DiF II - VL4

Diagnostik und Förderung bei ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung)

• ADHS ist ein Thema im Rahmen des DiF-II Kurses im Wintersemester 2024/25, unter der Leitung von Prof. Dr. Janin Brandenburg

Kernsymptome der ADHS

• ADHS ist durch drei Hauptsymptombereiche gekennzeichnet: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität
• Unaufmerksamkeit äußert sich durch Ungenauigkeit, Ablenkbarkeit, geringe Ausdauer, Nichtzuhören, Schwierigkeiten, Anweisungen zu befolgen, und Vermeidung von Anstrengung
• Hyperaktivität zeigt sich durch Zappeln, Herumspielen, Aufstehen, exzessives Klettern, Schwierigkeiten ruhig zu spielen und übermäßiges Reden
• Impulsivität führt zum Herausplatzen von Antworten, Schwierigkeiten beim Warten, Unterbrechen anderer und unerwartetem Verhalten
• Die Symptome treten besonders in Situationen auf, die geistige Anstrengung erfordern und wenig lustbetont sind, oder wenn kein Interesse an Themen besteht
• Die Symptome müssen nicht in allen Bereichen des Lebens auftreten, und es sollte keine Pauschalisierung erfolgen

Fallbeispiel: Lukas

• Lukas, 9 Jahre alt, zeigt ADHS-Symptome seit dem Kindergartenalter
• Symptome: Nicht richtiges Zuhören, Leben in seiner eigenen Welt, Trotz, Wut, ständiges Beschäftigtsein, Langeweile, Probleme sich mit einer einzigen Sache zu beschäftigen
• In der Schule hört Lukas nicht richtig zu und nervt die Lehrer und Mitschüler durch ständiges Kippeln und Zappeln
• Zu Hause gibt es Machtkämpfe mit der Mutter wegen Hausaufgaben, und er weigert sich oft, Aufgaben zu erledigen
• Lukas leidet extrem unter der Situation

Bereiche mit deutlichen/massiven Problemen bei ADHS-Kindern

• Sowohl Jungen als auch Mädchen mit ADHS haben ähnliche Problembereiche
• Schule/Kita: 93,2% der Jungen und 92,0% der Mädchen haben Probleme
• Zuhause: 63,0% der Jungen und 61,6% der Mädchen haben Probleme
• Mit Freunden: 58,4% der Jungen und 61,0% der Mädchen haben Probleme
• Freizeit: 52,5% der Jungen und 50,0% der Mädchen haben Probleme
• Es gibt kaum Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen

Hauptprobleme in der Schule bei ADHS-Kindern

• Hohe Ablenkbarkeit mit Flüchtigkeitsfehlern
• Geringe Ausdauer, Schwierigkeiten, normale Arbeitsspannen durchzuhalten
• Geringe Höraufmerksamkeit, Nichtzuhören, Beachten von irrelevanten Dingen
• Geringe Frustrationstoleranz, schnelles Aufgeben
• Defizite im Arbeitsgedächtnis, geringe Merkfähigkeit

Auswirkungen von ADHS auf den Unterricht & die Lehrkraft

• Negativer Einfluss auf das Klassenklima, häufige Konfliktsituationen
• Störungen und Unterbrechungen des Unterrichts
• Unsicherheiten im Umgang mit betroffenen Schülern und deren Eltern
• Druck, den Unterrichtsumfang trotz der Schwierigkeiten zu erfüllen

Auswirkungen von ADHS aus der Sicht des Kindes

• Kinder strengen sich oft an, werden aber durch ihr Verhalten behindert
• Frustration und Entmutigung des Kindes
• Schwierigkeiten, in der Schule mit den Symptomen zurechtzukommen
• Teilweise Überforderung der Bezugspersonen
• Kinder leiden oft unter ihrer Situation

Leidensdruck durch ADHS

• Kinder und Familien leiden unter ADHS
• Kaum bis gar nicht: Kind (4,0%), Familie (1,9%)
• Kaum: Kind (25,3%), Familie (15,5%)
• Deutlich: Kind (44,6%), Familie (48,9%)
• Massiv: Kind (24,7%), Familie (32,7%)
• Keine Angabe: Kind (1,4%), Familie (1,1%)

Klassifikation nach ICD-10

• Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0) bzw. ADHS: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, die situationsübergreifend und beeinträchtigend wirken
• Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1): Zusätzlich eine Störung des Sozialverhaltens
• Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität (F98.8) bzw. ADS: Unaufmerksamkeit, aber die Kriterien für F90.0 sind nicht vollständig erfüllt, und die Betroffenen fallen oft als "Träumer" auf
• Sonstige hyperkinetische Störung (F90.8)

Weitere Kriterien nach ICD-10

• Symptome müssen seit mindestens 6 Monaten bestehen
• Ausprägung der Symptome muss dem Entwicklungsstand unangemessen sein
• Symptome müssen vor dem 7. Lebensjahr auftreten
• Leiden oder Beeinträchtigungen durch die Symptome in mindestens zwei Lebensbereichen
• Deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen

Soft Signs

• Soft Signs sind zusätzliche Anzeichen, die bei ADHS-Betroffenen häufiger vorkommen, aber keine Diagnose erlauben
• Hierzu gehören Feinmotorikprobleme, überschießende Gestik, Stimmungslabilität, Schlafstörungen und Bevorzugung sofortiger kleiner Belohnungen

Frühe Beschreibungen von ADHS-Symptomen

• Bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert gab es Beschreibungen von ADHS-ähnlichen Symptomen, z.B. im "Struwwelpeter" (Zappelphilipp) von Heinrich Hoffmann (1845) und wissenschaftliche Veröffentlichungen von George Still (1902). Die Beschreibung der Symptome ist also nicht neu.

Prävalenz

• Eine Meta-Studie ergab eine gepoolte Prävalenz von 5.29% für ADHS
• Der Anstieg der Diagnosen ist noch kein Beleg für Überdiagnostizierung, es könnte auch eine Unterdiagnostizierung vorliegen.

Prävalenzraten nach Alter

• Laut KiGGS-Studien haben ca. 5% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland eine diagnostizierte ADHS
• Die Prävalenzraten variieren nach Alter: 1.5% im Vorschulalter, 5% im Grundschulalter, 7% bei den 11- bis 13-Jährigen und 6% bei den 14- bis 17-Jährigen

Prävalenzraten nach Geschlecht und Alter

• Jungen sind häufiger von ADHS betroffen als Mädchen

Gründe für die Geschlechterdiskrepanz bei ADHS

• Symptome sind verschieden ausgeprägt
• Es gibt unterschiedliche Ausprägungen in den Kernsymptomen
• Geringere Ausprägung an hyperaktiv-impulsivem Verhalten bei Mädchen
• Der reine unaufmerksame Typus der ADHS ist bei Mädchen häufiger
• Es gibt Unterschiede bei Komorbitäten
• Externalisierende Komorbitäten bei Jungen mit ADHS häufiger
• Internalisierende Komorbitäten bei Mädchen mit ADHS häufiger
• Mädchen mit ADHS sind demnach im Unterricht häufiger still, zurückhaltend und verträumt

Verlauf von ADHS

• Die Intensität der ADHS-Symptome nimmt typischerweise ab, aber ein erheblicher Anteil zeigt im Erwachsenenalter noch Symptome

Erklärungsmodelle: Das biopsychosoziale Modell

• Das biopsychosoziale Modell erklärt ADHS durch eine Kombination aus genetischer Veranlagung, Schädigungen des ZNS, Störungen des Neurotransmitter-Stoffwechsels, exekutiven und motivationalen Funktionen sowie psychosozialen Bedingungen

Das Dual-Pathway Modell von Sonuga-Barke (2002)

• Das Dual-Pathway Modell besagt, dass ADHS auf einer Störung der Selbstkontrolle und einem verkürzten Wartezeit-Belohnungsgradient basiert
• Dies führt zu Schwierigkeiten, Relevantes von Irrelevantem zu trennen und Belohnungen aufzuschieben

Defizite im Arbeitsgedächtnis

• Defizite im Arbeitsgedächtnis führen dazu, dass unwichtige Dinge nicht gefiltert werden können

Der Marshmallow-Test

• Der Marshmallow-Test (Walter Mischel et al., 1989) untersucht die Fähigkeit des Belohnungsaufschubs bei Kindergartenkindern

Wie wird ADHS diagnostiziert?

• Eine ADHS-Diagnose erfordert eine multimodale, professionelle Diagnostik durch Ärzte oder Psychologen
• Anamnese, Verhaltensbeobachtung, Fragebogenerhebung und Interview mit Eltern, Lehrern und Kind selbst, Leistungs- und Aufmerksamkeitsdiagnostik, Erfassung der Emotionalität, neurologische Untersuchung und Sichtung von Schulzeugnissen

Rolle der Lehrkräfte bei der Diagnose

• Lehrkräfte sind wichtig, da ihre Perspektive auf das Kind für die Diagnostik sehr wertvoll und wichtig ist
• Wie verhält sich das Kind in der Schule?
• In welchen Situationen treten Symptome auf?
• Gibt es Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen?
• Gab es Auswirkungen auf Schulleistungen?
• Standardisierte Befragung anhand von Fragebögen

Wenn der Verdacht auf ADHS im Raum steht

• Lehrkräfte können mit den Eltern in Kontakt treten, deren Erfahrungen anhören und die Eltern an Beratungsstellen verweisen

Medikamentöse Therapie

• Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat (Psychostimulanz) erhöhen die Aufmerksamkeit durch Beeinflussung des Dopamin-Stoffwechsels
• Häufige Nebenwirkungen sind Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Unruhe, Magenschmerzen und Kopfschmerzen

Behandlungsansätze bei ADHS

• Psychoedukation, Spieltraining, Selbstinstruktionstraining, Selbstmanagement-Verfahren, Neurofeedback, Pharmakotherapie stehen zur Verfügung
• Es ist wichtig, in auf die Bedürfnisse des Patienten einzugehen

Selbstinstruktionstraining

• Schritt 1: Was ist die Aufgabe?
• Schritt 2: Wie gehe ich bei der Lösung vor?
• Schritt 3: Schrittweise Abarbeitung des Lösungsplans
• Schritt 4: Kontrolle der Ergebnisse
• Schritt 5: Selbstverstärkung

Selbstmanagement-Training: Wenn-Dann-Pläne

• Zielintention: Ich möchte Z erreichen!
• "Immer wenn Situation X eintritt... dann führe ich Handlung Y durch."

Beispiel für Wenn-Dann-Pläne

• Ich möchte mich besser ernähren. Lösung: Immer wenn ich einkaufen gehe, kaufe ich Obst und Gemüse
• Ich möchte mehr Sport treiben. Lösung: Immer wenn ich nach Hause komme, ziehe ich meine Laufschuhe an und gehe joggen

Wirksamkeit von Wenn-Dann-Plänen

• Die Kombination aus Zielintention und Wenn-Dann-Plänen sind besonders wirksam.

Rolle von Lehrkräften

• Wenige Klassenregeln gut sichtbar anbringen
• Positive Verstärkung durch Lob, Token Pläne
• Bei unangemessenen Verhalten: Response Cost Verfahren, Time-Out
• Den Unterricht anregend gestalten
• Weniger auf dem Tisch liegen haben
• Konzentrationsspanne berücksichtigen