Dimensionen von Selbst- und Weltverhältnissen

Wilhelm von Humboldt argumentierte, dass Denken ein zeitlicher Prozess ist, der mehrere Elemente umfasst. Um einen Gedanken zu erfassen, müssen wir den Anfang festhalten, um ihn zu Ende führen zu können. Dies erfordert die Sprache, die das Festhalten ermöglicht.

Sprache materialisiert (versinnlicht, vergegenständlicht) das Denken. Durch das Sprechen wird das Denken greifbar und ermöglicht es uns, es zu erfassen.

Ohne Sprache wäre das Denken wie ein unfestes, flüchtiges Bild, das verschwindet, bevor es richtig erfasst werden kann.

Unsere Sinne, besonders unsere Wahrnehmung, sind die Grundlage für das menschliche Denken. Nur durch sie können wir Gedanken begreifen und festhalten.

Sprache ist ein umfassender Begriff, der verschiedene Möglichkeiten umfasst, wie Inhalte des Denkens in sinnliche Form gebracht werden. Dazu gehören Sprache im engeren Sinne, aber auch Kunst, Religion und Wissenschaft.

Um Wahrnehmungen zu erfassen, müssen wir Formen, Gestalten und Strukturen aus der Fülle der Sinneseindrücke identifizieren. Dies geschieht durch das „Zugreifen“ mit symbolischen Formen.

Neben der Sprache haben wir weitere symbolische Formen, wie z.B. Kunst oder Wissenschaft, um unsere Wahrnehmung zu strukturieren und zu verstehen. Jede Form ermöglicht die Erfassung anderer Bereiche der Wirklichkeit.

In der Pädagogik ist es wichtig, dass Menschen Zugang zu verschiedenen Perspektiven und Dimensionen der Welt erhalten, z.B. ästhetisch, wissenschaftlich oder religiös.

Ein Mensch, der nur in seiner alltäglichen, technischen oder verwalteten Welt lebt, ohne sich mit anderen Dimensionen auseinanderzusetzen, ist weniger zugänglich für Bildungsprozesse, da er Neues nur dann schätzt, wenn es ihm nützlich erscheint.

Wenn wir die Welt als „Faktizität“ betrachten, erkennen wir, dass sie zwar real ist, aber auch kontingent (nicht notwendig, aber möglich) ist.

Das Lernen beinhaltet nicht nur das Aneignen von Wissen über die Welt, sondern auch das Verstehen der Formen und Strukturen, die diese Welt prägen.

Dieser Mensch würde sich nur für Dinge interessieren, die ihm in seinem Alltag nützlich sind, und wäre nicht offen für Neues, Irritierendes oder Fremdes.

Bildungsprozesse zielen darauf ab, den Menschen aus seinem alltäglichen Bewusstsein zu befreien und ihn mit neuen Perspektiven und Möglichkeiten zu konfrontieren.

Die pädagogische Tätigkeit sollte sich nicht nur auf Erziehung oder Betreuung beschränken, sondern auch auf die Förderung von Bildungsprozessen, die den Menschen zu eigenständigem Denken und Handeln befähigen.

Es ist die Aufgabe derer, die etwas über die Welt wissen, den jüngeren Menschen diese Welt zu erklären und ihnen das Lernen zu ermöglichen.

Bildung ist kein Konzept, das sich leicht prägnant in theoretischen oder praktischen Begriffen zusammenfassen lässt. Es ist ein komplexer Prozess, der schwer zu definieren und zu analysieren ist.

Bildung wird oft als etwas angesehen, das geschieht, wenn Erziehung nicht stattfindet. Der Grund dafür ist, dass Bildung sich nicht so leicht in Interaktion mit anderen beobachten lässt wie Erziehung.

Jeder Bildungsbegriff sollte in der Lage sein, andere Bildungsbegriffe zu erklären und ihnen einen Platz innerhalb seines eigenen Konzepts zuzuordnen.

Der transformatorische Bildungsbegriff unterscheidet Bildung von Lernen, indem er Bildung als einen besonderen Prozess des Lernens betrachtet.

Der transformatorische Bildungsbegriff betont die Wichtigkeit des Lernens, auch wenn er sich von ihm abgrenzt.

Der transformatorische Bildungsbegriff betrachtet Bildung als einen dialektischen Prozess. Er unterscheidet sich von Lernprozessen, obwohl er von ihnen abhängt.

Nach Kokemohr ist Lernen der Prozess der Aufnahme, Aneignung und Verarbeitung neuer Informationen, der jedoch den Rahmen der Informationsverarbeitung nicht verändert.

Bildung, im Gegensatz zu Lernen, verändert den Rahmen der Informationsverarbeitung. Bildung ist nicht nur die Aufnahme von Informationen, sondern auch die Transformation unseres Denkens.

Wenn wir uns in der alltäglichen Welt bewegen, blenden wir die meisten Unterschiede aus, da wir nur wenige für informativ halten und in unsere Strukturen einbauen können.

Erfahrungen, die wir nicht in unsere bestehenden Wissensstrukturen integrieren können, da sie ihnen fremd sind.

Die Fähigkeit, neue Informationen in bestehende Strukturen zu integrieren.

Wenn Assimilation einer neuen Erfahrung nicht gelingt, kann man sie ignorieren, verdrängen oder nur Teilaspekte aufnehmen.

Redundanzerfahrungen im Alltag helfen uns, uns effizient zu bewegen, da wir nicht ständig neue Informationen verarbeiten müssen.

Wir vermeiden Lernen im Alltag, da es aufwändig ist und unsere Routine stört.

Im Alltag werden widerständige Erfahrungen, die nicht durch Lernen bewältigt werden können, in der Regel ignoriert.

Die Möglichkeit, durch Hinterfragen und Selbstreflexion widerständige Erfahrungen zu internalisieren und sich zu verändern.

Irritation ist ein subjektives Gefühl, das entsteht, wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das nicht mit unseren Erwartungen oder unserem Weltbild übereinstimmt.

Um Irritation als Ausgangspunkt von Bildungsprozessen zu verstehen, müssen wir die Situation des Einzelnen betrachten, seine individuellen Erfahrungen und sein Verhältnis zur Welt.

Faktizität beschreibt die gegebenen, unveränderlichen Tatsachen, die unsere Situation bestimmen, wie unsere Herkunft, unser Körper oder die gesellschaftliche Umgebung.

Freiheit bedeutet, dass wir trotz der Faktizität unsere Entscheidungen treffen und unser Leben gestalten können. Wir haben die Möglichkeit, uns zu der Situation zu verhalten, die uns vorgegeben ist.

Sartre zufolge wählen wir durch unsere Handlungen, wie wir uns zu den gegebenen Bedingungen verhalten, und formen so unsere eigene Identität.

Bildungsprozesse entstehen, wenn wir durch Irritation gezwungen werden, unsere Sicht auf die Welt und uns selbst zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen.

Eine Bildungssituation ist gekennzeichnet durch das Verhältnis von Faktizität und Freiheit. Der Mensch nimmt die gegebenen Bedingungen an und handelt gleichzeitig in Freiheit.

Die Irritation kann dazu führen, dass wir uns verändern, unsere Denkweise anpassen oder neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln. So lernen wir im Laufe unseres Lebens dazu.

Sartres Beispiel verdeutlicht, dass unsere Beziehung zu unserem Körper von individuellen Entscheidungen und Handlungen geprägt ist. Diese beeinflussen wie wir körperliche Grenzen erfahren.

Sartres „Urwahlen“ bezeichnen grundlegende Selbstdefinitionen, die unser Handeln und unseren Charakter prägen. Man trifft diese Entscheidungen nicht täglich, sondern sie prägen unser Wesen.

Im Sinne Sartres können wir unsere „Urwahlen“ jederzeit ändern. Diese Veränderung beinhaltet, dass wir alte Entscheidungen und deren Auswirkungen auf unser Wesen „nichten“ können.

Die Auseinandersetzung mit Irritationen ist ein katalytisches Moment, da sie dazu führen kann, dass wir unsere Denkweise und Weltanschauung hinterfragen.

Dadurch, dass wir das Irritierende nicht als störend abweisen sondern uns mit ihm auseinandersetzen, ermöglichen wir neue Perspektiven und erweitern unsere Sicht auf die Welt.

Im Sinne der Bildung bedeutet diese Internalisierung, dass wir uns neuen Erfahrungen und Bedeutungen öffnen. Unsere Welt erweitert sich, da wir bisherige Grenzen überschreiten.

Diese neuen Bedeutungen waren nicht objektiv verborgen, sondern subjektiv nicht zugänglich, da wir sie aufgrund unseres Denkens nicht wahrnehmen.

Der Konflikt mit der Urwahl ist ein komplexes Zusammenspiel aus der eigenen Prägung und der Veränderung, die durch das Irritierende angestossen wird.