber auch komplett unabhängig von Wahnerleben vor (z.B. „ich bin zu dick" bei Anorexia nervosa). - **Zwänge und Phobien (nicht von allen Autoren als inhaltliche Denkstörungen betrachtet):** Zwangsgedanken wiederholen sich wieder und wieder, werden als unangenehm empfunden, drängen sich den Erkrankten gegen ihren Willen auf und beschäftigen sie übermächtig. Häufig sind diese Gedanken bizarr und rational schwer nachvollziehbar, die Inhalte sind oft bedrohlich oder aggressiv. #### Ich-Störungen Bei Ich-Störungen (Störungen der Meinhaftigkeit) werden seelische Zustände und Vorgänge als von außen gemacht, gesteuert und beeinflusst und nicht zum eigenen Ich gehörig erlebt: Die Ich-Umwelt-Grenze, also die Abgrenzung der eigenen Person gegenüber der Umgebung, ist gestört. Die folgenden, sog. psychotischen Ich-Störungen gelten als relativ typisch für Schizophrenien: - **Gedankenentzug:** Die Betroffenen haben das Gefühl, dass ihnen ihre Gedanken „von außen“ entzogen und weggenommen werden. - **Gedankeneingebung:** Die Betroffenen haben das Gefühl, dass ihnen Gedanken „von außen“ eingegeben werden. - **Gedankenausbreitung bzw. Gedankenlautwerden:** Die Betroffenen sind überzeugt, dass die Umwelt, z.B. der Untersuchende, die eigenen Gedanken „liest" bzw. hört. - **Fremdbeeinflussungserlebnisse:** Die Betroffenen erleben ihre eigenen Gefühle, Empfindungen und Handlungen als von außen „gemacht“ oder beeinflusst. #### Gedankenbeeinflussung und Gedankeneingebung bei einem Patienten mit paranoider Schizophrenie - **Willensbeeinflussung:** Die Betroffenen fühlen sich wie eine Marionette und gesteuert, ihre Willensbildung gehört nicht ihnen selbst, sondern werden von außen übernommen. #### Entfremdungserlebnisse Entfremdungserlebnisse haben viele Ursachen (z.B. akute Belastungsreaktion) und können als eigenständige Störung (Depersonalisations- und Derealisationssyndrom) oder auch bei psychisch Gesunden (z.B. bei Übermüdung) vorkommen: - **Depersonalisation:** Die Betroffenen nehmen das eigene Ich (autopsychische Depersonalisation) oder ihren Körper (autosomatische Depersonalisation) als unwirklich und entfremdet wahr. Ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen erscheinen ihnen „roboterhaft“ und abgespalten. - **Derealisation:** Die Betroffenen empfinden ihre Umgebung als unwirklich, fremdartig und verändert. #### Gedächtnisstörungen Amnesie (Erinnerungslosigkeit) bezeichnet eine zeitlich und inhaltlich begrenzte Erinnerungslücke, meist in Zusammenhang mit einem schädigenden Ereignis. Als Ursachen kommen z.B. ein Schädel-Hirn-Trauma, eine schwere psychosoziale Traumatisierung, ein epileptischer Anfall oder eine Intoxikation in Frage. - **Retrograde Amnesie:** Erinnerungslücke für den Zeitraum vor einem schädigenden Ereignis - **Anterograde Amnesie:** Erinnerungslücke für den Zeitraum nach einem schädigenden Ereignis - **Transitorische (transiente) globale Amnesie:** Der Betroffene zeigt für einen Zeitraum von ≤ 24 Stunden Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen (antero- und retrograde Amnesie), ohne weitere Verhaltensauffälligkeiten oder neurologische Defizite. Er ist dabei wach, kann Routinetätigkeiten ausführen und wiederholt häufig die gleichen Fragen. #### Paramnesien Paramnesien sind Gedächtnistäuschungen, d.h. Trugerinnerungen (u.U. wahnhaft) bei ansonsten unbeeinträchtigter Gedächtnisleistung, z.B. Déjà- bzw. Jamais-vu-Gefühle (vermeintliche Vertrautheit bzw. Fremdheit), Ekmnesien (Vergangenes wird als Gegenwart erlebt), Zeitgitterstörungen (chronologisch falsches Einordnen von Ereignissen), Intrusionen (sich aufdrängende Erinnerungen an ein traumatisches Erlebnis, v.a. bei posttraumatischer Belastungsstörung [PTBS]), Nachhallerinnerungen („Flashbacks“ mit „Wiedererleben“ eines Traumas in mehreren Sinnesmodalitäten, sehr typisch bei posttraumatischer Belastungsstörungen oder Konsumenten von Halluzinogenen) oder Wahnerinnerungen. #### Konfabulation Konfabulation (z. B. bei Korsakow-Syndrom) bezeichnet das Auffüllen von Erinnerungslücken mit (unbewusst!) frei erfundenen, bei mehrmaligem Nachfragen immer wieder anderen Erlebnissen, die von den Betroffenen für reale Erinnerungen gehalten werden. Bei Merkfähigkeitsstörungen können keine neuen Inhalte mehr in das Langzeitgedächtnis überführt werden. Bei Demenzen ist diese Funktion des Gedächtnisses typischerweise als erstes gestört, das Abrufen von Inhalten des Altgedächtnisses bleibt deutlich länger erhalten. #### Katatone Störungen Bei katatonen (psychomotorischen) Störungen sind die durch psychische Vorgänge gesteuerten Bewegungen gestört. Sie werden v.a. bei katatoner Schizophrenie beobachtet, können aber auch bei anderen Störungen vorkommen (z.B. bei schwerer Depression). Die Motorik kann dabei gesteigert (hyperkinetische Symptome) oder reduziert sein (hypokinetische Symptome): - **Hyperkinetische Symptome:** - **Erregungszustände mit motorischer Unruhe und Bewegungsdrang:** Die Betroffenen sind psychomotorisch stark erregt und zeigen eine sinn- und ziellose, ungerichtete, getrieben wirkende Hypermotorik mit erhöhter Impulsivität sowie häufig Störungen von Konzentration, Aufmerksamkeit und Affektivität. Die Maximalform ist der Raptus (Erregungssturm). - **Stereotypien:** Die Betroffenen wiederholen über einen längeren Zeitraum gleichförmig bestimmte Bewegungen (Bewegungsstereotypien) oder sprachliche Äußerungen (Sprachstereotypien), z.B. Verbigerationen (formelhaftes Wiederholen unsinniger Wörter und Sätze). - **Manierismen:** unnatürliche, gekünstelte und posenhafte Bewegungen - **Automatismen:** „automatenhaftes“ Sprechen oder Ausführen von Bewegungen: - Echolalie: automatisches Nachsprechen - Echopraxie: automatisches Nachahmen von Bewegungen - Befehlsautomatie: automatisches Befolgen von Anweisungen - Negativismus: Die Betroffenen machen auf eine Aufforderung hin gar nichts oder das Gegenteil des Verlangten. - **Hypokinetische Symptome:** - **Akinese bzw. Hypokinese:** Bewegungslosigkeit bzw. -mangel - **Stupor (Sperrungszustand):** Die Betroffenen erstarren – bei erhaltenem Bewusstsein – statuenhaft. Sie leiden häufig gleichzeitig unter massiven Ängsten, Halluzinationen oder Wahnideen. Die Sinneswahrnehmungen und entsprechende Reaktionen sind deutlich eingeschränkt. - **Mutismus (pathologisches Schweigen):** Schweigen trotz intaktem Sprechvermögen - **Katalepsie (Haltungsstereotypien):** Die Betroffenen verharren in einmal eingenommenen, z.T. unnatürlichen und unbequemen Körperstellungen. Beim Versuch, diese von außen zu ändern, ist ein zäher, nichtelastischer („wächserner") Widerstand der Extremitätenmuskulatur (Flexibilitas cerea) spürbar. - **Maligne (febrile) Katatonie:** Die Betroffenen sind stuporös und entwickeln eine Hyperthermie mit muskulärer Anspannung, Elektrolyt- und Kreislaufstörungen, Austrocknung und Gefahr des Multiorganversagens. #### Verwechslungsgefahr: Die Kataplexie bezeichnet den sog. Lachschlag bei Narkolepsie (plötzlicher Tonusverlust der Muskulatur beim Lachen). #### Störungen weiterer psychischer Funktionen - **Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen:** Die Betroffenen sind leicht durch äußere und innere Reize ablenkbar und können keine ausdauernde Aufmerksamkeit auf Tätigkeiten, Wahrnehmungen oder Themen richten. - **Auffassungsstörungen:** Die Abstraktionsfähigkeit ist gestört, sodass die Betroffenen einzelne Wahrnehmungsinhalte nicht in einen sinnvollen Zusammenhang bringen und ihre Bedeutung korrekt erfassen können. - **Orientierungsstörungen:** Die Orientierung, also das Wissen über Zeit, Ort, Situation und Person, ist gestört. Solche Störungen sind oft organisch bedingt (z.B. Delirium tremens, Demenz). Meist ist zunächst die zeitliche Orientierung (Welcher Tag ist heute?) gestört, im weiteren Verlauf dann die Orientierung zu Ort und Situation (Wo bin ich?) und zuletzt die Orientierung zur eigenen Person (Wer bin ich?). - **Quantitativ:** Veränderung des Kontaktausmaßes (z.B. Kontaktunfähigkeit im Stupor, Distanzlosigkeit bei Manie) - **Qualitativ:** Veränderung der Kontaktform (z.B. ängstlich oder aggressiv) **Tipp:** Das Symptom „sozialer Rückzug“ ist sehr unspezifisch und kann z.B. auf eine Depression, eine Panikstörung, eine Zwangsstörung, eine beginnende Schizophrenie oder eine demenzielle Entwicklung hinweisen. #### Paraphasien Bei Paraphasien verwechseln die Betroffenen Worte, Silben oder Buchstaben (z.B. bei Demenz, Wernicke-Aphasie, Schizophrenie): - **Phonematische Paraphasie:** Veränderungen der Worte an sich, z.B. Bulme statt Blume. - **Semantische Paraphasie:** Verwendung anderer Worte, wobei das „falsche" Wort mit dem Kontext in Zusammenhang steht, z.B. Birne statt Apfel. #### Semantische Paraphasie Semantische Paraphasie (Wortverwechslung und Fehlbenennung): Der Patient ersetzt den Begriff durch ein sinnverwandtes Wort. © 2009-2024 Georg Thieme Verlag KG